Straßenwahlkampf - Baerbock legt los

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zeigt sich bei ihrem Wahlkampfauftritt in Bremen selbstbewusst und ohne Spuren von Selbstzweifeln. Unzufrieden sind nur die Klima-Aktivisten.

Annalena Baerbock am Dienstag in ihrem Wahlkampfbus / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Es ist halb sechs, die warme Abendsonne scheint über das Dach des Schüttings, des prächtigen Baus der Bremer Handelskammer, auf den Marktplatz der Stadt. Annalena Baerbock betritt in Stöckelschuhen, mit jagdgrüner Hose und hellblauem Blazer, die grüne Bühne: ein runder Pavillon, ausgelegt mit Kunstrasen, umringt von Zuschauern. „Hallo, schönen guten Tag“, ruft sie den 500 bis 600 Menschen zu, die gekommen sind, um sich einen Eindruck von der 40-Jährigen zu verschaffen, die sich zutraut, Deutschland zu regieren.

Die Kanzlerkandidatin der Grünen hat viel einstecken müssen seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur im April: Nach übermäßigen Streicheleinheiten von Seiten vieler Medien in den ersten Wochen kam zuerst eine Ungenauigkeit nach der anderen in ihrem Lebenslauf heraus. Dann wiederholte sich das Debakel mit ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“, in dem sie erwiesenermaßen eine Reihe von Textstellen unmarkiert von anderen Autoren übernahm. Zuletzt endete der Versuch, den Landesverband im Saarland an die Kandare zu nehmen, im Fiasko: Die Liste der Grünen wurde dort nicht zur Wahl zugelassen, mit der Zweitstimme wird die Partei dort also nicht wählbar sein.

Dünne Luft auf dem Weg ins Kanzleramt

Baerbock erlebte, wie dünn die Luft wird, wenn man Kurs auf das Kanzleramt nimmt – ganz egal, welcher Partei man entstammt. Die Grünen sind von ihrem Zwischenhoch mit Werten bis zu 28 Prozent inzwischen wieder bei etwa 20 Prozent angekommen.

Mit Robert Habeck geht Baerbock nun aber in die Offensive: Seit Dienstag touren die beiden Grünen-Vorsitzenden über die Marktplätze der Republik. Nur die AfD ist am gleichen Tag wie die Grünen gestartet. Man fragt sich: Wann treten eigentlich Olaf Scholz und Armin Laschet auf die Marktplätze dieser Republik? Laschet etwa hat gerade mit Verweis auf die Bekämpfung der Flutkatastrophe alle Wahlkampftermine in Baden-Württemberg und Hessen abgesagt und wird auf Twitter unter dem Hashtag #laschetkneift verhöhnt.

Wann tritt Laschet auf die Marktplätze?

Denn es ist schon so, auch in Zeiten von Twitter, Facebook und Instagram: Diese Auftritte sind die Chance für Politiker, durch persönliche Ansprachen an hunderte, manchmal tausende von Menschen Stimmung zu machen – und Stimmungen zu drehen. Gerhard Schröder hat das mit seinen mitreißenden Marktplatz-Auftritten vor der Bundestagswahl 2002 vorgemacht: In wenigen Wochen hievte er seine Partei von 35 auf 40 Prozent – und wurde erneut Bundeskanzler. 2005 wäre ihm das Kunststück beinahe nochmal gelungen. Kämpferische, authentische Auftritte sprechen sich rum, unter Verwandten, Freunden, Kollegen.

Annalena Baerbock ist kein Gerhard Schröder, sie peitscht die Menschen auf dem Bremer Marktplatz nicht auf. Aber sie tritt selbstbewusst auf, menschlich und politisch versiert. Auch das minutenlange, ohrenbetäubende Glockenspiel vom Rathaus bringt sie in ihrer Ansprache nicht aus dem Konzept – von Unsicherheit nach den verkorksten letzten Wochen keine Spur.

Im Zentrum ihrer Rede steht natürlich der Kampf gegen den Klimawandel, den sie als ganz persönlichen beschreibt: 2015, beim Abschluss des Pariser Klimaabkommens, habe ihre gerade geborene Tochter neben ihr im Kinderwagen gelegen, und Baerbock habe sich gedacht, dass diese 2050 35 Jahre alt sein werde, und sie dann hoffentlich fragen werde: Wie habt ihr das hinbekommen? Wer Baerbock schon öfter hat reden hören, fragt sich an dieser Stelle: Ach, diese Geschichte schon wieder? Aber unter den Zuschauern in Bremen kommt sie gut an – der Applaus ist an dieser Stelle am größten.

Heimspiel im rot-rot-grünen Bremen

Nun hat Baerbock – anders als in Duisburg, wo Gegendemonstranten ihre Rede störten – hier in Bremen ein klares Heimspiel: 1979 zogen die Grünen in die Bremer Bürgerschaft ein – es war das erste Landesparlament überhaupt, wo ihnen das gelang. Die Stadt wird rot-rot-grün regiert, es gibt ein entsprechend starkes rot-grünes Milieu, das sich da um die Bühne versammelt hat: Da steht die gut gebildete Mittelschicht einer Großstadt, ältere Menschen, die wohl schon 1979 für die Grünen gestimmt haben, aber genauso viele jüngere, für die das die erste Wahl sein dürfte. „Klar sind die Grünen inzwischen etwas wischi-waschi geworden, aber sie sind immer noch die einzige Partei, die den Klimaschutz wirklich ernst nimmt“, sagt einer von ihnen.

Dennoch hätte es Baerbock womöglich gut getan, nicht im Wahlkampfbus anzureisen, sondern im Zug. Dann hätte sie bei ihrer Ankunft in Bremen die Mélange aus Kriminalität, Drogen, Migranten und Obdachlosen erblickt, die das Bahnhofsquartier prägen – und die diese rot-rot-grüne Stadtregierung nicht in den Griff bekommt. Die hohe Kriminalitätsrate war einer der Gründe dafür, dass die Bremer bei der Bürgerschaftswahl 2019 die CDU zur stärksten Kraft machten. Bei der Regierungsbildung bootete Rot-Rot-Grün die CDU dann allerdings aus.

Streicheleinheiten für die grüne Seele

Baerbock streichelt stattdessen die Seele der rot-rot-grünen Bremer, als sie von ihrem Besuch in einem sozial-ökologischen Modellquartier namens Ellener Hof berichtet. Was hier im Kleinen gemacht werde, darum gehe es im Großen bei der Bundestagswahl: Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz dürften nicht länger im Widerspruch stehen.

Baerbock greift die politische Konkurrenz nicht namentlich an, erst recht nicht so, wie es die SPD zuletzt gegenüber Laschet getan hat. Nur Innenminister Seehofer, der bis zuletzt an Abschiebungen nach Afghanistan festgehalten habe, bekommt sein Fett weg: Sein Verhalten sei eine „Schande“.

Dafür präsentiert Baerbock die Grünen als jene Kraft, die gegen das „Weiter wie bisher“ stehe, die als einzige bereit seien, beim Klimaschutz jetzt zu handeln, anstatt sich mit der Frage aufzuhalten: „Können wir das eigentlich?“ Ähnlich wie bei der Bekämpfung des Ozonlochs gelte auch jetzt: „Natürlich schafft Deutschland das nicht alleine.“ Reichlich poetisch gipfelt ihr Plädoyer für multilaterale Zusammenarbeit dann aber in dem Slogan „Wir machen aus Feinden Freunde.“ Da klingt bei Baerbock die „Schwerter zu Pflugscharen“-Romantik der Friedensbewegung durch.

Unzufriedene Klima-Aktivisten

Auch die anschließende Fragerunde – Zuschauer können auf der Grünen-Wahlkampftour per Zettel Fragen einreichen – bringt sie souverän hinter sich, dann folgt ein nicht enden wollender Selfie-Marathon, bevor Baerbock, begleitet von Personenschützern, zu ihrem grell-grünen Wahlkampfbus mit der Aufschrift „Bereit, weil ihr es seid“ eilt. Vor einem Pub sitzt da eine etwas einfacher gestrickte Klientel als das Wahlkampfpublikum beim Feierabendbier. „Schade, dass ich keine Eier dabei hab“, schimpft einer von ihnen beim Anblick Baerbocks. „Am besten Straußeneier.“ Da hat sich die Tür des Busses aber schon geschlossen.

Unzufrieden bleiben auch die Mitglieder eines Klimacamps zurück, die seit 111 Tagen auf dem Rathausplatz kampieren, und die während Baerbocks Rede ein Transparent mit der Aufschrift „Grüner Kapitalismus ist nicht die Lösung“ hochhalten. „Beim Klimaschutz war sie viel zu unkonkret. Und sie verteidigt immer noch ein System, das auf Wachstum basiert. Das ist zu wenig für uns“, sagt Florian Wohlers, der das Camp leitet, enttäuscht. „Die Grünen müssen ihrem Erbe gerecht werden – sie stammen doch aus einer Bewegung wie unserer.“ Es dürfte dieses radikal-ökologische Milieu sein, aus dem den in die Mitte rückenden Baerbock-Grünen gerade die größte Konkurrenz erwächst.

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