Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart - High Noonle im Ländle

In Stuttgart wird am 29. November ein neuer Oberbürgermeister als Nachfolger von Fritz Kuhn gewählt. Nach dem Rückzug der Grünen hat der CDU-Kandidat Frank Nopper beste Chancen. Wird er damit vor der kommenden Landtagswahl den Abwärtstrend seiner Partei im Ländle stoppen?

Frank Nopper will mit Sicherheit und Sauberkeit punkten / dpa
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Josef-Otto Freudenreich war bis 2010 Chefreporter der Stuttgarter Zeitung. 2011 gründete er die Wochenzeitung Kontext: Wochenzeitung.

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Wenn die FAZ befindet, Stuttgart sei eine Stadt, die „im Wohlstand apathisch“ geworden ist, dann läuten in der Villa Reitzenstein die Alarmglocken. Dort sitzt Winfried Kretschmann und guckt auf die Stadt herunter, die ihm auch politisch zu Füßen liegt.

Eigentlich. Seine Grünen haben alle vier Wahlkreise direkt besetzt, im Rathaus sind sie die stärkste Fraktion, und an der Spitze sitzt bis zum Jahresende noch Fritz Kuhn, der 2012 angetreten war mit der frohen Botschaft: „Auch Schwarze wählen Grün“. Illustriert durch eine Amsel, die einen Grashalm im Schnabel trug. Wandersmann Winfried hat das gefallen. 

High Noonle in der Kapitale der Kehrwoche 

Kuhns Beginn ist nun acht Jahre her, und seitdem ist Vieles passiert, was nicht nur das Zentralorgan des gehobenen Bürgertums erregt hat. Eine „unschwäbisch verdreckte Metropole des Unfertigen“ hat das Frankfurter Blatt entdeckt, was gar nicht so falsch beobachtet ist, wenn man durch die Landeshauptstadt streift.

Baustellen ohne Ende, die auffälligste natürlich immer noch „Stuttgart 21“, Staus, Feinstaub, und dann die Bierflaschen am Eckensee vor der Oper, dem Aushängeschild der Stadt. Scheinbares Schlachtfeld der „Krawallnacht“, die im Juni diesen Jahres bundesweite Verstörung hinterließ. High Noon in der Kapitale der Kehrwoche? Eher ein High Noonle. Tatsächlich ist jetzt ein 18Jähriger aus Gaildorf (bei Schwäbisch Hall) zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Er hatte die Scheibe eines Polizeiautos eingeschlagen.

Zehn Jahre Grün garantieren noch keine libertären Geister

Die Bilder, wie Kretschmann, Horst Seehofer und Thomas Strobl um den ramponierten Streifenwagen gestrichen sind, haben es in die Hauptnachrichten geschafft, was Strobl gefallen haben dürfte, weil er am liebsten immer im Fernsehen ist. „Wir kriegen euch!“, hatte der CDU-Innenminister angekündigt und hohen Verfolgungsdruck aufgebaut. Als nächstes will der Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble Quarantäne-Verweigerer in geschlossene Krankenhäuser sperren. 

Der grüne Landesvater, 72, schaut dem Treiben seines Juniorpartners, 60, mit gemischten Gefühlen zu. Zum einen hält er Strobl für ein Leichtgewicht, zum andern kennt er seine Schwaben, die von autoritären Anwandlungen nicht frei sind. 58 Jahre Schwarz sind nicht einfach weg, zehn Jahre Grün garantieren noch keine libertären Geister, Ordnung möcht‘ schon sein, auf der Straße und im Kopf. Kretschmann kriegt das auf die Reihe und genießt deshalb höchste Popularität. 

An Fritz Kuhn erinnert nur die Schließung des Fernsehturms 

Aktuell ins Bild passt die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters in Stuttgart. Fritz Kuhn gibt den Posten auf, weil er Besseres zu tun hat, was auch immer, und hinterlässt den Spott, dass immerhin die zeitweise Schließung des Fernsehturms an ihn erinnere.

Voraussichtlich beerbt ihn ein Mann, der alles hat, was einst als wichtig galt und bei vielen immer noch gilt: das große Auto, die breite Straße, der Chef (Gendersterne sind „hysterische Correctness“), und natürlich, oberstes Gebot, „Sicherheit und Sauberkeit“. Er heißt Frank Nopper, ist CDU-Oberbürgermeister von Backnang, einer 37 000-Einwohnergemeinde, und er hat den ersten Wahlgang mit 31,8 Prozent gewonnen.

Die grüne Ersatzkandidatin zog sich zurück 

Weit vor der grünen Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (17,2 Prozent) sowie den anderen Kandidaten links von der CDU, Marian Schreier (15 Prozent) und Hannes Rockenbauch (14 Prozent). Während die beiden Männer ihr Ego mit einem zweiten Versuch am 29. November pflegen, entschloss sich Kienzle zum Rückzug, womit der Weg für Nopper breit wie eine Autobahn sein dürfte.    

Am Rande bemerkt: Die SPD hat das Kunststück fertig gebracht, den Bewerber Schreier zum Weitermachen zu ermuntern, den sie im März noch aus der Partei ausschließen wollte. Der smarte Bürgermeister aus Tengen war gegen ihren offiziellen Kandidaten Martin Körner (9,8 Prozent) in den Ring gestiegen. 

Kann es Kretschmann besser als „Eisen-Nanni“?    

Das Wehklagen bei der sogenannten öko-sozialen Mehrheit, die im Stuttgarter Gemeinderat 56 Prozent beträgt, ist nun groß. Altvordere wie Rezzo Schlauch geißeln Sattheit und Selbstzufriedenheit der Parteifreunde, die er in ihren Parlamentssesseln ruhen sieht, während er noch auf Bäume geklettert ist, um gegen das Testgelände von Daimler in Boxberg zu demonstrieren. In der Tat hat sich keine grüne Größe für Kienzle engagiert, die erst angetreten war, nachdem Cem Özdemir und Landtagspräsidentin Muhterem Aras abgewunken hatten. 

Dass die CDU aus dem kommunalen Debakel einen Trend für die kommende Landtagswahl im März 2021 ableitet, darf man ihr nicht verübeln, gebeutelt wie sie ist. Erst jüngst hat Kretschmanns Herausforderin Susanne Eisenmann erkennen müssen, wie schlecht es um ihre Umfragewerte steht: 13 zu 66 Prozent. Da mag die Kultusministerin noch so forsch als „Eisen-Nanni“ durch die Schulen kehren, die Leute werden glauben, dass es der Mann mit den Bürstenhaaren besser kann.

Die Frage ist halt, wie lange noch?  

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