SPD in der Führungskrise - Unbeherrschbare Risiken

Die SPD lässt ihre Mitglieder über das neue Führungsduo abstimmen. Die befürchtete Spaltung macht sich inzwischen deutlich bemerkbar. Aber es drohen noch ganz andere Probleme. Denn diese Form der Doppelspitze könnte sich als Bumerang erweisen

Doppelt hält vielleicht nicht besser / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die Suche der deutschen Sozialdemokraten nach ihren neuen Vorsitzenden neigt sich dem Ende zu, und es wird niemand behaupten können, dass die Partei es sich dabei leicht gemacht hätte. Wie sagte es SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Montag vor dem Fernsehduell der verbliebenen Kandidaten Saskia Esken / Norbert Walter-Borjans und Klara Geywitz/Olaf Scholz so treffend:

Die Zeiten, in denen Parteichefs von irgendwelchen älteren Herrschaften in irgendwelchen Hinterzimmern ausgeklüngelt wurden, sind passé. Und auf die Frage des Moderators, ob er das Verfahren der Mitgliederbefragung noch einmal wählen würde, blieb Klingbeil natürlich nichts anderes übrig als diese zu bejahen. Besonders euphorisch wirkte er dabei allerdings nicht.

Welches Ergebnis bekommen die Parteichefs?

Bis zum 29. November haben alle Genossinnen und Genossen jedenfalls noch die Möglichkeit, ihrem Favoriten-Duo die Stimme zu geben; einen Tag später soll dann das Ergebnis bekannt gemacht werden. Beim Parteitag, der vom 6. bis zum 8. Dezember in Berlin abgehalten wird, küren die Delegierten schließlich das Gewinner-Pärchen. Zu einer Kampfabstimmung kann es nicht kommen, weil das unterlegene Team sich laut Absprache nicht zur Wahl stellen wird. Allerdings benötigt das Siegerteam gemäß Satzung trotzdem eine Zustimmung von mehr als 50 Prozent, um gewählt zu sein. Das wird auch geschehen.

Gleichwohl stellt sich die Frage, mit welchem Wert die neuen Parteichefs am Ende dieser langen und beschwerlichen Suche von den Delegierten gewählt werden. Denn die Spaltung innerhalb der SPD ist schon jetzt deutlich zu spüren – darauf hat übrigens vor dem Fernsehduell ausgerechnet der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch aufmerksam gemacht, indem er einige wenig freundliche Statements aus der unterschiedlichen Lagern der SPD-Basis zitierte.

Glaubenskrieg innerhalb der SPD

Lars Klingbeil wollte diese Gefahr auch gar nicht kleinreden und rief in Reaktion auf Bartschs Unkenrufe sogleich alle SPD-Mitglieder dazu auf, sich nach der Wahl geschlossen hinter die neuen Vorsitzenden zu stellen. Die Frage ist nur, ob der SPD gelingen kann, was mittlerweile selbst die in dieser Hinsicht viel diszipliniertere CDU nicht mehr hinbekommt. Wie bei der CDU tobt innerhalb der SPD ein regelrechter Glaubenskrieg zwischen – grob gesagt – Pragmatikern auf der einen und Zurück-zu-den-Wurzeln-Anhängern auf der anderen Seite. Wer gehört hat, mit welcher Abfälligkeit beispielsweise Saskia Esken über Olaf Scholz zu sprechen pflegte, kann sich kaum vorstellen, dass die Fans von Esken/Borjans am Ende tatsächlich ihre Hand für Geywitz/Scholz heben werden.

Umgekehrt dürfte es überzeugte Scholzianer extrem viel Überwindung kosten, jemanden wie Esken/Borjans ins höchste Parteiamt zu wählen, wenn man diese Paarung als Sargnagel für die SPD sieht. Das alles dürfte sich in einem Wahlergebnis niederschlagen, das in jedem Fall sehr weit unter jenen 100 Prozent liegen wird, die Martin Schulz im März 2017 auf sich versammeln konnte. Und Schulz blieb bekanntlich nicht mal ein ganzes Jahr im Amt.

Jede Vorsitzendenwahl mit 23 Regionalkonferenzen?

Seltsamerweise scheint man im sozialdemokratischen Generalsekretariat fest davon auszugehen, dass das künftige Führungsduo diesmal eine gewisse Nachhaltigkeit beweisen wird. Warum sich dieser Wunsch aber ausgerechnet in einer Partei erfüllen sollte, die während der vergangenen 20 Jahre auf zehn verschiedene Vorsitzende kam, und zwar mit abnehmender Verweildauer, bleibt vorerst das Geheimnis des Lars Klingbeil.

Eher drängt sich die Frage auf, ob die SPD künftig jede Vorsitzendenwahl mit 23 Regionalkonferenzen und einer mehrmonatigen Mitgliederbefragung auf die Beine stellen will. Nach heutiger Lage der Dinge dürfte die Partei dann kaum noch Zeit für anderes haben. Andererseits kann sie auch nicht hinter das jetzt gewählte Prozedere zurückfallen, denn dieses wurde ja vom Generalsekretär als praktisch alternativlos gepriesen.

Doppelpack statt Doppelspitze

Dabei tun sich bei der Kür des neuen Führungsduos auch noch ganz andere praktische Probleme auf. Denn die beiden Vorsitzenden werden ja ausdrücklich nicht als jeweilige Einzelkandidaten zur Doppelspitze gewählt, sondern tatsächlich als Doppelpack. Was aber, wenn eine oder einer der beiden neuen Parteichefs (warum auch immer) aus dem Amt scheidet – und sei es nur aus gesundheitlichen Gründen? Gilt hier das Prinzip der Witwenverbrennung? Oder kann diese Person dann durch eine andere ersetzt werden, wo doch die Delegierten ausdrücklich eine ganz bestimmte Kombination Mann/Frau gewählt haben?

Letzteres dürfte kaum dem Geist des Verfahrens entsprechen, für das die SPD sich jetzt entschieden hat. Faktisch werden die beiden neuen SPD-Parteichefs in geradezu unverbrüchlicher Weise aneinander gekettet sein. Selbst die traditionell auf Doppelspitzen eingeschworenen Grünen lassen über ihr Kandidaten-Duo jeweils einzeln abstimmen. Und zwar aus gutem Grund.

Allem Anschein nach hat sich die SPD in ihrer Führungskrise auf eine Methode eingelassen, die sich schon bald als unbeherrschbar erweisen könnte. Vertrauen bei den Bürgern gewinnt man so eher nicht.

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