Inflation der Staatssekretäre - Adipöser Apparat

Die neue Bundesregierung verfügt über 63 Staatssekretäre. Das sind deutlich mehr, als nötig wären. Denn die zusätzlichen Führungskräfte führen nicht zu mehr, sondern zu weniger Effizienz in den Ministerien. Dem Ansehen der Politik schadet das Postengeschacher sowieso

Die Mitglieder des neuen Bundeskabinetts auf Schloss Meseberg / picture alliance
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Gernot Fritz arbeitet als Rechtsanwalt. Früher war er Bundesbeamter, zuletzt bis 1999 Ministerialdirektor und stellvertretender Chef des Bundespräsidialamtes.

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Jede Bundesregierung ändert Zuschnitte und Bezeichnungen von Ministerien. Manchmal gibt es dafür fachliche Gründe, häufiger aber geht es schlicht um Koalitionsproporz oder Machtansprüche. Organisationsänderungen gehen freilich nicht per Federstrich. Mit den Kompetenzfeldern müssen Personal und Liegenschaften verschoben und oft vermehrt werden. Das bringt viele Friktionen. Nur selten ist das Ergebnis die Bündelung des Sachverstands oder die Verschlankung der Strukturen. Die Bewegungsrichtung ist regelmäßig eine andere: Der Apparat wächst und die Effizienz leidet. Die Regierung wird adipös.

Eigentlich sollte die Grundstruktur klar sein: oben die Bundeskanzlerin mit einem Chef ihres Kanzleramtes, dann die Ressorts mit jeweils einem Minister als politisch Verantwortlichem und darunter an der Spitze des jeweiligen Hauses ein Staatssekretär. Die Wirklichkeit ist seit langem eine andere. Der Sündenfall begann 1967 während der ersten Großen Koalition mit der Einführung Parlamentarischer Staatssekretäre. Ganz gegen den Gedanken der Gewaltenteilung – der schon bei Bundeskanzlern und Ministern regelmäßig durchbrochen war – wurden Abgeordnete in den Ministerien installiert, deren Aufgabe es war (und weiter ist), die politischen Interessen der Ressorts parlamentarisch abzusichern. Es ist ein Paradoxon, die dem Bundestag gegenüber der Bundesregierung zukommende Kontrollaufgabe in ihr Gegenteil zu verkehren – freilich mit dem angenehmen Nebeneffekt für die Beteiligten, Parlamentarier durch attraktive Posten binden zu können.

Vielzahl zusätzlicher Jobs

Längst ist die anfängliche Ausnahme wuchernde Normalität. Das Kanzleramt hat mittlerweile neben einem Bundesminister als Amtschef – früher reichte dort noch ein Staatssekretär – vier Staatsminister, wie die Parlamentarischen Staatssekretäre dort reputationstrunken heißen. Unter Kanzler Gerhard Schröder brachte es Rot-Grün sogar fertig, dieses Amt durch eine Gesetzesnovelle auch Nichtparlamentariern zu öffnen und so die strukturelle Absurdität weiter zu steigern.

Inzwischen verfügen 14 Bundesministerien über insgesamt 63 Staatssekretäre – 35 parlamentarische und 28 beamtete. Der Blick in die Organigramme der Ministerien verrät, dass Staatsekretäre mancherorts nur als gehobene Abteilungsleiter fungieren – freilich nicht mit deren magerer Amtsausstattung. Denn an jedem Staatssekretär hängt eine Vielzahl zusätzlicher Jobs – von persönlichen Referenten über Sekretariatskräfte bis zu den Fahrern. Der aufgeblähte Apparat wäre verkraftbar, wenn die Inflation der Staatssekretäre die politische Effizienz beflügeln würde. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Denn jedes zusätzliche Leitungsmitglied fordert bevorzugte Zuarbeit des Hauses – Sprechzettel, Terminvorbereitungen, Redeentwürfe, Korrespondenz und bei den Parlamentarischen Staatssekretären nicht zuletzt Hilfestellungen für Wahlkreisinteressen. Zusätzlich fordern Kämpfe um interne Zuständigkeiten ihren Tribut.

Ministerielle Kernaufgaben bleiben liegen

In Ministerien wird jede andere Aufgabe zurückgestellt, wenn die Leitung ruft. Und da alle Anforderungen der Spitze ausnahmslos höchste Priorität genießen, erhöht jedes zusätzliche Leitungsmitglied den Arbeitsdruck, ohne den Output zu verbessern. Der Apparat rotiert, um Anforderungen der Minister und Staatssekretäre zu erfüllen, die es ohne sie gar nicht geben müsste. Viele der eigentlichen Aufgaben bleiben derweil liegen. Der Ausweg besteht dann immer häufiger in der Beschäftigung externer Berater, denen sogar ministerielle Kernaufgaben wie die Erarbeitung von Gesetzentwürfen übertragen werden. Der Wasserkopf bindet mit seinem Arbeitsbeschaffungsprogramm Kräfte, die den unverzichtbaren ministeriellen Aufgaben entzogen werden. Auch die neue Errungenschaft kreativer Bürokratieerweiterung – die Schaffung von Beauftragten der Bundesregierung für allerlei Interessantes (vom Patientenbeauftragten bis zum Russlandbeauftragten) – schafft ministerielle Nebenstränge mit eigenem Personalpolster und großer Fähigkeit zur Ressourcenbindung.

Gewiss ist es für Horst Seehofer angenehm, nach der politischen Sortimentserweiterung in seinem Innen-, Bau- und Heimatministerium die Last auf mehrere Schultern verteilen zu können. Dennoch rechtfertigen die breiten Zuständigkeiten keine acht Staatssekretäre! Auch im Finanzministerium sind sechs Staatssekretäre mehr, als der Arbeit guttun. Besonders abstrus ist der seit einiger Zeit den Vizekanzlern zugestandene Staatssekretär zur Koordinierung derjenigen Ressorts, die von Parteifreunden geleitet werden. So nachvollziehbar es ist, dass der jeweilige Juniorpartner einer Koalition mit seinen Themen neben der Bundeskanzlerin sichtbar bleiben will – einen Staatssekretär für Parteibelange darf es nicht geben! Deshalb sollte auch der Versuch unterbleiben, diese Rolle zwar zu vergeben, aber nach außen zu verstecken.

Der Vorwurf, den Akteuren gehe es weniger um die Sache als um Posten, erodiert seit langem die Glaubwürdigkeit der Parteien. Umso dringlicher ist es, die Regierung wieder nach fachlichen Erfordernissen zu strukturieren, den Wildwuchs in den oberen Rängen der Ministerien zu beschneiden und die Gewalten so zu trennen, wie es demokratischen Grundregeln entspricht. Viel Hoffnung wird man sich nicht machen dürfen.

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