SPD im Umfrage-Loch - Die Sozis zwischen allen Stühlen

„Auf den Kanzler kommt es an“: Mit diesem alten CDU-Slogan wirbt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz um Zustimmung. Doch seine Partei bleibt in den Umfragen weit abgeschlagen hinter Union und Grünen. Und es spricht nichts dafür, dass sich daran noch etwas ändert. Trotzdem darf sich Scholz im Fernsehen neben Armin Laschet und Annalena Baerbock präsentieren. Warum eigentlich?

Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD, auf dem Online-Bundesparteitag der SPD am 9. Mai / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Wahlkämpfer müssen so tun, als wäre der Sieg zum Greifen nahe. Das gehört zur Dramaturgie. Doch ein Spitzenkandidat kann in eine Situation geraten, in der ihm niemand mehr sein aufgesetzt wirkendes kraftvolles Gehabe abnimmt. Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat der SPD, wirkt wenig überzeugend, wenn er mit der Formel „Als Bundeskanzler werde ich …“ Großes ankündigt. Wenn er sagen würde, „wählt mich, damit ich Vizekanzler bleiben kann“, klänge es wahrscheinlich realistischer.

Der kühle Hanseat lässt sich von Umfragewerten, wonach die SPD unverändert zwischen 14 und 16 Prozent weit abgeschlagen hinter CDU/CSU und Grünen dahindümpelt, nicht beeindrucken. Besser: Er lässt sich den Ernst der Lage nicht anmerken. „Auf den Kanzler kommt es an. Das ist ein berühmter Satz in Deutschland“, verkündete er nach seiner Nominierung auf dem SPD-Parteitag. Und fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, dass ich es kann.“

Von Kurt-Georg Kiesinger übernommen

Das wird niemand bestreiten: Der Ex-Bundesarbeitsminister, Ex-Regierungschef von Hamburg und aktuelle Bundesfinanzminister kann oder könnte Kanzler. Der Slogan, „Auf den Kanzler kommt es an“, taugt aber kaum als Glücksbringer. Damit ist 1969 Kurt-Georg Kiesinger gegen Willy Brandt in die Schlacht gezogen – und hat verloren. 

Ganz abgesehen von dieser Vorbelastung hat Scholz bei der Motto-Wahl eines übersehen: Kanzler Kiesinger war während des Dritten Reichs ein Mitläufer mit NSDAP-Parteibuch. Da muss Scholz angesichts der im linken Lager herrschenden Cancel-Culture-Atmosphäre aufpassen, dass ihm nicht vorgeworfen wird, er bediene sich bei einem „Alt-Nazi“. Immerhin ist die Genossin Saskia Esken als erklärte „Antifaschistin“ noch nicht auf die Idee gekommen, Kiesingers Parole als belastet einzustufen; auch Kevin Kühnert hat sich noch nicht dazu geäußert. 

Die Sozialdemokraten haben freilich andere, drängendere Sorgen. Es ist für die Partei eine geradezu demütigende Ausgangslage, dass sich unter den beiden aussichtsreichen Bewerbern für die Kanzlerschaft kein SPD-Politiker befindet. Es geht um Baerbock oder Laschet; von Scholz ist nur unter „ferner liefen“ die Rede. 

Aber immerhin kommen Scholz und seine Genossen in den Genuss nostalgischer Gefühle bei ARD und ZDF. Die werden in diesem Wahlkampf nämlich auf das gewohnte „Duell“ verzichten. Stattdessen planen sie, ebenso wie die privaten TV-Sender, sogenannte Trielle, also Dreier-Runden, bei denen Scholz neben den Spitzenkandidaten von Grünen und CDU/CSU dabei sein darf.

In den Umfragen bei 15 Prozent

Logisch ist diese Erweiterung der Zweier- zur Dreierrunde nicht zu erklären. Die SPD schneidet nämlich in den aktuellen Umfragen mit durchschnittlich 15 Prozent nur unwesentlich besser ab als FDP und AfD mit jeweils 11 bis 12 Prozent. Eine Bevorzugung des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten gegenüber denen der anderen beiden mittelgroßen Parteien lässt sich mit diesen Zahlen also nicht begründen.

Vermutlich findet man bei ARD und ZDF die Konstellation „Laschet gegen zwei linke Kanzlerkandidaten“ politisch korrekt. Auch dürfte das Bestreben eine Rolle spielen, die Rechtsaußen von der AfD nicht aufzuwerten. Zudem gibt es in den grün-rötlich gefärbten Funkhäusern durchaus noch eine gewisse nostalgische Anhänglichkeit an die große alte linke Volkspartei SPD von einst. Mitleid mit der SPD als Einladungskriterium? Das wäre aus Sicht von Scholz ja noch deprimierender als die katastrophalen Umfragewerte. 

Die SPD steht vor einem ähnlichen Dilemma wie die CDU/CSU. Von den Versäumnissen der Vergangenheit bei der Digitalisierung, dem Wohnungsbau oder der Modernisierung der Infrastruktur können sich beide GroKo-Partner nach 16-jähriger beziehungsweise 12-jähriger Regierungszeit nicht freisprechen. In der Klimapolitik wiederum wirken beide Koalitionspartner nicht wie Handelnde, sondern wie von den Grünen Getriebene. Dass das Land ziemlich unvorbereitet in die zweite Welle der Pandemie hineingestolpert ist, haben SPD und Union ebenfalls gemeinsam zu verantworten, im Bund wie in den Ländern. 

Die SPD hat auch beim Blick nach vorn wenig Grund zum Optimismus. Bei den wichtigen Themen Wirtschaft und innere Sicherheit halten ungleich mehr Wähler die Union für kompetenter als die Sozialdemokraten, ebenso bei der Digitalisierung und der Sicherung der Renten. In ihrer Kernkompetenz, der sozialen Sicherheit, liegt die SPD zwar vor der Union und ebenfalls vor den Grünen. Was immer die Sozialdemokraten aber auch fordern: Die Linke fordert stets mehr.

Die Linkspartei verspricht mehr

Nur ein Beispiel: Als die SPD noch für einen Mindestlohn von zehn Euro eintrat, waren die Linken schon bei zwölf Euro. Kaum hatte Olaf Scholz versprochen, „als Kanzler“ werde er den Mindestlohn sofort auf zwölf Euro erhöhen, riefen die Linken „mindestens 13 Euro“. Nicht anders ist es bei einem anderen Herzensanliegen der Sozialdemokraten, nämlich der Umverteilung. Die höchsten Steuersätze und den kräftigsten Zugriff auf Vermögen verspricht die Linkspartei.  

Vom linken Parteiflügel propagierte Bemühungen, linker als die Linke sein zu wollen, haben noch aus einem weiteren Grund nur begrenzte Erfolgsaussichten. Die Vorstellung vieler Funktionäre, den Menschen brenne nichts mehr auf den Nägeln als erstens Umverteilung, zweitens Umverteilung und drittens Umverteilung, scheint mit der Wirklichkeit nichts gemein zu haben. Schließlich kommen die beiden Umverteilungsparteien SPD und Linke zusammen nicht einmal auf die ohnehin niedrigen Zustimmungswerte zur schwer gebeutelten CDU/CSU.

Ebenfalls nur geringe Chancen, beim Wähler zu punkten, hat die SPD in der Klimapolitik. Grüner als die Grünen sein zu wollen, kann nicht klappen; da ziehen die Menschen das Original vor. Wenn Scholz aber verspricht, Ökologie und Ökonomie zu verbinden, verspricht das nur geringen Erfolg. Da der SPD nur eine begrenzte Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird, dürften sich nur wenige ausgerechnet von dieser Partei den ökologischen Umbau der Volkswirtschaft erhoffen.

Die Co-Parteivorsitzende Esken ist zwar eifrig bemüht, das Profil der SPD in der Frauenpolitik zu schärfen. Ihr und ihrem Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans geht der „Gender-Sprech“ so fließend von den Lippen, als hätten sie schon als Kleinkinder gelernt, das Wort „Speaker:innen“ mit der entsprechenden Schnappatmung auszusprechen. Ob eine Lidl-Kassiererin oder eine Altenpflegerin, falls sie solchen Reden zufällig mal zuhören, vor Rührung über diese Form sozialdemokratischer Zuwendung Tränen des Glücks vergießt? Eher nicht. Ganz abgesehen davon: Beim Gendern, beim Quotieren wie bei der Bevormundung der Mehrheit durch eine elitäre Identitätspolitik sind die Grünen den Roten weit voraus.

Es bräuchte ein Wunder

Wunder mag es immer wieder geben; selbst in der Politik werden manchmal Märchen wahr. Es müsste schon zugehen wie in einem wunderbaren Märchen, um die SPD bis zum 26. September rund zehn Punkte nach oben zu bringen und damit wieder zurück auf den seit 2002 gewohnten Platz zwei – vor den Grünen. Dabei kommt es nicht auf irgendwelche Slogans an, sondern allein auf die Wähler. 

Von denen aber hat die SPD zu viele verloren – so wie die Partei ihren Kurs.

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