SPD vor dem Parteitag - Die Drama Queen

Die SPD macht es spannend: Nach dem erfolgreichen Ergebnis der Sondierungsgespräche könnten die Delegierten des Parteitags am kommenden Sonntag eine erneute Große Koalition noch verhindern. In der Rolle des klassischen Unholds: ein junger Mann namens Kevin Kühnert. Und der hat gute Argumente

Kevin Kühnert gibt sich siegessicher auf dem Juso-Bundeskongress 2017 / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Die Rolle der Drama-Partei reklamiert mit großen Erfolg stets die SPD für sich. Selbst wenn sich das eigentliche Drama in der CDU abspielt, die seit mehr als zwei Jahren eine Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende nicht abschütteln kann und deshalb mit einem verheerenden Wahlergebnis im September abgestraft wurde. 

Mit schlafwandlerischer Sicherheit aber lenkt die SPD die Lichtkegel auf sich. So auch jetzt nach den Sondierungen mit der Union über eine dritte Große Koalition unter Angela Merkel. Das inner-parteiliche Drehbuch, das die Sozialdemokraten sich gegeben haben, sieht vor, dass sich die mögliche Peripetie, der Kulminations- und Wendepunkt der klassischen Tragödie, bei ihnen abspielt. Erst soll am kommenden Samstag ein Parteitag über eine dritte Amtshilfe für Merkel befinden. Dann müssen noch alle Mitglieder darüber abstimmen. Die Stimmung ist aufgeladen. Wie gesagt: Drama, das können die Genossen. 

Die Aufständischen machen mobil

Erste Landesverbände, wie jener Sachsen-Anhalts, haben sich schon mit hauchzarter Mehrheit von einer Stimme (Drama!!!) gegen das Bündnis ausgesprochen. In der Rolle des klassischen Unholds: ein junger Mann namens Kevin Kühnert. Weder auf den Mund noch auf den Kopf gefallen, agitiert er gegen den Vorsatz des Parteivorsitzenden Martin Schulz und die gesamte Parteispitze, geschlossen in die Große Koalition zu gehen. Oder fast die gesamte Parteispitze. Denn SPD-Vize Ralf Stegner, die SPD-Maschinenpistole mit dem gegen sich selbst gebogenen Lauf, tut seit der durchwachten Nacht im Willy-Brandt-Haus das, was er am besten kann: Er stegnert. Stegnern, das ist die autodestruktive Kunst, in scheinbarer Loyalität („Ich will die Große Koalition“) größtmögliches Unheil („aber nicht so“) anzurichten. 

Eine Woche Zeit haben die Stegners und Kühnerts noch, den nicht etwa latent, sondern stark vorhandenen Widerwillen des Ochsen SPD gegen das Joch Merkel so zu steigern, dass der Parteitag in Bonn am kommenden Sonntag für Schulz schief geht und ihm keine Prokura zum Weiterverhandeln gibt.

Kühnert nimmt Schulz beim Wort

Kühnert geht konsequent vor und argumentiert gar nicht so sehr inhaltlich, arbeitet sich gar nicht so sehr an all dem ab, was aus Sicht der SPD in den 28 Seiten Sondierungspapier fehlt. Er argumentiert vor allem damit, dass ein weiteres Bündnis mit Merkel für die SPD politisch tödlich wäre. Damit attackiert Kühnert Schulz mit einem sehr guten Argument. Und obendrein dessen eigenem. Denn Martin Schulz höchstselbst hatte unmittelbar nach der Wahl genau das gesagt, was Kühnert jetzt auch sagt: dass die Große Koalition die Wahl verloren habe und die SPD für die nächsten Jahre besser in der Opposition aufgehoben sei. 

Das stärkste Argument aber führt Kühnert gar nicht im Munde. Wenn die SPD am kommenden Wochenende Martin Schulz die Gefolgschaft verweigert, dann ist sie ihn als Parteivorsitzenden los. Gar nicht wenige in der SPD würden das nicht als Kollateralschaden sondern als Kollateralnutzen begreifen, als Korrektur eines einzigen großen Missverständnisses. Und obendrein würde die SPD so das Geschäft der schwächlichen und wenig mannhaften Widersacher Angela Merkels in der CDU gleich mit erledigen.

Es wird spannend

Die politische Tragödie, die sich seit dem 24. September auf der Berliner Bühne abspielt, strebt also einem Höhepunkt zu. Vielleicht sollten in der Zwischenzeit die Chips- und Biervorräte aufgefüllt werden. Das wird ein Wochenende mit doppeltem Kick. Am Sonntag Phoenix einschalten und live dabei sein bei der Peripetie. Das, was beim SPD-Parteitag an Nervenkitzel in der Luft liegt, kann sogar mit dem Abfahrtsklassiker, der Streif in Kitzbühel, konkurrieren, der am Samstag vorher aufs Fernsehsofa lockt. Vor dieser höllisch steilen Piste am Hahnenkamm haben sogar die verwegensten Fahrer ungefähr so viel Bammel wie Martin Schulz vor seinem Parteitag.

Zu Recht.    
 

Anzeige