Stephan Brandner - Bis hierhin – und nicht weiter

Der Rechtsausschuss des Bundestages hat erstmals in der Geschichte seinen Vorsitzenden abgewählt. Der AfD-Politiker Stephan Brandner war wiederholt durch Beleidigungen im Parlament und auf Twitter aufgefallen. Die AfD spricht von einer Niederlage für die Demokratie. Aber ist es das wirklich?

Bis hierhin und nicht weiter: / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es war ein Moment, der die Geschichte des deutschen Parlamentarismus in ein Davor und ein Danach teilte. Und es verrät viel über den Zustand dieser Demokratie, dass es jetzt zwei völlig verschiedene Antworten auf die Frage gibt, ob das ein Sieg oder eine Niederlage ist. Heute hat der Rechtsausschuss des Bundestages seinen bisherigen Vorsitzenden Stephan Brandner (AfD) abgewählt. So etwas hat es in 70 Jahren seit Gründung der BRD noch nicht gegeben. Einen Ausschuss-Vorsitzenden, der nicht müde geworden ist, politische Gegner zu beschimpfen und dabei jedes Maß verlor, allerdings auch nicht. 

Dieser Politiker ist Jurist. Und er ist Abgeordneter der AfD. Er gilt als Vertrauter von Björn Höcke, dem Chef jenes völkischen Flügels, den der Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft hat. Auch das macht die Causa Brandner zu einem Testfall für die Demokratie. Denn mit dieser AfD ist eine Kultur in den Bundestag eingezogen, die die Grenze zwischen Debatte, Streit und Beschimpfung immer weiter verwischt hat. Stephan Brandner war daran maßgeblich beteiligt. Ein Mann, der während einer Parlamentssitzung demonstrativ Zeitung liest; ein Mann, der die Kanzlerin öffentlich eine „Fuchtel“ nennt, die man „anklagen“ und „einknasten“ möge; ein Mann, der nach dem dem Terroranschlag von Halle einen Tweet bewusst weiterverbreitete, der eben diesen Anschlag herunterspielte und die Opfer verhöhnte – „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Schließlich seien ja „eine Deutsche , die gern Volksmusik hörte“ und „ein Bio-Deutscher“ Opfer des Amokläufers von Halle geworden. Ist so einer ein würdiger Vorsitzender eines Ausschusses, der im Kern für den Rechtsstaat zuständig ist, für das Strafrecht, das Bürgerliche Recht und den Geist des Grundgesetzes? 

Angriff auf die Demokratie

Nein, hatte der Deutsche Anwaltsverein (DSV) schon vor der Abwahl Brandners befunden. Nein, urteilten jetzt auch alle Ausschuss-Mitglieder bis auf die Abgeordneten der AfD – und sie beriefen sich auf den jüngsten Ausfall Brandners. Diesmal hatte er das im Oktober verliehene Bundesverdienstkreuz an den AfD-kritischen Rocksänger Udo Lindenberg als „Judaslohn“ bezeichnet und dass es daher kein Wunder sei, dass der Sänger gegen die AfD „sabbert“. Lindenberg hatte sich zuvor mit einem Facebook-Statement deutlich gegen die AfD positioniert. Ob es legitim ist, Brandner in diesem Zusammenhang Antisemitismus zu unterstellen, diese Frage muss im Zweifelsfall ein Gericht beantworten. Brandner hatte damit argumentiert, es sei ein reiner Schmähbegriff, den auch andere Politiker wie etwa Karl Lauterbach schon im Parlament benutzt hatten. 

Für den Ausschuss war dieser verbale Ausfall aber nur der letzte Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brachte. Sie argumentierten, es könne nicht sein, dass ausgerechnet dieser Ausschuss von einem Mann repräsentiert werde, der andere Menschen beleidige, diffamiere und Werte mit Füßen trete, die doch eben das Gerüst dieser Demokratie bildeten – und das, obwohl er es als Jurist doch eigentlich besser wissen müsste.

Lehren aus dem Fall Lübcke 

Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wiegt dieser Einwand schwer. Der Ton im Parlament  ist rauer geworden. Er hat auch die gesellschaftliche Atmosphäre vergiftet. Der CDU-Politiker Lübcke wurde von einem Rechtsextremisten hingerichtet, der sich in dem Glauben wähnte, er würde nur einen angeblichen Volkswillen vollstrecken.

Befeuert wurde er auch vom völkischen Flügel der AfD. Der arbeitet daran, das Vertrauen in den Bundestag und in die so genannten „Altparteien“ zu erschüttern. Er suggeriert, „ein Kartell“ dieser Parteien diene nicht dem Gemeinwohl. Im Gegenteil: Es schade ihm. Erscheinen Angriffe auf Vertreter dieses Staates vor diesem Hintergrund nicht als Notwehr?

Rote Linie der Meinungsfreiheit

Zu dieser verqueren Logik passt, dass sich Stephan Brandner jetzt als Opfer einer Rechtsverletzung stilisiert.

Dass er schimpft und sich dabei wieder im Ton vergreift, unterstützt von den beiden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel. Sie sprechen von einer Niederlage für die Demokratie. Dass sich Brandner dabei auf die Meinungsfreiheit beruft, zeigt, dass er gar nicht verstanden hat oder nicht verstehen will, worum es hier eigentlich geht. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass man gegen Andersdenkende hetzen darf. Genau dieses Zeichen hat der Rechtsausschuss mit der Abwahl Brandners gesetzt. Er hat die rote Linie markiert, wo Debatte aufhört und wo Beleidigung beginnt: Bis hierhin – und nicht weiter. 

 

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