SPD-Parteivorsitz - Germany’s Next Top Sozi

Zwischen Realsatire, Kuppel-Show und Arthur Schnitzler: Zum jüngsten Stand der Kandidatenkür bei den Sozialdemokraten. Die besser ist als Privatfernsehen. Und spannender als Heidi Klum und die Bachelorette

Bewerben sich Heiko Maas und Sawsan Chebli ebenfalls für die Doppelspitze der SPD? / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Neuestes Geflüster gefällig? Heiko Maas und Sawsan Chebli. Der Mann in den XS-Slim-Fit-Anzügen, den die Welt gerade in einem vernichtend luziden Kommentar zur weltreisenden Plattitüde erklärt hat. Und die dauertwitternde Berliner Staatssekretärin, deren Geltungsbedürfnis allenfalls gelegentlich von der Peinlichkeit getoppt wird, die mit ihren Einlassungen einhergeht. Ein Traumpaar. Das grüne Glamour-Couple Habeck und Baerbock sollte sich schon mal auf etwas gefasst machen.

Es ist nun zwei Monate her, dass Andrea Nahles als Parteichefin und Fraktionsvorsitzende gleichermaßen zurückgetreten ist. Und damit ist es ein guter Zeitpunkt, den vorläufig inoffiziellen Zwischenstand bei der Suche nach einem neuen Führungsduo der Sozialdemokratie zu dokumentieren.

Geflüster, offizielle Bewerbungen und eine Zwischenform

Wegen der Vorgabe, dass es vorzugsweise ein gemischtes Pärchen sein soll, hat die bisherige Kandidatenfindung die Anmutung einer Kuppelshow. Nicht „Bauer sucht Frau“. Sondern „Sozi sucht Soza“. Strukturell muss man wiederum unterscheiden zwischen Geflüster, offiziellen Bewerbungen und einer Zwischenform.

Diese Zwischenform hatte als erste die zweimal gescheiterte Kandidatin der SPD für das Bundespräsidentenamt, Gesine Schwan, gewählt. Unmittelbar nach dem Rückzug von Andrea Nahles gab sie am Morgen ein Interview im Deutschlandfunk, und so, wie das Gespräch verlief, konnte man sich des Verdachts nicht erwehren, dass sich Schwan mit dem Lockmittel eines nachrichtlichen Knüllers selbst eingeladen hatte. Denn sie zeigte sich bereit, einem Ruf zu folgen, der gar nicht erschollen war, sich als Vorsitzende in den Dienst ihrer Partei zu stellen, am besten als mütterliche bis großmütterliche, weise Dame gesetzteren Alters (sie ist 76 Jahre alt) an der Seite des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, der maßgeblichen Anteil am Sturz von Andrea Nahles für sich in Anspruch nehmen kann.

Wäre Gesine Schwan so viel Perfidie und Raffinesse zuzutrauen, hätte man glauben können, sie habe Kühnert (Der Spiegel titelte in jenen Tagen: „Kommt jetzt Kevin?“) mit dieser Damenwahl den Garaus machen wollen. Vermutlich aber verhielt es sich anders. Weder wollte Schwan einen kleinen Scherz noch Kühnert mit diesem Todeskuss unschädlich machen. Sie meinte das ernst.

Gegenseitiges Vertrauen

Ebenso, und damit sind wir in der zweiten Kategorie der offiziellen Bewerbungen, wie Michael Roth und Christina Kampmann. Dem Europa-Staatsminister und der ehemaligen NRW-Familienministerin gebührt das Kompliment, sich als erste aus der Deckung gewagt und eine Begründung mitgeliefert zu haben: „Wir beide vertrauen uns gegenseitig. Deshalb trauen wir uns zu, in einer schwierigen Lage als Team für den Parteivorsitz anzutreten.“

Sie vertrauen sich! Wann hat es so was schon zum letzten Mal in der SPD gegeben: Vertrauen. Und das auch noch untereinander. Gegen dieses Alleinstellungsmerkmal, diesen Unique Selling Point, wie der Marketingfachmann sagt, werden es die meisten anderen Paarungen sehr, sehr schwer haben.

Nächste offizielle Paarung beim Schaulauf auf dem SPD-Eis: Karl Lauterbach und Nina Scheer, beide Bundestagsabgeordnete aus der Parteilinken. Er ist als Gesundheitsexperte bekannter als jeder bunte Hund, sie bisher als Umweltexpertin eher dezent geblieben, jedenfalls dezenter als ihr schriller Vater Hermann Scheer, genannt „Solar“-Scheer. Lauterbach und Scheer unterscheiden sich mit ihrer Kandidatur von jener des Duos Roth/Kampmann insofern, als sie sie weniger auf der persönlichen Ebene begründen als auf der fachlichen. Man könnte sie als das „Groxit“-Couple bezeichnen, also jene Paarung, die die SPD garantiert aus der Großen Koalition führt.

Raus aus der Groko

Hard Groxit, soft Groxit, ganz egal. Hauptsache raus aus der Großen Koalition. Boris Johnson hat in Großbritannien gezeigt, dass man es mit einer in der Wählerschaft (und unter den Parteimitgliedern) solch populären Forderung weit bringen kann. Es könnte allerdings sein, dass sich Scheer und Lauterbach insoweit verschätzen, als die Groxit-Position mehr unter den Funktionären, weniger in der breiten Mitgliedschaft ihre Anhänger hat. Gewählt wird aber in einer ersten Runde nicht von Delegierten eines Parteitages, sondern von allen Mitgliedern.

Damit zur dritten Kategorie. Den Geflüster-Paarungen. Eines wurde eingangs schon genannt und vorgestellt. Ansonsten raunen durch Berlin Paarungen in unterschiedlichen Zusammensetzungen, so variantenreich und ineinander greifend, dass sie an Arthur Schnitzlers „Reigen“ erinnern. Im Zentrum steht dabei vor allem eine: Franziska Giffey. Die ehemalige Bürgermeisterin von Neukölln und heutige Familienministerin der Großen Koalition wird mit verschiedenen Galanen an ihrer Seite gehandelt. Am intensivsten gewünscht wird als Giffey-Partner der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der bisher immer abgelehnt hat, aber mit der Zeit doch erkennen könnte, dass es komisch wäre, wenn es an seiner statt der Innenminister seiner Landesregierung Boris Pistorius würde.

Geflüsterte Kombinationen

Giffey gibt es als Desiderat aber auch mit einem ausgewiesenen Kommunalpolitiker, mit dem die SPD endlich wieder einmal nachweisen könnte, dass sie doch weiß, was in den Wohngebieten ihrer Klientel so abgeht. Ganz oben dabei die beiden Oberbürgermeister Sören Link (Duisburg) und Burkhard Jung (Leipzig).

Giffey gibt es aber auch noch in der Kombination mit dem amtierenden Generalsekretär Lars Klingbeil, der schon zu erkennen gegeben hat, dass er sich eine Kandidatur vorstellen könne, wiewohl schon seine derzeitigen Schuhe gar nicht so eng geschnürt werden können, wie sie locker sitzen.  

Haben wir dann alles beieinander? Nein, halt, Klingbeil gibt es auch in der Kombi mit Manuela Schwesig, der einzigen der kommissarischen drei Vorsitzenden, der weitere Ambitionen nachgesagt werden, wenn auch nicht jetzt gleich.

Schließung der Wahllokale

Und schließlich steht zu vermuten, manche würden sagen: zu befürchten, dass die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange konsequent bleibt. Sie war schon offiziell gegen Nahles angetreten, hielt sich also für vorsitzfähig. Warum sollte sie jetzt also anderen kampflos den Vorsitz überlassen?

Bis zum 1. September ist nun noch Zeit für offizielle Bewerbungen. Der Termin ist einigermaßen unbedacht gewählt, weil es auf zwei Tage hin oder her nicht angekommen wäre und dann die absehbaren Wahldesaster in Sachsen und Brandenburg noch mit ins Kalkül von Last-Minute-Bewerbern hätten gezogen werden können. So ist Schalterschluss vor Schließung der Wahllokale.

So weit bis hierher. Sie sehen: Das ist alles besser als Privatfernsehen. Aufregender kann es bei Heidi Klum oder der Bachelorette auch nicht zugehen als in der ältesten Volkspartei Deutschlands. Bleiben Sie dran.

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