Streit um Corona-Vollmachten - Der Bundestag darf sich nicht selbst entmachten

Es war am Anfang der Corona-Pandemie richtig, dass die Regierung schnell handelte. Doch nun muss wieder die Stunde der Parlamente schlagen, fordert Florian Post (SPD). Er stellt sich gegen die angebliche Alternativlosigkeit, auch auf die Gefahr hin, als Nestbeschmutzer dazustehen.

Die Exekutivbefugnisse für Gesundheitsminister Jens Spahn stoßen auf immer größere Kritik / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Florian Post ist seit 2013 Abgeordneter der SPD im Bundestag. 

So erreichen Sie Florian Post:

Anzeige

Florian Post ist Bundestagsabgeordneter der SPD.

Unser Grundgesetz sieht eine Zusammenkunft der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten als gesetzgeberisches Organ explizit nicht vor. Diese Aufgabe steht bei uns ausschließlich den Landtagen und dem Deutschen Bundestag und damit den gewählten Abgeordneten zu. Unser Grundgesetz kennt nur eine erste Macht, die Landtage und den Deutschen Bundestag.

Wenn man es genau nimmt, sind die Angehörigen der Exekutive ausführende Beamte auf Zeit. Die Legislative beauftragt die Exekutive und kontrolliert auch die Ausführung dieser Aufträge. Das ist der normale Gang der Dinge – nicht mehr und nicht weniger.
Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 war es geboten, schnell zu handeln. Mit einer derartigen Pandemie hatten wir in Deutschland keinerlei Erfahrungen.

Ein „Dreivierteljahr der Exekutive“

Eine derartige Notsituation, vergleichbar mit plötzlich hereinbrechenden Naturkatastrophen oder Unglücksfällen, erfordert ein effizientes, schnelles Handeln. Es ist sozusagen „Gefahr im Verzug“. Es ist die „Stunde der Exekutive“ wie man so schön sagt. Mittlerweile haben wir aber ein „Dreivierteljahr der Exekutive“ und dieses soll nach dem Willen einiger auch noch auf unbegrenzte Zeit fortdauern. Gerüchten zufolge soll der Bundesgesundheitsminister künftig sogar über die Beschränkungen für innerdeutsches (!) Reisen entscheiden dürfen. Es spricht Bände, dass bis zur Stunde diese entworfenen Regelungen zwar einigen Presseagenturen, aber nicht den Bundestagsabgeordneten vorliegen.

Ich lehne verlängerte Exekutivbefugnisse für den Bundesgesundheitsminister über den 31. März 2021 hinaus oder gar weitere Kompetenzen entschieden ab. Es kann nicht angehen, dass der Bundestag, überspitzt ausgedrückt, zwar zur Bewilligung von Geldern für die von der Bundesregierung bewilligten Corona-Maßnahmen zuständig ist, aber über die einschneidensten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Nachkriegsdeutschland der Bundesgesundheitsminister durch Exekutiv-Verordnung entscheidet, ohne dass ein gewähltes Parlament auch nur einmal darüber abstimmt. Darüber hinaus halte ich einen Gewöhnungseffekt an das Regieren per Verordnung für höchst gefährlich. Einem solchen Gesetz werde ich niemals zustimmen.

Plötzlich ist man der Nestbeschmutzer

Von den Befürwortern derartiger Maßnahmen wird argumentiert, der Bundestag müsse ja ein solches Gesetz erst noch beschließen. Das ist formal richtig. Nur sieht die Praxis oftmals so aus, dass zumindest in den Koalitionsfraktionen folgendermaßen argumentiert und für die Alternativlosigkeit einer Zustimmung geworben wird: „Da saßen doch auch unsere Ministerpräsidentinnen und -präsidenten mit am Tisch bei der Kanzlerin, da können wir doch unseren eigenen Leuten nicht in Rücken fallen!“ Und plötzlich findet man sich als einzelner Abgeordneter ganz schnell in einer nicht hinnehmbaren Position eines Nestbeschmutzers, wenn man seine Zustimmung an Änderungen knüpft oder eben nicht zustimmen will. In diese Rolle werde ich mich aber sicher nicht drängen lassen. Der Bundestag käme so in die Rolle eines bloßen „Abnickgremiums“.

Florian Post / SPD

Ein weiteres Argument ist, dass man schnell Entscheidungen treffen müsse und dies der Bundestag angeblich nicht könne. Diesem Argument sei entgegengestellt, dass schon der gesamte Deutsche Bundestag aus den Ferien geholt worden ist und Abgeordnete buchstäblich um die halbe Welt flogen, um hunderte Milliarden Euros an Hilfen für das notleidende Griechenland zu bewilligen. Es war wie so vieles „alternativlos“.

Ein eher aberwitziges – und nach meiner Einschätzung eher überflüssiges – Beispiel der gleichen (unheimlichen) Art war die Vereidigung von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer in der Sommerpause 2019. Nur für diese „Zeremonie“ wurde aufgrund von Renovierungsarbeiten ein provisorisches Plenum in einem Nebengebäude des Deutschen Bundestages aufgebaut und für die Dauer von nicht mal einer Stunde der Bundestag einberufen. Verbunden mit der notwendigen Anreise der Abgeordneten aus deren Ferienorten, aus den Wahlkreisen oder woher auch immer – und natürlich zurück.

Eine Maßnahme nach der anderen wird kassiert

Wieso es also derzeit, zumal sich aufgrund von Reisebeschränkungen eher wenige Abgeordnete im Ausland aufhalten dürften, nicht möglich sein soll, binnen 48 Stunden den Deutschen Bundestag außerordentlich einzuberufen und eine Abstimmung herbeizuführen, leuchtet mir nicht ein.

Derzeit wird eine Maßnahme nach der anderen von den Verwaltungsgerichten der Länder kassiert. Stichwort: Beherbergungsverbot. Allein dies zeigt schon die Notwendigkeit, Maßnahmen nicht mehr nur allein durch die Exekutive verordnen zu lassen, sondern durch Parlamentsbeschlüsse und damit mit Gesetzen zu flankieren.

Es ist die Stunde der Parlamente

Auch gebe ich dem Bayerischen Ministerpräsidenten ausdrücklich einmal Recht, wenn er feststellt, dass ein oftmals auftretender Regelungswirrwarr zwischen 16 Bundesländern eine Konzentration von Kompetenzen beim Bund notwendig macht. Es kann aber dann nicht die Konsequenz aus einer derartigen Konzentration sein, dass der Bundesgesundheitsminister „verfügt“, sondern dann muss der Deutsche Bundestag das Entscheidungsgremium sein.

Ich bestreite ausdrücklich nicht die Notwendigkeit von Maßnahmen, um der Corona-Situation Herr zu werden. Ich nehme dieses gefährliche Virus sehr ernst und es bedarf eines großen gesellschaftlichen Zusammenhalts und gegenseitiger Rücksichtnahme, um diese Lage zu meistern. Ich verwahre mich aber gegen eine Selbstentmachtung des Parlaments. Alle Maßnahmen und damit letztendlich das Gelingen der Corona-Bekämpfung stehen und fallen mit der Akzeptanz in der Bevölkerung. Und was wäre geeigneter als den Verschwörungstheoretikern und anderen Irren, Maßnahmen entgegenzuhalten, die auf einer breiten demokratischen Basis beschlossen wurden? Diese Basis können ausschließlich Beschlüsse der vom Volk gewählten Parlamente sein. Es ist nun wieder die Stunde der Legislative, es ist die Stunde der Parlamente!

Anzeige