Streit über Polizei - Onkel Horst und die Böhmermänner

Eine Kolumnistin will Polizisten als Abfall entsorgen, dann kracht es in Stuttgart – und Horst Seehofer schaltet sich ein. Schließlich schreibt Jan Böhmermann einen Brief an die Kanzlerin. Die deutsche Debattenkultur ist nicht einmal mehr eine Farce, sondern ein Trauerspiel.

Horst Seehofer in Stuttgart nach den Krawallen vom Wochenende / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass aus purem Schwachsinn ein Politikum erwächst. Und auch nicht das erste Mal, dass dieses Politikum schließlich Züge einer Satire annimmt, die den Zustand einer zur permanenten Hyperventilation bereiten Gesellschaft widerspiegelt. Die Entwicklung des Falls der inzwischen berühmt gewordenen taz-Kolumne, in der eine Autorin mit diversen angesagten Identitätsmerkmalen (queer, Migrationshintergrund, kompliziert auszusprechender Nachname etc.) ihre Abscheu gegenüber der auf dem Müll zu entsorgenden Polizei Ausdruck verleiht, ist ein schönes Beispiel dafür. Schwachsinn, wie gesagt, als Ausgangspunkt – wobei schon die Versuche der taz-Chefredakteurin, solcherlei komplett unlustigen Hatespeech zu Satire umzudeuten, für sich genommen eine köstliche Groteske ergeben. Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Und am Ende ist jeder für sein Image selbst verantwortlich.

Wahrscheinlich hätte das Elaborat „All cops are berufsunfähig“ unter anderen Umständen für weniger Furore gesorgt, weil es letztlich nichts anderes als die neue Normalität einer linken Publikation zeigt, die sich krampfhaft vom linken Medienmainstream abzuheben versucht, indem sie permanent noch eins draufsetzt. Wer Restle & Co. aber links überholen will, muss zumindest verbal aufrüsten und greift konsequenterweise auf das Stilmittel der Verächtlichmachung von anders denkenden Menschen und unliebsamen Berufsgruppen zurück. Diese Entwicklung mögen zwar selbst viele eingefleischte taz-LeserInnen nicht gut finden (wie ein Blick in die Online-Foren zeigt). Ein gewisser Gewöhnungseffekt an die neue linke Härte ist aber längst eingetreten. Was ja auch der Sinn der Sache ist, wenn Aktivisten den Journalismus kapern.

Eine politische Meisterleistung

Weil aber kurz vor Erscheinen der Kolumne schon die Vorsitzende der Regierungspartei SPD mit Pauschalurteilen gegenüber deutschen Sicherheitskräften für Aufmerksamkeit gesorgt hatte, und „All cops are berufsunfähig“ in gewisser Weise als die vulgäre Fortsetzung von Saskia Eskens Interviewäußerungen gedeutet werden konnten, war die Aufmerksamkeit für die paar Zeilen Hass dann wohl doch etwas größer als von der Chefredaktion erwartet. Ob zum Schaden oder zum Nutzen der taz, das bleibt vorerst abzuwarten. Denn Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU hat es in unnachahmlicher Weise vermocht, die berechtigte Empörung über das „Polizisten sind Abfall“-Gestammel auf sich selbst umzuleiten. Eine wahrhaft politische Meisterleistung.

Dem Vernehmen nach war Seehofer angesichts der Stuttgarter Krawalle selbst in Krawallstimmung verfallen, was ihn zu einem seiner üblichen Schnellschüsse verleitet habe. In dem Fall war es die Ankündigung in der montäglichen Bild-Zeitung, er werde „morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der taz über die Polizei stellen“. Die Begründung: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.“ Das kann man durchaus so sehen. Aber Seehofer ist eben kein Polizei-Gewerkschafter, sondern Mitglied der Bundesregierung. Und da sollte man sich mit derlei Verlautbarungen zumindest so lange zurückhalten, bis das juristische Terrain einigermaßen sondiert ist. Sonst droht nämlich die nächste Blamage.

Minderbegabte Satiriker

Nicht nur an den Spitzen der Unionsparteien fragen sich die Leute, was Seehofer diesmal wieder geritten hat. Denn in der Konsequenz würde sein Vorhaben ja bedeuten, dass er künftig in allen ähnlichen Fällen ebenfalls Anzeige erstatten müsste. Und weil Deutschland reich gesegnet ist mit unbegabten Satirikern, wäre da wohl einiges zu tun.

Womit wir bei Jan Böhmermann wären. Dessen Name steht denn auch prompt als erster unter einer Petition mit dem dramatischen Titel „Pressefreiheit statt Polizeigewalt!“, in der sich allerlei „Kulturproduzent_innen, Autor_innen, Journalist_innen und Bürger_innen einer offenen demokratischen Gesellschaft“ gegen Seehofers angekündigte Strafanzeige wenden. Es ist dies die endgültige Mutation des Politikums zur Farce, und zwar weniger wegen des in dem offenen Brief erhobenen Vorwurfs, der Innenminister würde (offenbar in scharfem Gegensatz zur taz-Autorin) mit seiner „gefährlichen Instrumentalisierung dieser Debatte“ die Gesellschaft spalten. Sondern wegen der Adressatin, an die Böhmermanns Epistel gerichtet ist: Deutschlands Regierungschefin höchstpersönlich. Oder wie Böhmermann und Gefolge untertänig schreiben: die „sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel“.

Ruf nach Mami

Da wendet sich also ein jammerlappiger Möchtegern-Satiriker, der sich einst wegen eines minder lustigen Schmähgedichts über den türkischen Präsidenten von der Kanzlerin im Stich gelassen gefühlt hatte, an eben diese Kanzlerin mit folgendem Anliegen: „Wir fordern, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer seine angedrohte Strafanzeige gegen Hengameh Yaghoobifarah nicht stellt, sich entschuldigt und als Innenminister dafür sorgt, dass wir alle in Sicherheit unsere Arbeit machen und unsere Meinungen äußern können.“ Übersetzt auf die Bezugsgröße eines kleineren Familienkreises hieße das so in etwa: Mami, Mami, der Onkel Horst hat was ganz böses gesagt, der soll sich sofort bei mir entschuldigen!

Das ist alles so unfassbar peinlich, dass man es für einen Witz halten möchte. Es ist aber keiner. Und so endet das Stück dann eben doch nur als übliches Trauerspiel der deutschen Debattenkultur. Die nächste Inszenierung dürfte schon bald folgen.
 

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