Statdtgespräche im März - Nur wir alle zusammen

Das „Lammert-Theorem“ gibt den Grünen die Schuld am AfD-Erfolg, auch CDU-Leute haben nette Hunde, Friedrich Merz inspiriert Berlins Küche – und die Stimme der Kanzlerin beschwört Gemeinsamkeit

Unsere Stadtgespräche im März
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Grober Westfale

Themen-Buffets kennt man von Kreuzfahrtschiffen oder Ferienklubs: Wenn da etwa der „Bayerische Abend“ ausgerufen wird, biegen sich die Tische unter Weißwürsten, Schweinsbraten und anderen lokalen Spezialitäten. Als unlängst Friedrich Merz im Ballhaus Berlin zu Gast war, um dort mit einer Rede und einem anschließenden Gespräch unter Beweis zu stellen, warum er sich zu Höherem berufen fühlt, reagierten die Betreiber des Tanzlokals mit einem Themen-Buffet der besonderen Art: Die Gäste konnten sich an einem Essensstand mit Bockwurst namens „Dicker Sauerländer“ versorgen, dazu gereicht wurde Senf der Machart „Grober Westfale“. Die Anspielung auf Merzens sauerländische Herkunft war nicht zu übersehen. Dick ist er allerdings beileibe nicht. Marko Northe

 

Lammerts Theorem

Am Pariser Platz diskutieren die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg und ihr CDU-Kollege Paul Ziemiak über die Frage, was denn bürgerlich sei. Danach ein Glas Wein und ein Plausch mit Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert, immer ein Quell der Inspiration. Diesmal erfrischt er mit der Feststellung, die Grünen seien schuld am Erstarken der AfD – eine These, die ihm uneingeschränkte Aufmerksamkeit sichert. Das Lammert-Theorem geht so: Weil die Grünen 2013 ganz knapp nicht in eine Regierung mit Merkel gegangen seien und stattdessen die SPD, hätte Letztere ihre Oppositionsrolle nicht wahrnehmen können bei Merkels Euro- und Migrationspolitik. Grübelnder Abgang. Interessant. Aber könnte es sein, dass Lammert da das Verursacherprinzip außer Acht lässt? Christoph Schwennicke

 

Surprise, surprise 

Berlin ist um seinen Ruf besorgt. Darum muss der Spätkauf ebenso unter Artenschutz gestellt werden wie die Klub-, also Diskothekenkultur. Kaum etwas trägt zum Ruf Berlins als lässiger Metropole so viel bei wie die weltweit größte Dauerbaustelle, der BER. Nun geht die Sorge um, mit der für Oktober 2020 terminierten BER-Eröffnung könnte Berlin an Attraktivität einbüßen. Abhilfe musste her, und sie wurde gefunden. Der Umbau des Bahnhofs Zoologischer Garten soll sich bis 2027 statt nur bis 2020 hinziehen. Der Grund ist berlinerisch: Man sei bei den Baumaßnahmen auf „unglaubliche Überraschungen“ gestoßen, auf Kabel, die in Plänen nicht verzeichnet waren. Da hat Berlin noch einmal Glück gehabt. Hier wäre plötzliche Überraschungsarmut eine unglaubliche Überraschung. Alexander Kissler

 

Wuff!

Der gütige Thüringer Landesvater Bodo Ramelow geht durch schwere Zeiten. Treu an seiner Seite stehen jedoch Frau und Hund Attila. Ihnen widmete er im Februar einen Tweet: „Hallo Schatz, ich liebe Dich und danke Dir von ganzen (sic!) Herzen, dass Du mir den Rücken frei hältst! Selbst unser AttilaDerHundi leidet unter der derzeitigen Situation. Alles wird gut – Baci.“ Das dazugehörige Bild zeigte seine dritte Ehefrau Germana Alberti vom Hofe mit Hündchen Attila auf dem Arm, beide lächelnd. Michael ­Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU im Bundestag, wollte dem in nichts nachstehen. Beim traditionellen Frühstück mit den Hauptstadtjournalisten im Bundestag äußerte er seine Zuversicht, dass sich die Situation in Thüringen entspannen werde. Schließlich habe Ramelow ja auch ausreichend Unterstützung von seiner Frau und seinem Hund, fügte er süffisant an. „Wir haben auch einen Hund. Auch einen Jack Russell, aber eine Hündin, die weitaus schöner ist als Attila.“ Was Grosse-Brömers Hündchen allerdings nicht hat, ist ein eigener Twitter-Account. Wer sich jedoch @AttilaDerHundi genauer anschaut, merkt bald, dass da kein Vierpföter twittert, sondern Ramelows Ehefrau. Die arbeitet als persönlicher Coach und bietet folgende Dienste an: „Führungsqualitäten stärken und mit Konfliktsituationen besser umgehen.“ Alexander Marguier

 

Italienhiebe

Noch bevor der Orkan Sabine durch Europa fegte, stob ein finanzpolitisches Unwetter namens Friedrich durch Berlin-Mitte. Und es ließ ahnen, welcher Wind in der Eurozone rhetorisch wehen wird, sollte Merz womöglich Finanzminister oder gar Kanzler werden. In den Räumen des Ullstein-Verlags stellte Merz ein neues Buch seines CDU-Wirtschaftsratskollegen Wolfgang Steiger vor. „Der perfekte Sturm?“ sei ihm zwar in Teilen zu drastisch, sagte Merz. Sogar „unwohl“ sei ihm beim Lesen geworden. Im Grundsatz aber teile er Steigers „harte Abrechnung“ mit der Währungsunion. Dann rechnet auch Merz ab – mit Mario Draghi, dem Ex-EZB-Chef, dem zwei Tage später das Bundesverdienstkreuz verliehen wird. „Auf die Begründung bin ich gespannt“, sagt Merz. „Ich kenne sie nicht, aber mir würde auch schwerfallen, eine zu schreiben.“ Gelächter der anwesenden Krawattenträger. Und Merz legt nach: „Die Bereitschaft, Orden anzunehmen, nimmt in Europa von Norden nach Süden eben zu.“ Steiger neben ihm, Träger von Bundesverdienstkreuz und Hessischem Verdienstorden, versucht derweil möglichst unsichtbar zu wirken. Merz spricht über Mentalitäten im Euroraum. Deutsche schafften Regeln, um sie einzuhalten. Für Italiener seien es „Orientierungsgrößen“. Merz will Antworten: „Wie bekommen wir die anderen dazu, sich an Regeln zu halten?“ Er selbst gibt keine. Noch nicht. Bastian Brauns

 

Merkel aus der Konserve

Nicht ihr Geist schwebte über den Wassergläsern in der Bayerischen Landesvertretung, aber ihre Stimme im Raum. Es war die abwesende Kanzlerin, mit der der Auftakt zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz gesetzt wurde. „Nur wir alle zusammen“ erklang im bekannten Brandenburger Idiom, als das Imagevideo anhob und der „Kick-off“ begann. Wolfgang Ischinger lud vor dem Münchner Stelldichein der Minister und Präsidenten zum Podium nach Berlin. Dort wurde eine Welt skizziert mit vielen Problemen und einer Hoffnung: dass „alle zusammen“ im Gespräch bleiben. Nur habe der Westen schlechte Karten. „Westlessness“, Ent-Westlichung, diagnostizierten die Veranstalter. General James Jones, einst Sicherheitsberater von Barack Obama, widersprach: Der Westen werde stärker und geeinter denn je aus den Krisen hervorgehen. Christoph Heusgen, der die Bundesrepublik bei der Uno vertritt und dort wie nun in Berlin als Befürworter des Atom­deals mit dem iranischen Mullah-Regime in Erscheinung trat, blieb skeptisch. Man solle den Begriff nicht verwenden. Der habe sich als schädlich erwiesen, etwa in Gesprächen mit China. Statt vom Westen möge man von Menschenrechten reden. Aber sind die nicht ein Produkt des Westens? Die abwesende Kanzlerin hätte gewiss eine Antwort parat, an deren Ende „wir alle“ etwas weniger klug wären als zuvor. Alexander Kissler

 

Dieser Text ist in der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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