Streit um CDU-Parteitag - „Sonst haben wir keine Chance“

Der CDU-Bundesparteitag müsse noch in diesem Jahr stattfinden, fordert der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten gemeinsam mit anderen baden-württembergischen CDU-Politikern. Im Interview erläutert er seine Gründe.

Der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten im Bundestag / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Christian Freiherr von Stetten vertritt seit 2002 den Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe im Deutschen Bundestag.

Herr von Stetten, Sie haben am Dienstag zusammen mit anderen baden-württembergischen CDU-Politikern einen offenen Brief veröffentlicht, in dem Sie die Führung der Union dazu aufrufen, den Parteitag doch noch im Dezember abzuhalten. Glauben Sie daran, dass das noch möglich ist?
Der Bundesvorstand sollte noch einmal in sich gehen, und dann sollte er seine Entscheidung ergänzen und den Weg für eine schnelle Bundesvorsitzendenwahl frei machen. Oder – diese Möglichkeit bietet die Satzung der CDU – sechs Landesverbände beantragen einen kurzfristigen Parteitag. Dann muss er stattfinden.

Aber die letztere Variante wäre doch ein ziemlicher Affront gegen die Parteiführung. Ist das realistisch?
Das ist eine Drohkulisse. Wenn der Bundesvorstand merkt, dass drei, vier oder fünf Landesverbände diese Option prüfen, dann sollte er dieser Entscheidung zuvorkommen.

In welchen Landesverbänden – neben dem baden-württembergischen – sehen Sie denn Unterstützung für so eine Strategie?
Überall da, wo im nächsten Jahr Landtagswahlen stattfinden und die Partei 2021 geschlossen und ohne Personaldiskussionen auftreten muss. Also natürlich in Baden-Württemberg, aber auch in Berlin und in mehreren östlichen Bundesländern.

Aber ein Präsenzparteitag ist angesichts des Infektionsgeschehens doch ausgeschlossen.
Das ist klar. Aber ein Online-Parteitag mit einer anschließenden Briefwahl ist absolut realistisch. Das habe nicht ich erfunden, sondern diese Möglichkeit hat der Generalsekretär Paul Ziemiak am Montag präsentiert.

Der aber gleichzeitig darauf hinwies, dass eine solche Briefwahl über zwei Monate dauern würde …
Das wäre nur der Fall, wenn man alle Positionen nacheinander durchwählen würde – vom Parteivorsitzenden über den Stellvertreter bis zum Schriftführer und Beisitzer. Aber wir müssen nicht alle wählen. Es ist wichtig, dass wir eine Klärung an der Führungsspitze haben. Die anderen Positionen könnten im Amt bleiben und werden zu einem späteren Zeitpunkt gewählt.

Und es wäre möglich, das selbst bei einer Stichwahl noch vor Weihnachten zu entscheiden?
Das bekommt man hin. Es geht hier um genau 1.001 Briefe der Delegierten. Selbst mit einer Stichwahl wäre kurz vor Weihnachten das „Christkind“ da. Und um ganz auf Nummer sicher zu gehen, könnte man den Online-Parteitag schon Ende November stattfinden lassen. Aber selbst die mutige Entscheidung für eine Mitgliederbefragung wäre vor Weihnachten problemlos umsetzbar.

Wie waren denn die Reaktionen an der Basis in Baden-Württemberg auf die Entscheidung, den Parteitag zu verschieben?
Das Echo ist fatal. Die Leute warten seit einem Jahr auf diese Entscheidung, nun wird sie wieder verschoben. Einer Partei, die Regierungsverantwortung hat und in dieser hochtechnologisierten Gesellschaft nicht in der Lage ist, innerhalb eines Jahres einen Bundesvorsitzenden zu wählen, der traut man nicht mehr viel zu. Das stellt ja schon fast die 16-jährige Bauzeit des Berliner Flughafens in den Schatten. Wir müssen jetzt den Parteivorsitzenden wählen. Dann dürfen die, die verloren haben, zwei Wochen traurig sein. Dann kommt Weihnachten, und nach Neujahr stehen alle geschlossen hinter dem neuen Parteivorsitzenden und machen Wahlkampf.

Sind Sie in Baden-Württemberg vielleicht besonders sensibel bei dem Thema, weil Mitte März eine Landtagswahl ansteht, bei der Sie den Grünen gerne die Regierungsverantwortung abnehmen würden?
Baden-Württemberg ist da besonders betroffen. Es wäre absolut fatal, wenn wir erst im Februar oder März einen Parteivorsitzenden wählen würden. Wir brauchen im Frühjahr eine absolut geschlossene Partei, sonst haben wir keine Chance.

Wenn es so viel Unmut gibt, warum ist diese Entscheidung im CDU-Vorstand in Berlin einstimmig gefallen? Selbst Ihr baden-württembergischer Landesvorsitzender Strobl hat nicht dagegen gestimmt.
Das weiß ich nicht. Wenn ich dabei gewesen wäre, hätte es eine Gegenstimme gegeben.

Friedrich Merz sagt, die Verschiebung des Parteitags gehöre zur Strategie von Teilen des CDU-Establishments, die ihn als Vorsitzenden um jeden Preis verhindern wollen. Ist das so?
Dass im Dezember ein Präsenzparteitag schwierig werden könnte, war doch schon sehr lange absehbar. Man hätte ihn schon im September stattfinden lassen oder andere Alternativen finden können. Aber scheinbar gab es Leute, die diese Entscheidung nicht treffen wollten, aus welchen Gründen auch immer. Ich kann Friedrich Merz durchaus verstehen, warum er jetzt sehr unzufrieden ist.

Sie unterstützen Merz?
Wir brauchen einen wie Merz, der die Partei wachrüttelt und ihr eine Perspektive gibt.

Das meint laut Umfragen auch eine Mehrheit der CDU-Parteimitglieder. Aber glauben Sie, dass Merz auch unter den 1.001 Delegierten eines Parteitags die Mehrheit hinter sich hätte?
Seit Beginn seiner Kandidatur hätte Merz schon im ersten Wahlgang die 50 Prozent gepackt, wenn es eine Mitgliederbefragung gegeben hätte. In den letzten Wochen hat sich abgezeichnet, dass er auch bei den Parteitagsdelegierten vorne liegt.

Wie ist denn die Stimmung in der CDU-Fraktion in Berlin?
Auch da ist die Mehrheit der Meinung, dass die Entscheidung noch in diesem Jahr oder spätestens im Januar 2021 fallen sollte – und zwar ganz egal, ob sie dem Merz-Lager angehören oder nicht. Die Leute kennen die Kandidaten, jeder hat sich seine Meinung gebildet, wir müssen das jetzt abschließen.

Die Fragen stellte Moritz Gathmann. 

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