SPD - Mit Martin Schulz in den Abgrund

Wie werden wir den glücklosen Martin Schulz los? Diese Frage diskutiert die Führung der SPD zu Beginn der Koalitionsverhandlungen – allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Dabei wäre der Abschied von Schulz die am wenigsten schlechte Lösung für die Partei. Eine Nachfolgerin steht bereit

Viele Genossen hoffen, dass sich Martin Schulz aus der deutschen Politik verabschiedet / picture alliance
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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Nicht jeder Sieg ist ein Gewinn, nicht jede Niederlage ein Verlust. Dies bekommt die SPD gerade jetzt wieder zu spüren. Die Delegierten des Sonderparteitags in Bonn haben ihren Vorsitzenden Martin Schulz zwar vor einer Niederlage bewahrt – aber gewonnen hat die Partei dadurch nicht. Im Gegenteil. Glaubt man den neuesten Umfragen, würden derzeit sogar weniger als 20 Prozent der Deutschen ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten machen. Mit Schulz an der Spitze droht der Partei der Absturz in die Bedeutungslosigkeit.

SPD hat die Wahl zwischen mehreren Übeln

Was tun? Die taumelnde und in Wahrheit führungslose Partei hat nur noch die Wahl zwischen mehreren Übeln, die alle gleichermaßen schrecklich sind. Sie ist nicht mehr frei. Sie kann nach diesen Sondierungsgesprächen nicht mehr „Nein“ zur Großen Koalition sagen, ohne sich selbst irreparabel zu beschädigen. Sollte die Basis am Ende der Koalitionsverhandlungen (bei denen nicht viel Neues herauskommen wird) trotzdem mit Mehrheit gegen die Große Koalition stimmen, wäre sie zwar den Vorsitzenden und mit ihm die halbe SPD-Führung los. Bei den dann anstehenden Neuwahlen aber würde sie endgültig untergehen. Das wäre politischer Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

Es gäbe zweitens die Möglichkeit, dass Schulz selbst zu der Einsicht kommt, dass es besser für ihn und die Partei wäre, wenn er freiwillig ginge. Damit ist allerdings kaum zu rechnen. Im Gegenteil: Wenn die Partei mit Mehrheit für die GroKo stimmt, wird er sich wieder als „Sieger“ fühlen und vermutlich sogar als Minister ins Kabinett einziehen wollen. Erneuerung? Fehlanzeige! Wahrscheinlich gäbe es dann bald einen strukturellen Dauerkonflikt zwischen dem Willy-Brandt-Haus und der Fraktionsführung mit dem Ergebnis, dass die Partei in dreieinhalb Jahren beim nächsten Bundestagswahlkampf völlig zerstritten ist und im einstelligen Bereich landet.

Andrea Nahles, übernehmen Sie!

Bleibt eine dritte Möglichkeit: In Brüssel könnte man das Amt eines Kommissars für die europäische Einigung schaffen. Idealbesetzung: Martin Schulz. Er würde wieder dorthin zurückkehren können, wo er viele Jahre erfolgreich gearbeitet hat. Und seinen Posten im Amt des Parteivorsitzenden könnte, nein, müsste Andrea Nahles übernehmen, die ihm beim Parteitag in Bonn vor der Niederlage bewahrt hat. Partei und Fraktion in einer Hand – aber nicht in der Kabinettsdisziplin. Das gäbe der SPD die Möglichkeit, im Bündnis mit CDU und CSU ihr Profil zu wahren und zu schärfen. Sigmar Gabriel hat im Jahr 2013 den großen Fehler gemacht, als Chef der SPD ins Kabinett zu gehen. Dabei hätte als Vorsitzender der Partei auch die Fraktion übernehmen müssen.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Ich habe an dieser Stelle vor zwei Monaten entschieden gegen die Große Koalition und für die Duldung einer Minderheitsregierung plädiert. Dieser Zug ist abgefahren. Nach Lage der Dinge bleibt den Mitgliedern der SPD nun leider keine andere Wahl, als für die GroKo zu stimmen. Wenn sie dann auch noch die Kraft finden, ihren Vorsitzenden abzulösen oder wegzuloben, dann, aber nur dann, hätte die einst so stolze Traditionspartei 2021 noch eine Überlebenschance. 

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