Empörung über Strafarbeit für Drittklässlerin - „Deutsch auf dem Schulhof schließt nicht aus, sondern bindet ein“

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) stellt sich hinter die Grundschule, die eine Drittklässlerin zu einer Strafarbeit verdonnert hat, weil sie in der Pause türkisch gesprochen hat. Dabei ist die Rechtsgrundlage dafür mehr als wackelig.

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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Susanne Eisenmann ist seit 2016 Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg. Sie war davor elf Jahre lang Bürgermeisterin für Kultur, Schule und Sport der Landeshauptstadt Stuttgart. Zur Landtagswahl 2021 tritt sie als Spitzenkandidatin der CDU gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) an. 

Frau Eisenmann, türkische Zeitungen berichten, in Ihrem Bundesland herrsche „Deutschzwang“ auf dem Schulhof. Ist das eine gute Werbung für den Bildungsstandort Baden-Württemberg? 
Eine verkürzte Darstellung ist nie eine gute Werbung. Es gibt 4.000 öffentliche Schulen in Baden-Württemberg, und die Grundschule in Blumberg ist nicht die einzige Schule, die als Schulgemeinschaft eine gemeinsame Sprache auf dem Schulgelände vereinbart hat. 

Aufhänger ist der Fall einer Drittklässlerin in Blumberg, die zu einer Strafarbeit verdonnert wurde, weil sie auf dem Schulhof mit einem anderen Mädchen türkisch gesprochen hat. Wie passt das zum Ziel Ihrer Schulpolitik, die Mehrsprachigkeit zu fördern?
Mehrsprachigkeit ist das eine, die fördern wir beispielsweise mit muttersprachlichem Unterricht. Aber nicht nur deshalb passt der Fall sogar sehr gut zu unserer Bildungspolitik. Es geht auch darum, dass Regeln gemeinsam umgesetzt werden, die man sich gegenseitig im Rahmen eines demokratischen Prozesses gibt. Das schließt die Sanktion von Regelbrüchen ein. Schule ist mehr als nur die Vermittlung von Wissen. Es geht auch darum, ein soziales Umfeld zu gestalten. Das ist ein wichtiges, bildungspolitisches Ziel. 

Aber ob sich die Schule in Blumberg diese Regeln wirklich gegeben hat, ist strittig. Auf eine Anfrage von Cicero hat das Regierungspräsidium Freiburg das Foto eines Formblattes mit „Katzenregeln“ geschickt, auf dem unter anderem steht: „Wir sprechen alle die deutsche Sprache“. Ein vom Anwalt der Familie mehrfach angeforderter Beschluss der Schulkonferenz liegt uns nicht vor. Als Rechtsgrundlage ist das ziemlich dünn. 
Das kann ich nicht beurteilen. Nach unserer Kenntnis gibt es diese Vereinbarung. Wir haben auch Rückmeldungen von Elternvertretern, die bestätigt haben, dass es diese Klassenregeln gibt. Das muss geklärt werden. Ich rate allen Beteiligten, das im direkten Gespräch zu klären – am besten gemeinsam mit dem Mädchen. Das ist ja auch für das neunjährige Kind keine ganz einfache Situation. 

Wohl wahr. Ist es unter dem Gesichtspunkt der Integration zielführend, dass ein Mädchen, das die deutsche Sprache gut beherrscht, Sätze schreiben muss wie: „Ihr wollt, dass wir deutsch sprechen. Die Schulen sind deutsch. Wenn wir türkisch sprechen, verstehen die Kinder uns nicht. Wir dürfen die Muttersprache nicht sprechen“?
Wenn sich die Schulgemeinschaften selbst Regeln auferlegen, können sie auch selber bestimmen, welche Konsequenzen es hat, wenn sich Schüler nicht daran halten. Es ist unter integrativen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll, dass auch auf dem Schulhof deutsch gesprochen wird. Das hilft allen – vor allem denen, die die deutsche Sprache noch nicht so gut sprechen wie dieses Mädchen. 

 

Susanne Eisenmann (CDU) / dpa

Aber das Kind beherrscht die deutsche Sprache. Funktioniert so Integration, ihm mit einer Strafarbeit zu signalisieren: Du gehörst eigentlich nicht dazu?
Von der Regel, auf dem Pausenhof deutsch zu sprechen, profitiert die Schulgemeinschaft. Daher haben alle Beteiligten diese Vereinbarung getroffen. Ich kann die Auffassung nicht teilen, dass das ausschließend ist und nicht einbindend. 

Die Eltern der Drittklässlerin fragen sich, ob das Mädchen auch dann eine Strafarbeit bekommen hätte, wenn es nicht Türkisch gesprochen hätte, sondern, sagen wir, Chinesisch oder Hebräisch. 
Wenn es diese Regel gibt, dass deutsch gesprochen werden soll, ist es natürlich egal, welche andere Sprache gesprochen wird. Dann muss die Strafarbeit erledigt werden. Ich halte es für sehr manipulativ, zu behaupten, das habe mit der türkischen Sprache zu tun. 

Ist das nicht im Schulgesetz geregelt, ob Kinder in der Pause ihre Herkunfts- oder Muttersprache sprechen dürfen?
Es bleibt den Schulen überlassen, sich solche Regeln selbst aufzuerlegen. Das gilt übrigens nicht nur für die Frage, ob deutsch auch auf dem Pausenhof gesprochen wird. Es gibt auch Schulen, die sich selbst ein Handyverbot auferlegt haben. Und gar nicht wenige Schulen haben sogenannte Schuluniformen für sich definiert – also meistens Jeans und T-Shirt oder Sweatshirt. Entscheidend ist für uns, dass die Schulstandorte solche Regeln mit allein Beteiligten in einem demokratischen Prozess entwickeln. 

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Aber kann eine Schule das Grundrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit einfach aushebeln, indem sie den Kindern verbietet, in der Pause in ihrer Mutter- oder Herkunftssprache zu sprechen?
Es gibt natürlich keine Rechtsgrundlage, um von staatlicher Seite die Vorgabe zum Gespräch in der deutschen Sprache verbindlich vorzuschreiben. Aber bei Vereinbarungen wie „Wir sprechen alle deutsch“ oder „Handyverbot“ geht es ja genau immer um die Frage, wie man jenseits des Unterrichtes miteinander umgeht. Darum ist es ja gerade so wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden werden. So etwas funktioniert nur, wenn es von allen getragen wird. Die Regeln beziehen sich immer auf das Schulgelände, aber jenseits des Unterrichts. 

Sie waren vor Ihrem Wechsel in die Landesregierung jahrelang Schulbürgermeisterin in Stuttgart. Hatten Sie so einen Fall schon mal?
Wir haben viele Schulen in Baden-Württemberg, an denen Vereinbarungen wie „Wir sprechen deutsch“ gelten. Das ist kein Einzelfall. Und das Aufstellen solcher Regeln als Schulgemeinschaft ist im Übrigen ein guter demokratischer Bildungsprozess. In der Regel kommt es aber bei uns im Ministerium nicht an, wenn es einzelne Verstöße gibt.

Aber die Rede ist von Deutsch, nicht von Hochdeutsch? 
(lacht) Es geht auch um Schwäbisch. Ich kann nicht ausschließen, dass es in einigen Bereichen auch dialektal wird. Ich würde zwar sagen, es ist immer noch deutsch. Aber als gebürtige Schwäbin habe ich da vielleicht einen anderen Blick drauf. 

2017 haben Sie zu dem Thema noch eine andere Meinung gehabt. Der Anwalt der Familie verweist auf eine Stellungnahme des baden-württembergischen Kultusministeriums zur AfD-Anfrage „Deutsch als verpflichtende Umgangssprache an Schulen“ („Schulhofsprache“). Darin heißt es, die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht für Schülerinnen und Schüler schlössen das Recht ein, außerhalb des Unterrichts in einer anderen Sprache zu sprechen. 
Das ist noch immer unsere Rechtsposition. Wie gesagt, die Schulen können sich aber selbst Regeln geben. Das ist kein Widerspruch. 

Sie ziehen als CDU-Spitzenkandidatin in den Landtagswahlkampf. Müssen Sie nach den Stuttgarter Krawallnächten eine härtere Gangart einlegen, um sich von Ihrem grünen Koalitionspartner und Konkurrenten abzuheben? 
Nein, das ist Unsinn. 

Sind solche Regeln seit der Flüchtlingskrise wichtiger geworden?
Wir merken, dass sich insgesamt mehr Schulen damit befassen. Ich glaube aber nicht, dass das zwingend mit der Integration zu tun hat. Das Einüben von demokratischen Prozessen und das Erlernen von Rechten und Pflichten spielt im bildungs- und erziehungspolitischen Bereich eine große Rolle, und das ist gesellschaftlich wichtiger geworden. Deshalb begrüße ich es, dass sich Schulen mit dem Thema befassen. 

Lesen Sie hier unser Interview mit dem Anwalt der Familie des Mädchens: „Wie kann man Schülern einen Deutschzwang auferlegen?"

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