Kevin Kühnert - Gretas Genosse

In der SPD träumen die Genossen wieder vom Sozialismus. Einige wollen den Juso Kevin Kühnert an der Spitze sehen. Stattdessen sollten die Sozialdemokraten lieber Pläne entwickeln, wie der globalisierte Kapitalismus gezügelt werden kann

Erschienen in Ausgabe
Arbeiter war Kevin Kühnert noch nie. Er ist Avantgarde / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

So erreichen Sie Frank A. Meyer:

Anzeige

Kevin Kühnert, in dieser Kolumne schon mal als Felix Krull der SPD apostrophiert, hat die Lösung, und er meint das ganz im Ernst: BMW kollektivieren. Was der Juso-Vorsitzende allerdings nur als Beispiel anführt für eine ganz grundsätzlich und umfassend zu kollektivierende Wirtschaft.

Die Lösung? Genau, denn alles andere, was die Gesellschaft sonst noch so umtreibt, schrumpft durch diese Hinwendung zu sozialistischen Produktionsverhältnissen zum bloßen Nebenwiderspruch, der sich gemäß der marxschen Prophezeiung schließlich von selbst auflösen wird. Wie zum Beispiel der Klimawandel, das Artensterben oder die Vermüllung der Ozeane.
So gesellt sich der Genosse zu Greta – und das strenge Mädchen aus dem kühlen Norden kann, sollte Kevins Kommunismus Wirklichkeit werden, freitags wieder die Schulbank drücken.

Wie sich an derlei Kindereien ablesen lässt, ist Kevin Kühnert leider, leider kein Krull, sondern nur ein Komiker, ein Clown, politisch bunt beschminkt, doch niemand lacht. Der düster dozierende Star in Deutschlands Talk-Show-Manege wird geschmäht, als stehe seine Revolution kurz bevor: „Sozialismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, zürnt beispielsweise sein junger Parteigenosse Stefan Hasenclever auf Cicero Online. Was bei aller Verve des Vorwurfs gar nicht so falsch ist, kennt die Geschichte doch kein einziges staatssozialistisches Experiment ohne Menschenopfer auf dem Altar der Gerechtigkeit.

Die Erlösung?

Im Leitartikel auf Seite eins wundert sich ein stellvertretender Chefredakteur des Blattes, in dem Kühnert seine Thesen zum Besten geben durfte: „Wie kann es eigentlich sein, dass ein 29-jähriger Juso-Chef in einem Interview mit der Zeit ‚Sozialismus‘ sagt und die halbe Republik kopfsteht?“ Die Frage ist falsch gestellt. Die richtige Frage muss lauten: Wie kann es sein, dass die Hamburger Wochenzeitung einen politischen Schwadroneur ganzseitig abfeiert – um sich anschließend mit überheblichem Gestus von der Wirkung des Interviews zu distanzieren?

Die Antwort ist Die Zeit selbst: das Zentralorgan für Religionen aller Art, vom christlichen Bekenntnis über den Islam bis zu säkularen Spielarten des Glaubens wie beispielsweise der veganen Ernährung – nun also auch einer Renaissance der ramponierten Revolutionsreligion Sozialismus.

So manche Deutsche dürstet es mal wieder nach einer Lösung ein für alle Mal – nach Erlösung.

Erlösung wovon?

Eine Erlösung vom Kapitalismus – wer würde da nicht hinhören? Die Winterkorns und Ackermanns und Baumanns und Kaesers schalteten und schalten, walteten und walten, als gehöre ihnen die Republik. Die Asozialen des Industrialismus und die Asozialen des Geldgeschäfts provozieren protzend das Proletariat, das Kommunist Kühnert im Kopf hat, wenn er dekretiert: Enteignet sie – genug ist genug!

Genug der Misere?

Genug der Erfolge!

Der Kapitalismus funktioniert

Erfolge nämlich hat der Kapitalismus deutscher und europäischer Art vorzuweisen: Wirtschaftswunder, soziales Netz, gute Löhne, Teilhabe am Kulturleben, am Konsumleben – eine Arbeitnehmerschaft, die genießt, was es nur unter kapitalistischen Verhältnissen zu genießen gibt.

Ja, er hat die erfolgreichste Gesellschaft der deutschen Geschichte hervorgebracht: dieser Kapitalismus westlicher Prägung. Er ist Teil einer offenen, demokratischen, rechtsstaatlichen und, dies vor allem, liberalen Gesellschaft.
Die Verfügung über Eigentum, über privates Kapital ist Teil der Freiheit. Freiheit aber ist unteilbar. Darum hat der Sozialismus nie funktioniert.

Warum funktioniert der Kapitalismus? Warum ist er kreativ? Warum treibt er die technische und wirtschaftliche Entwicklung voran? Weil er unter der ständigen Herausforderung einer kritischen Politik steht, unter dem Druck einer freien Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sozialdemokratisch grundiert ist.

Der gezügelte, der verantwortliche Kapitalismus ist ein sozialdemokratischer Kapitalismus – für Gläubige der neoliberalen Religion ist er deshalb bereits das, was Wunderknabe Kühnert fordert: Sozialismus, wenn nicht gar Kommunismus.
Wahr ist allerdings auch, dass die Globalisierung dem kapitalistischen Wirtschaften verlockende Fluchtmöglichkeiten in rechtsfreie Räume eröffnet.

Ein historischer Prozess

Wie sind die marodierenden Manager, diese Masters of the Universe, wieder einzufangen? In Brüssel versucht das zum Beispiel und nicht ohne Erfolg die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, eine bekennende Liberale. In der Tat, auch der europäische Liberalismus ist Sozialdemokratismus, wenngleich weniger staats- als wettbewerbsorientiert.

Ein historischer Prozess läuft ab: Der davongeeilte Kapitalismus wird – wo nötig – sukzessive wieder an die Zügel genommen. Denn er bedarf der Schaffensfreiheit wie der Kontrolle durch die Gesellschaft, um den Reichtum zu entwickeln, der das soziale Projekt Europa und das sozialdemokratische Projekt Deutschland ermöglicht – die soziale Marktwirtschaft.

Ungeachtet dieser erfolgreichen Dialektik ergeht sich die Nation in Krisengerede und in Sehnsucht nach Abbruch der kapitalistischen Übung – nach Endgültigkeiten statt politischen Mühen.

Politische Mühen allerdings sind immer Mühen der Freiheit: demokratische Mühen. Dass der Juso-Youngster, wie der Spiegel schreibt, geeichten Sozialdemokraten „den Schweiß auf die Stirn“ treibt, geschieht nicht ohne Grund. Aus der BMW-Belegschaft schallt der Partei erzürnt entgegen: „Die SPD ist für Arbeiter nicht mehr wählbar.“ Was Kevin Kühnert sicher kaltlässt. Arbeiter war er noch nie. Er ist Avantgarde.

Man muss den Menschen nur zuhören

Im Schweiße seines Angesichts hat Sigmar Gabriel, Ex-Vorsitzender der SPD, einen Fünf-Punkte-Plan für einen sozialen Kapitalismus entworfen – die bisher einzige konzise Antwort auf den ideologischen Infantilismus, der die deutsche Publizistik, pubertär auch sie, über jedes Maß erregt.

Doch genügt für das große sozialdemokratische Vorhaben Gabriels sozialpolitischer Ansatz, wie er doch seit Godesberg zum Selbstverständnis der SPD gehört? Wäre da nicht ein weiter gehender Entwurf vonnöten, der die kulturelle Verunsicherung der kapitalistisch ebenso beglückten wie drangsalierten Gesellschaft anspricht? Zum Beispiel Sicherheit statt Auflösung aller Grenzen; zum Beispiel Gemeinschaft statt Segregation; zum Beispiel Freiheit für unbotmäßige Gedanken statt Political Correctness; zum Beispiel Heimat im Sinne von bei sich sein.

Man muss den Menschen nur zuhören, um auf die Fragen zu stoßen, die deutsche Normalbürger jenseits ihrer sozialen Situation beschäftigen.

Das allerdings kapiert der kapriziöse Kevin nie und nimmer.

Da muss erst ein Erwachsener kommen.

Anzeige