Natascha Kohnen - Die Spätberufene

Mit Natascha Kohnen an der Spitze will die bayerische SPD die Alleinherrschaft der CSU brechen. Ihr Ehrgeiz ist groß, das Vorhaben dieses Mal zumindest nicht aussichtslos

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Viele Wähler hätten „restlos die Schnauze voll“ vom Politikstil der CSU, sagt Natascha Kohnen / Dirk Bruniecki
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Zum Gespräch bittet Natascha Kohnen in die Bibliothek des bayerischen Landtags. In die warme Welt der Bücher und somit in jene Welt, in der sie beruflich zu Hause war, bevor sie als Spätberufene Politikerin wurde.

Kohnen war schon 33 Jahre alt, als die Biologin und Lektorin von Schulbüchern um die Jahrtausendwende zur SPD stieß. Wütend war die berufstätige Mutter von zwei Kindern, weil sie am Stadtrand von München für ihren Sohn keinen Kitaplatz fand. Was zuvor in Paris selbstverständlich war, provozierte an der Pforte des Rathauses von Neubiberg verständnislose Kommentare: So was gibt’s hier nicht. Frauen, die freihaben, würden doch eh nur shoppen gehen. Mittlerweile ist die 50-Jährige die Hoffnungsträgerin eines Landesverbands, zu dessen politischer DNA seit mehr als einem halben Jahrhundert die Wahlniederlage gehört. Was auch daran lag, dass die SPD in Bayern traditionell zerstritten ist. „Das war vor meiner Zeit“, sagt Kohnen.

Kohnen ist ein Kind der 68er. Sie wächst in der Münchner Maxvorstadt auf. Ihre Mutter, eine Irin, trennt sich vom Vater, der zieht seine beiden Kinder zunächst alleine auf. Er arbeitet als Regisseur am Theater, wird dann, weil er die Familie ernähren muss, Rechtsanwalt. Zu Hause wird viel diskutiert. Doch so eine 68er-Familie ist auch anstrengend. „Irgendwann hatte ich genug von Fingerfarben und dem ständigen Trubel.“

Nach dem Aufstieg kam der Niederschlag

Die politische Karriere verlief steil. Schnell wird ihr Ehrgeiz geweckt, und auf SPD-Veranstaltungen fällt Natascha Kohnen allein durch eine Sprache auf, die ohne verschwiemelte Juso-Floskeln auskommt. „Die Sprache, die in der Politik verwandt wird, hängt die Menschen ab“, sagt sie und nennt dann gleich ein paar Beispiele: systemrelevant, Eurobonds, Entgeltgleichheit. „Das versteht niemand.“

Schon kurz nach ihrem sozialdemokratischen Coming-out wurde Kohnen 2002 in den Gemeinderat gewählt. 2008 wurde sie Landtagsabgeordnete, ein Jahr später Generalsekretärin der bayerischen SPD. Seit Mai 2017 ist sie Landesvorsitzende. Bei einer innerparteilichen Urwahl hatte sie zuvor im ersten Wahlgang 54 Prozent der Stimmen erhalten und fünf männliche Konkurrenten aus dem Feld geschlagen. Es scheint so, als würde die bayerische SPD so geschlossen dastehen wie lange nicht mehr.

Auf den Neuanfang folgte ein Niederschlag. Bei der Bundestagswahl 2017 stürzte die SPD in Bayern auf 15,3 Prozent ab. Ihr Ziel sei es, in Bayern regieren zu können, hatte sie noch bei ihrer Wahl zur Landeschefin selbstbewusst verkündet. Doch nun steckt die SPD nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland in einer Existenzkrise.

Und Kohnen mittendrin. Im Dezember wurde sie zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Immerhin. So viel Respekt hat sie sich in der SPD erarbeitet, dass sie als Vertreterin eines unbedeutenden Landesverbands einen von sechs Stellvertreterposten beanspruchen konnte. Als SPD-Vize nimmt sie in Berlin an jenen Gesprächen teil, die für die Partei zur Überlebensfrage werden könnten. Groko oder NoGroko.

Die CSU unter Druck setzen

Dass sich die bayerischen Verhältnisse nicht von heute auf morgen ändern, weiß Natascha Kohnen, auch wenn die CSU in der Wählergunst eingebrochen ist. Also verkündet sie: „In Bayern ist für die SPD mehr drin.“ Mit der Konzentration auf vier Themen will sie als Spitzenkandidatin den neuen Ministerpräsidenten Markus Söder treiben: Wohnen, Familien, Arbeit und Integration. Viele Wähler hätten zudem „restlos die Schnauze voll“ vom Politikstil der CSU, von unsachlichen Auseinandersetzungen und innerparteilichen Machtkämpfen.

Wenn es Kohnen gelingt, bei der Wahl im kommenden Herbst die absolute Mehrheit der CSU zu verhindern, wäre das für sie ein großer Erfolg. Gleichzeitig sitzen der SPD jedoch die Grünen im Nacken. Kohnen weiß, dass sie ihren Landesverband so weit stabilisieren muss, dass ihm nicht dasselbe Schicksal droht wie den Genossen in Baden-Württemberg. Dort ist die SPD nur noch viertstärkste Kraft im Landtag, sogar die AfD ist vorbeigezogen. „An die Aufgabe gehe ich wild entschlossen ran“, sagt sie, aber ein konkretes Wahlziel will sie nicht ausgeben. „Ich würde niemals eine Prozentzahl nennen“, erklärt sie und lacht.

lechts und rinks?

Überhaupt. Natascha Kohnen lacht gerne. Immer wieder sagt sie, das sei „super“ oder „spannend“. Als politische Frohnatur präsentiert sie sich, aber auch als Parteilinke. Zwar sagt sie: „Ich halte wenig von Begriffen wie links und rechts, vielmehr muss die SPD wieder erkennbar werden“, aber dann positioniert sie sich doch eindeutig: für eine Vermögensteuer, gegen Freihandelsabkommen, die Entwicklungsländern die Lebensgrundlage entziehen. Sie will eine Maschinensteuer diskutieren und fordert eine Bodenspekulationssteuer. „Irgendwo musst du mal die Daumenschraube anlegen.“

Dies ist ein Text aus der Februarausgabe des Cicero. Erhältlich am Kiosk und in unserem Onlineshop.









 

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