Stadtgespräche im Juli - Der Osten will Markus Söder

Im Osten der Republik denkt die CDU darüber nach, wie man Markus Söder ins Kanzleramt verhilft, in Berlin hapert es mit der Rechtschreibung und wenn in der Hauptstadt bald die „Öffi-Flat“ kommen sollte, könnte dies ausgerechnet eine grüne Lieblingsklientel vor den Kopf stoßen.

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Der Osten will Söder

Corona hat die Karten für den künftigen CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur neu gemischt. Im Blickpunkt stehen, weil als Ministerpräsidenten in der Seuchenpolitik im Einsatz, NRW-Landeschef Armin Laschet und sein bayerischer CSU-Kollege Markus Söder. Laschet gilt darum momentan als Favorit gegenüber seinen Wettbewerbern Friedrich Merz und Norbert Röttgen. In den Ost-Landesverbänden wird aber über ein Junktim nachgedacht: Wir machen dich nur zum CDU-Chef, wenn du Söder die Kanzlerkandidatur überlässt. Sie halten Söder für zugkräftiger in ihren Landstrichen. Wenn Laschet in dieser Frage eiert, weil er selbst Kanzler werden will, könnte einer seiner Konkurrenten mit einem klaren Bekenntnis zum Kanzlerkandidaten Söder die Karten abermals neu mischen. Christoph Schwennicke


Mützenich kopiert

„Mutmaßungen“ seien das, zu einer Frage, die jetzt überhaupt nicht anstünde, sondern im „Spätsommer“, als sei der noch ewig lange hin. In der Juni-Ausgabe stand in Cicero zu lesen, dass die beiden SPD-Vorsitzenden ­Saskia Esken und Norbert Walter-­Borjans den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich einem Olaf Scholz als Kanzlerkandidat vorzögen. Letztgenannter möchte unbedingt, auch wenn viele in der Partei anzweifeln, wie das Wahlprogramm einer linker gewordenen SPD zum Realo Scholz passen soll. Der ordentliche Parteilinke Mützenich hat jedenfalls unbenommen seiner lauen Dementis den Cicero-Artikel umgehend und vollständig auf seine Homepage gestellt. Macht man das, wenn da angeblich nichts dran ist? Warten wir die Auflösung im Spätsommer ab. Christoph Schwennicke


Sehnsucht nach Familie

Politikern wird oft vorgeworfen, sie wären von vielen Gesetzen selbst gar nicht betroffen. Zu Zeiten von Corona ist das anders: Die Kontaktbeschränkungen galten und gelten auch für das politische Personal. Selbst wenn kein Gesetz es Großeltern verbietet, ihre Enkel zu sehen, waren gerade Politiker gut beraten, allzu engen Umgang zu vermeiden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekannte, es sei ihm „schon sehr ans Gemüt“ gegangen, als er die zwei und fünf Jahre alten Enkel bei der „familiären Videokonferenz“ weinen sah, weil sie unbedingt mal wieder zu Oma und Opa wollten. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wiederum beantwortete die Frage, was er im Lockdown am meisten vermisst habe, ungewohnt sentimental: seine Eltern in den Arm nehmen zu können.hmv


Wumms ohne AKK

Als die GroKo sich auf ihr „Wumms“-Konjunkturpaket verständigt hatte, mussten die Koalitionäre etwas Wichtiges klären – wer bei der Pressekonferenz vor die Kameras darf. Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz waren gesetzt, ebenso Bayerns Ministerpräsident Söder als CSU-Vorsitzender. Aber Merkel kann nicht mehr für die CDU sprechen, Scholz darf es nicht für die SPD tun. Für die Genossen hätten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auftreten müssen, für die CDU deren Nochvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Da aber sämtliche Kaufanreize und Steuersenkungen vom Bundestag verabschiedet werden müssen, wollten die Fraktionsvorsitzenden Brinkhaus (CDU/CSU) und Mützenich (SPD) dabei sein – immerhin soll ja das Parlament nicht als Abnickorgan erscheinen. Wo aber Brinkhaus auftritt, ist der Chef der CSU-Landesgruppe, Dobrindt, meist nicht weit: „Mia san eigenständig.“ Fünf Unionspolitiker und vier von der SPD – dieser Aufmarsch erschien den Koalitionären dann doch zu groß. Also wurden Esken und Dobrindt zurückgezogen. Jetzt hätte die CDU/CSU aber immer noch ein Übergewicht gehabt. Also griff AKK ihrem Ende als CDU-Chefin zuvor und blieb weg. Damit stand es drei zu drei zwischen Schwarz und Rot. Ein kleiner Triumph für die Genossen: Endlich gleich stark wie CDU/CSU – wenn auch nur optisch. hmv


Hauptsache Gesetz

Auf nichts ist Berlins rot-dunkelrot-grüne Stadtregierung so stolz wie auf ihren Anspruch, Geschichte zu schreiben. Dummerweise müsste man dann schreiben können, und daran hapert es. So stimmt es zwar, dass SPD, Linkspartei und Grüne von allem Neuland, das sie täglich betreten, das juristische am meisten schätzen. Allein in dieser Legislaturperiode beglückten die drei Parteien ihre Klientel mit dem (verfassungsrechtlich problematischen) Mietendeckel, dem „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“; danach mit dem (bundesweit und besonders von Polizisten abgelehnten) „Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG)“, und fertig in den Startlöchern steht ein „Gesetz über die Versammlungsfreiheit im Land Berlin“, mit dem erstmals das „Deeskalationsgebot für die Polizei“ Gesetzesrang bekommen soll. Womöglich gibt es trotz steter Misstrauensvoten gegen die Polizei bald noch Polizei genug, die deeskalieren kann. Zum LADG aber findet sich auf der offiziellen Homepage des grün geführten Justizministeriums: Das LADG sei „das erste seiner Art in Deutschlands“, ja, „Deutschlands“, und mit ihm werde „der sozialen Status (…) einbezogen“, jawoll. Deutsche Sprache, schwere Sprache, böse Sprache – diesem Dreiklang folgen die drei Koalitionäre. Berlin, Wunderland: Hier schreibt man Geschichte, weiß aber nicht, wie man „Geschichte“ schreibt. Alexander Kissler


Mit Zwang zur Tram

Noch ist nichts entschieden, aber dass insbesondere die Grünen mit einer sogenannten „Öffi-Flat“ liebäugeln, ist offensichtlich. Ein Euphemismus, beschönigt der Begriff doch einen beabsichtigten Zwang. Denn eine Flatrate für den städtischen ÖPNV gibt es bereits und nennt sich Umweltticket. Wie bei anderen Flatrates auch, kaufen Interessierte freiwillig ein Produkt, das sie dann für einen bestimmten Zeitraum so oft nutzen können, wie sie wollen. Die „Öffi-Flat“ aber, die laut einer Studie für sinnvoll erachtet wird, würde jeden Bürger Berlins zum Kauf eines Bürgertickets verpflichten. Sozial gestaffelt zwar, aber eben alternativlos, auch für Touristen, flankiert von einer Citymaut für Autofahrer. Mit ihrer Flatrate-Idee allerdings könnten die Grünen ausgerechnet jene Gruppe gegen sich aufbringen, der sie während Corona großzügig die Fahrstreifen verbreitern ließ. Die sich oft selbst als Kampfradler bezeichnende Klientel jedenfalls müsste dann ebenfalls mitzahlen, ob sie nun lieber Fußgänger umfährt oder sich mit ihren Rädern in U-Bahnwaggons zur Stoßzeit verkeilt. Autofahren jedenfalls soll innerstädtisch unattraktiver werden, zugleich aber die Randbezirke nicht abgehängt werden, indem U-Bahnlinien ausgebaut würden. Die aber lassen sich nun mal nicht so einfach ausrollen wie ein Fahrradstreifen auf ohnehin bestehenden Straßen. Bastian Brauns

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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