SPD-Parteivorsitz - Darf's ein bisschen mehr sein?

Der Sozialdemokrat Nils Heisterhagen fordert, die Stichwahl zum SPD-Vorsitz besser abzublasen. Zu groß sei die Gefahr, dass sich die Partei danach selbst zerfleische. Stattdessen solle Norbert Walter-Borjans Finanzminister werden und Olaf Scholz Vorsitzender und Kanzlerkandidat

Kandidat Olaf Scholz: Wie viel Prozent darf es sein? / picture alliance
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Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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Ich habe lange überlegt, ob ich in dieser Phase der SPD-Entscheidung über ihren neuen Vorsitz etwas darüber sagen soll, wen die SPD nun zu ihrem Vorsitz wählen sollte. Ich will heute keine eindeutige Wahl-Empfehlung geben. Ich glaube nämlich nicht, dass das jüngste SPD-Casting die einzig richtige Führungsperson gefunden hat. Aber ich will einen neuen Vorschlag unterbreiten.

Beim jüngsten SPD-Casting ist aus meiner Sicht keiner aufgetaucht, von dem man sich sicher ist, dass er oder sie es eindeutig kann und unbedingt werden muss. Es gibt keinen linken Realisten, der gleichermaßen linke Wirtschaftskompetenz, geopolitischen Weitblick, sozialdemokratischen Gerechtigkeitssinn, eine klare Sprache, und ein tiefes Verständnis für die deutsche Industrienation mitbringt. Helmut Schmidt und Oskar Lafontaine waren die letzten, die keynesianisch orientierte Wirtschaftspolitik, mit außenpolitischem Sachverstand und sozialdemokratischer Gerechtigkeitspolitik zu verbinden wussten. Sie waren die letzten Staatsmänner der SPD, die nicht nur ein gutes Verständnis für das Land, sondern auch ein Verständnis für die Kernaufgaben der Sozialdemokratie hatten.

Es fehlt ein Staatsmann oder eine Staatsfrau

Ich will nicht verleugnen, dass ich eine Sehnsucht nach so einem sozialdemokratischen Anführer habe, der Gerechtigkeitspolitik und kluge Wirtschafts- und Außenpolitik miteinander zu verbinden weiß. So ein Staatsmann würde bei der offenen Führungsfrage der Union und der – aus meiner Sicht – fehlenden Eignung von Robert Habeck für das Kanzleramt, die Sozialdemokratie bei der nächsten Wahl auf weit über 20 Prozent und endlich wieder ins Kanzleramt führen. Doch dieser Staatsmann oder diese Staatsfrau fehlt.

Nun also muss die SPD sich zwischen zwei Teams entscheiden. Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Ich glaube, egal wie sie sich gerade entscheidet, ab Dezember wäre die Partei gespaltener denn je und der schnelle Absturz würde beginnen. Wahrscheinlich ginge es bei Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken dabei noch schneller.

Es fehlt sozialdemokratischer Weltschmerz

Ich will kurz begründen, warum ich in Norbert Walter-Borjans, dem SPD-Robin-Hood, nicht den Heiland sehe, obwohl mir sein Ansatz mit sozialdemokratischer Gerechtigkeitspolitik ernst zu machen entgegen kommt. Dann werde ich erklären, warum ich Olaf Scholz auch nicht für den Heiland halte, und wie man am Ende das ganze Vorsitz-Dilemma der SPD lösen könnte.

Beginnen wir mit Norbert Walter-Borjans. Ich habe ihn gerade bei Hart aber fair im Fernsehen gesehen. Norbert Walter-Borjans wirkte dort nicht nur brav, sondern auch müde. Neben ihm saß Norbert Röttgen von der CDU, der klug analysierend und leidenschaftlich redend, die missliche Lage vieler westlicher Demokratien ansprach. Der CDU-Mann Röttgen, von dem man es weniger erwarten durfte, hatte an diesem Abend also mehr Weitblick für das, was da auf uns bald noch zukommen könnte. Und ihn trieb das sichtbar um. Da litt an diesem Abend jemand an den neuen Turbulenzen westlicher Demokratie.

Dieses sichtbare Leiden hätte man eher von Norbert Walter-Borjans erwarten dürfen. Ja, man muss es sogar erwarten, weil Borjans als der irgendwie systemkritische Kandidat gilt. Was Borjans scheinbar abgeht, ist der sozialdemokratische Weltschmerz. Ich fühle nicht, dass er leidet. Und das müsste er eigentlich, um seiner Idee von Sozialdemokratie auch persönlich zu entsprechen.

Unkonkret und vage

Seinen Ansatz, den SPD-Bus aus der „neoliberalen Pampa“ herauszufahren, finde ich zwar richtig. Nur muss man auch wissen wie das geht, und welche Kämpfe man dafür führen muss. Ich bin mir da nicht so sicher, ob er die richtigen Prioritäten setzen würde. Vor allem seine Partnerin Saskia Esken redet mir zu sehr Metatheorie über Steuer- und Sozialpolitik und benutzt das Wort „Sozialismus“ viel zu oft, obwohl sie ja nur linke Sozialdemokratie meint.

Norbert Walter-Borjans scheint mir davon angesteckt zu sein. Er ist so vage, dass ich als normaler Bürger wieder genauso genervt wäre wie von Martin Schulz 2017, der es in seinem „Gerechtigkeitswahlkampf“ nicht schaffte, eindeutig das WIE zu beantworten. Schulz hatte ja alles auf dem Tablett, er hatte die Stimmung hinter sich und die Zuschreibung ein aufrechter Sozialdemokrat zu sein. Dann hat er aber so lange schwadroniert, bis die Wähler sich entnervt abwandten. Wäre er konkret geworden und hätte er auf die richtigen steuer- und sozialpolitischen Instrumente gesetzt, säße er heute im Kanzleramt.

Keinen radikalen, metatheoretischen Verein

Ich befürchte, dass es unter Borjans/Esken und ihrem erwartbaren Generalsekretär Kevin Kühnert zu einem schnellen Absturz der SPD kommt, weil mit ihnen der SPD nicht zugeschrieben wird, eine Partei der linken Vernunft zu sein, sondern irgendwie ein radikaler Verein, der metatheoretisch über dies und das redet, aber nicht genau weiß, für welche Instrumente die SPD am Ende eigentlich konkret streiten soll. Vor allem ein erwartbarer mangelnder Zuspruch an wirtschaftspolitischer Seriosität dürfte Borjans/Esken/Kühnert am Ende das Genick brechen. 

Zu dieser Sorge kommen für mich größere Fragezeichen beim Team Borjans/Esken. Saskia Esken, die auf Twitter regelmäßig ihre links-libertären Ansichten verkündet, wird es Borjans zum Beispiel nahezu unmöglich machen, einen rationalen Diskurs über innere Sicherheit, Migration und Integration zu führen. Kevin Kühnert würde das auch verhindern. Kühnert, das will ich hier der Fairness halber sagen, ist aus meiner Sicht schon ein politisches Talent. Er hat eine Berliner-Schnauze – mir gefällt das.

Die Mitte liegt zwischen Kühnert und Buschkoswky

Nur kommt eine größere Verantwortung für ihn mindestens zehn Jahre zu früh. Zudem fehlt ihm bislang schlicht Wirtschaftskompetenz. Er sollte unbedingt sein Studium beenden und seine Abschlussarbeit im besten Fall im Bereich der politischen Ökonomie wählen. Wenn er dann Wissenschaftsstaatssekretär in Berlin unter einer Bürgermeisterin Franziska Giffey würde, kann er sich beweisen und man schauen, ob er Realpolitik kann. Momentan lebt Kühnert nur von flotten Sprüchen und dem diffusen Versprechen, mit ihm würde alles anders.

Kühnert/Esken/Borjans sind vor allem gerade nicht die Einheit der Partei. Die Mitte der Partei liegt zwischen Kevin Kühnert und Saskia Esken auf der einen Seite und Otto Schily und Heinz Buschkoswky auf der anderen Seite. Die SPD ist nicht dieser stromlinienförmige Laden, so wie er vielen Bürgern immer wieder vorkommt, weil die Parteizentrale unter Generalsekretär Lars Klingbeil es immer wieder medial so spielt als gäbe es nur eine irgendwie linksliberale SPD. Sicher, der SPD-Parteivorstand ist konformer geworden und weniger Volkspartei. Aber die Breite der SPD gibt es an der Basis schon noch. Die SPD ist vielfältiger als sie einem heute zu oft vorkommt. Die SPD ist eigentlich auch nicht diese unpolitische und inhaltsleere Partei, so wie sie uns Katarina Barley diese Partei im Europawahlkampf präsentiert hat.

Die SPD will jemanden kämpfen sehen

Und das lässt mich nun zu Olaf Scholz kommen. Kann er vielleicht die Mitte der Partei sein? Kann er versöhnen und vereinen?
Olaf Scholz ist ein vernünftiger Typ. Zwar ist er keiner, der bei mir Leidenschaften weckt, oder der wie Sigmar Gabriel sozialdemokratischen Weltschmerz hat und Tacheles reden kann. Aber Scholz ist ein anständiger Sozialdemokrat. Er will 12 Euro Mindestlohn und Veränderungen in der Steuerpolitik. Und – das ist jetzt zwar eine gewagte These – wenn die Union nicht wäre, würde er auch die „Schwarze Null“ killen. Dass er das nicht offen sagen will, ist sein momentan größter Fehler. Er vermittelt einfach nicht das Gefühl, als würde er sich gerne mal mit Freidemokraten und Christdemokraten in Sachen politischer Ökonomie zoffen wollen. Die SPD will da an der Parteispitze aber gerade jemanden kämpfen sehen. Sie wollen einen Kämpfer. Vom Typ und Charakter her, ist das Scholz halt nicht.

Ich glaube trotzdem, dass er momentan der richtige Parteivorsitzende wäre. Denn wer die Wirtschaftspolitik, innere Sicherheit, Außenpolitik vergisst und nicht seriös sozialdemokratisch bespielen kann, wird für radikalrealistische Änderungen in der Steuerpolitik und Sozialpolitik keine Mehrheit bekommen. Anders gesagt: Only Nixon can go to China.

Die Partei würde nicht zur Ruhe kommen

Olaf Scholz ist wohl dieser sozialdemokratische Nixon. Mit Scholz sind 12 Euro Mindestlohn, eine große Steuerreform, die Verlängerung der Anspruchsberechtigung des Arbeitslosengeldes I, ein gelingender Infrastrukturplan für Deutschland, so etwas wie die Gründung einer „Bundesagentur für Weiterbildung“, ein echter Digitalpakt, eine neue Forschungs- und Bildungspolitik, eine „ökologische Industriepolitik“ und überhaupt eine deutsche Industriestrategie nach 2021 einfach realistischer. Vielleicht ist mit Scholz auch eine neue sozialdemokratische Sicherheitspolitik möglich, wenn er sich daran erinnert, dass er einmal sagte, dass er zwar liberal, aber auch nicht doof sei.

Nun will ich hier Olaf Scholz aber auch nicht einfach so eine Wahlempfehlung aussprechen. Wie gesagt: Der Heiland ist er nicht. Ich glaube nicht, dass die Partei zur Ruhe kommt und schnell aufsteigt, wenn er nun gewählt würde.
Daher habe ich hier und heute einen Kompromissvorschlag:

Walter-Borjan als Finanzminister

Norbert Walter-Borjans und Olaf Scholz sagen die Stichwahl ab und kommen über Folgendes überein: Olaf Scholz wird Parteivorsitzender und im Gegenzug räumt Olaf Scholz das Finanzministerium und übergibt es an Norbert Walter-Borjans. Norbert Walter-Borjans wird dann bis 2021 ein guter Finanzminister sein und der SPD-Linken das Gefühl geben, dass sie in dieser Partei noch lebt.

Olaf Scholz wird dann als neuer SPD-Vorsitzender auch Kanzlerkandidat. Keine Ahnung, ob er dann auch Kanzler wird. Aber zumindest eine Chance wäre da. Ein paar Empfehlungen seien ihm dafür noch mit auf den Weg gegeben: Er sollte sich zuerst einen neuen Generalsekretär suchen. Und dann Boris Pistorius in sein Schattenkabinett für das Innenministerium holen, dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann das Arbeits- und Sozialministerium anbieten, und für das Wirtschaftsministerium einen neuen Karl Schiller finden.

Glück auf, liebe SPD. Noch hast du die Chance das Richtige zu tun. Lieber jetzt in Eintracht das Richtige tun, anstatt sich ab Dezember vollends selbst zu zerfleischen.

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