SPD - Ablenken vom eigenen Versagen

Die SPD scheint dieser Tage visions- und ziellos zu sein. Im Zick-Zack-Kurs ist sie mal gegen, mal für Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin. Wer sich so verhält, muss sich nicht wundern, wenn er dafür vom Wähler abgestraft wird

Besonders Sigmar Gabriel fiel in den vergangen Tagen mit einem Hin und Her der Meinungen zu Ursula von der Leyen auf / picture alliance
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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Was ist bloß mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands los? Die einst stolze Arbeiterpartei macht nur noch fassungslos. In jedem Hühnerhaufen herrscht mehr Ordnung als derzeit in der SPD. Der Umgang mit der Kandidatur Ursula von der Leyens zeigt überdeutlich: Die Genossen sind von der Rolle. Der Partei fehlt „ein Kopf“, um ein altes Urteil von Herbert Wehner zu zitieren. Sie hat zwar deren drei an der Spitze, aber keine Vision und kein Ziel. Außer vielleicht dem, trotz alledem irgendwie mitzumischen, um nicht gänzlich von der Bildfläche zu verschwinden.

So torkelt die älteste demokratische Partei von einer Peinlichkeit in die andere. Dazu passt der taumelnde Zick-Zack-Tanz, den der frühere Parteichef Sigmar Gabriel gerade wieder vollführt hat. Erst sah er in der Nominierung von der Leyens einen Grund, die Koalition zu verlassen. Wenige Tage später las man dann, er habe der Kandidatin bescheinigt, dass sie für den Brüsseler Job besonders geeignet sei. Ja, was denn nun? Erst hüh, dann hott. Man fasst sich an den Kopf und glaubt es nicht.

Ein fader Beigeschmack

Im Fernsehen wird dem Publikum gezeigt, wie die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder der gerade frisch nominierten Ursula von der Leyen in der Ministerrunde gratulieren, Familienministerin Franziska Giffey herzt und küsst die christdemokratische Kollegin. Gleichzeitig gibt das amtierende Trio an der Spitze die Losung aus: Wir wählen sie nicht. Ja, was denn nun? 

Katarina Barley, die als SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl wenig bis nichts gegen den Abwärtstrend ihrer Partei ausrichten konnte, zeigte sich in Brüssel als schlechte Verliererin. Dass die deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament neun Mandate weniger haben als vorher, ist zwar nicht ihr allein anzulasten. Aber sie war nun mal die Spitzenkandidatin und hat damit an der Niederlage zumindest einen Anteil. Die Heftigkeit, mit der sie anschließend gegen die Nominierung der einstigen Berliner Kabinettskollegin zu Feld zog, hinterließ einen faden Beigeschmack: Sollte hier vom eigenen Versagen abgelenkt werden? 

Die Lage ist ernst

Zum Glück ist es Barley und ihren Mitstreitern nicht gelungen, die eigene Fraktion im EU-Parlament zu überzeugen, geschlossen gegen von der Leyen zu votieren. Dass aber ausgerechnet eine Frau aus Deutschland die erste Wahl einer Deutschen an die Spitze der EU-Kommission zu hintertreiben versuchte, hat in Brüssel und in Straßburg zu Recht Erstaunen, Unverständnis und Kopfschütteln ausgelöst. Noch peinlicher ist es, wenn Genossen – wie zum Beispiel der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Achim Post – auch nach der knappen Wahl weiter gegen die neue Präsidentin der EU-Kommission stänkern und versuchen, Prinzipienreiterei als Standhaftigkeit auszugeben. Wer so redet, muss sich nicht wundern, wenn er dafür vom Wähler abgestraft wird. 

Was wäre denn passiert, wenn das EU-Parlament die Empfehlungen der deutschen Sozialdemokraten befolgt und Ursula von der Leyen nicht gewählt hätten? Die Koalition in Berlin wäre zwar nicht gleich zerbrochen, weil Union und SPD gleichermaßen den Zorn der Wähler fürchten. Aber der Flurschaden wäre noch viel größer gewesen. Die politische Klasse insgesamt hätte sich wieder einmal blamiert, und das wiederum wäre Wasser auf die Mühlen derer gewesen, die schon lange nur noch mit Verachtung auf die so genannten „Alt-Parteien“ blicken. 

Die Lage ist ernst. Selbst ihre demokratischen Gegner müssen sich allmählich ernsthaft Sorgen um die Zukunft der Sozialdemokratischen Partei Deutschland machen. 

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