Die SPD und der Fall Maaßen - „Es herrscht so eine Art Angstpragmatismus“ 

Mit ihrem „Ja“ zur Beförderung von Hans-Georg Maaßen hat SPD-Parteichefin Andrea Nahles in ihrer Partei Wut ausgelöst. Der Sozialdemokrat und Buchautor Nils Heisterhagen hält die Aufregung darüber für übertrieben. Statt um Personalien sollte es in der SPD wieder mehr um Politik gehen

Weil sie die Absetzung Hans-Georg Maaßens forciert hat, gerät Andrea Nahles in der eigenen Partei unter Druck /picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Nils Heisterhagen ist SPD-Mitglied und Autor des Buches: „Die liberale Illusion: Warum wir einen linken Realismus brauchen

Herr Heisterhagen, in der SPD gerät die Vorsitzende Andrea Nahles stärker unter Druck, weil sie einer Beförderung von Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär zugestimmt hat. War es ein Fehler, dass sie seine Absetzung forciert hatte? 
Wir dürfen nicht so naiv sein zu glauben, dass diese Frage hätte anders gelöst werden können. Ich glaube, dass es in der SPD die Hoffnung gab, dass Herr Maaßen nach seiner Ablösung als Verfassungsschutzschef nur Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium wird und nicht Staatssekretär – dann wäre die Bewertung auch eine andere gewesen.    

Eigentlich wäre es ja Aufgabe von Bundesinnenminister Horst Seehofer gewesen, den Chef des Bundesverfassungsschutzes zurückzurufen. Warum war es Nahles, die Druck gemacht hat? 
Grundsätzlich gibt es im politischen Berlin doch weitgehend den Konsens, dass Herr Maaßen in diesem Amt nicht mehr dauerhaft tragbar gewesen wäre. Ich glaube auch, dass das die heimliche Meinung in der CDU gewesen ist. Das Problem ist jetzt, dass man diesen Streit zur Koalitionsfrage hochstilisiert hat. 

Wen meinen Sie mit man“? 
Vor allem die Medien. Ich frage mich, warum die durch ihre Berichterstattung nicht so viel Druck auf Maaßen ausgeübt haben, dass er selber seinen Hut genommen hat. Ich finde es unglücklich, dass jetzt der Eindruck entstanden ist, dass die Koalition wegen dem Streit um Maaßen als Ganzes in Frage gestellt wird. 

Aber nochmal: Warum hat Frau Nahles in der Causa Maaßen Druck auf den Koalitionspartner ausgeübt? Hing das Überleben der SPD davon ab?
Ich finde diese ganze Causa schon sehr befremdlich, sogar leicht irre. Aber so eine Personalie ist doch kein Grund, so ein Theater zu machen. Ich finde es falsch, dass es jetzt zur Koalitionsfrage stilisiert wurdeDie Existenz der SPD hängt eher davon ab, welche Politik man machen will und ob man es endlich schafft, eine Linkswende in der sozio-ökonomischen Frage hinzubekommen. 

Was verrät das denn über den Zustand der SPD, dass sie diese Personalie vor die Zerreißprobe stellt, während man in der Großen Koalition immer den Eindruck hatte, die Partei ducke sich weg? 
Ich war von Anfang gegen diese Koalition, weil ich glaube, dass wir wieder einen Konflikt zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links brauchen, vor allem über soziale und wirtschaftliche Fragen. Meine Hoffnung war immer, dass die SPD ihre pragmatische, sich an den Neoliberalismus anbiedernde Politik der neuen Mitte überwindet, dass sie wieder links wird und sich über diese Frage mit der CDU auseinandersetzt. 

Und das gelingt in der Großen Koalition nicht?
Ich glaube, die SPD sollte sehr darauf achten, dass sie nicht nur sagt, wir machen gute Sachpolitik, weil wir so einen tollen Koalitionsvertrag haben. Der ist nämlich nur der kleinste gemeinsame Nenner, ein Angstpapier. Sie muss deutlich machen: Was möchte sie in Zukunft machen, wenn sie als Kanzlerpartei Reformen umsetzen könnte? Willy Brandt hat einmal gesagt: „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen sorgen.“ Um wieder dahinzukommen, braucht die Partei wieder konkrete Antworten auf die Fragen der Gegenwart und der nahen Zukunft. 

Aber warum kommt da nichts?
Das ist eine gute Frage, die ich mir auch immer wieder stelle. Insofern ist die aktuell erhobene Forderung „5 Jahre Mietenstopp“ ein Schritt in die richtige Richtung. Sie zeigt, dass die SPD mal wieder ein Angebot in einer sozialen Frage macht. Als man in den vergangenen Wochen über Renten- und Mietpolitik geredet hat, hat die Berichterstattung über Migration und Integration endlich mal pausiert. Das war durchaus wohltuend. 

Jetzt muss aber mit Gunther Adler ausgerechnet ein SPD-Mann Platz für den geschassten Verfassungsschutzchef Maaßen machen, obwohl der sogar von CDU-Politikern für seine Impulse in der Wohnungspolitik gelobt wird. Hat Seehofer die SPD nicht nach Strich und Faden verschaukelt? 
Ich glaube, Horst Seehofer ist mit allen Wassern gewaschen. Er hat die Gunst der Stunde genutzt, um der SPD eins auszuwischen. Das ist natürlich absolut verantwortungslos in der derzeitigen Situation. Aber Horst Seehofer ist schon in den vergangenen Wochen vollkommen außer Kontrolle geraten. Dass er ausgerechnet vor dem wichtigen Wohnungsgipfel den einzigen Experten zu diesem Thema entlässt, zeigt ja, dass sein  ganzes Gerede über Heimat und Sicherheit zuletzt eben nur Gerede war.  

Eigentlich hätte ihn ja auch die Kanzlerin schon längst im Asylstreit vor der Sommerpause ausbremsen müssen. Dass das jetzt Frau Nahles versucht hat, indem sie die Absetzung Maaßens gefordert hat, war das todesmutig oder naiv?
Irgendwas hätte passieren müssen. Insofern war es schon richtig, zumindest anzusprechen, dass man Herrn Maaßen nicht für geeignet hält. 

Warum hat es die Kanzlerin nicht getan?
Angela Merkel ist am Ende. Ihre Zeit als Kanzlerin ist vorbei. Sie hat keine Antworten mehr auf die Fragen der Gegenwart. Ihre Schwäche ist offensichtlich. Eine mutige Kanzlerin hätte wahrscheinlich gesagt: „Nach dem, was der Präsident des Verfassungsschutzes gesagt hat, ist er nicht mehr tragbar.“ 

Nils Heisterhagen

Woran liegt es, jetzt aber, dass der Zorn der Bevölkerung nicht die Kanzlerin trifft, sondern die SPD-Fraktionschefin?
Diese Frage müssen sich die  Medien stellen. Die Kanzlerin wird seit Jahren so behandelt, als hätte sie mit der Realpolitik und den politischen Konflikten nichts mehr zu tun. Als würde sie die Vernunft selbst repräsentieren und als sei sie schon entschwebt. Unter Angela Merkel findet keine Politik mehr statt. Sie verhindert vor allem, dass der Konflikt zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts ausgetragen wird. 

Jetzt herrscht in der SPD so eine Stimmung: Noch so ein Fehltritt, und wird sind verloren. War es das wert?
Die Frage müssen Sie Frau Nahles stellen. Ich weiß nicht, ob ich die beantworten kann und sollte. 

Die Große Koalition quält sich jetzt schon seit einem Jahr, ohne vom Fleck zu kommen. Wäre es für alle Beteiligten nicht fast ein Segen, wenn sie zerbrechen würde? 
Schwierige Frage. Sollte man die Koalition nach einem halben Jahr Kampf wieder aufgeben, nachdem man schon ein halbes Jahr um sie gekämpft hat? Man sieht, dass so nichts Großes gelingen kann. Ob man die Koalition aber wegen der Causa Maaßen beenden sollte, da bin ich eher skeptisch. 

Wie sollte sich Andrea Nahles jetzt verhalten, nachdem sie in der eigenen Partei unter Beschuss geraten ist?
Politische Führung bedeutet, seine Handlungen erklären zu können. Das muss Frau Nahles jetzt leisten. In der Causa Maaßen ist das nicht so einfach. Wichtig ist zu sagen: Herr Maaßen ist von Horst Seehofer als Staatssekretär eingestellt worden, nicht von Andrea Nahles. Das darf man nicht vergessen. Dass in dieser Situation keiner mit ihr tauschen will, ist doch klar.  

Wen hat Horst Seehofer mit seiner Personalrochade denn jetzt mehr beschädigt? Die Große Koalition? Die SPD? Oder das Vertrauen in die Demokratie? 
Dass Herr Maaßen befördert wurde, kann man einem normalen Bürger nicht erklären. Die Reaktion in der Bevölkerung ist: Wir haben für diese Deals kein Verständnis mehr. Macht doch bitte endlich Politik für uns, damit unser Leben besser wird. Wir erleben in diesen Wochen, was der Politikwissenschaftler Colin Crouch als „Postdemokratie bezeichnet hat. Es wird viel kommuniziert, aber nicht wirklich etwas getan. Aber Politik ist doch nicht nur PR. Politik heißt doch auch, zu gestalten. Momentan entsteht der Eindruck: Es geht um Nichtigkeiten. Es wird gerangelt um Personen.

Gerangelt wird aber schon seit dem ersten Tag der Großen Koalition. Warum profitiert von dem Streit hauptsächlich die AfD? 
Das frage ich mich auch. Dass die AfD keine Konzepte hat, hat das ZDF-Sommerinterview mit Alexander Gauland gezeigt. Ich glaube, die meisten Leute wählen die AfD nur als Protestpartei. Es geht darum, den so genannten Altparteien einen Denkzettel zu verpassen. Die Ursachen sind sicher noch komplexer.  

Umgekehrt existiert die Große Koalition wahrscheinlich nur noch, weil sie die Angst vor Neuwahlen und vor der AfD zusammenhält. 
Das stimmt durchaus. Es herrscht so eine Art Angstpragmatismus vor. Ich würde mir von beiden Parteien mehr Mut wünschen. Dass sie sagen, wir haben ein Programm, wir haben Ideen. Und wenn der Koalitionsparter nicht bereit ist, mit uns darüber zu verhandeln, müssen wir halt Schluss machen. Dann ist das Maaß eben voll, um in der Analogie zu bleiben. 

Wo sehen Sie überhaupt noch Schnittmengen?
Man ist sich darin einig, so eine diffuse Form von Pragmatismus zu praktizieren. 

Reicht das als gemeinsame Basis ? 
Die SPD hat sich für die Große Koalition entschieden. Sie muss jetzt zeigen, was sie anders machen will als die CDU. Wenn sie nur den Koalitionsvertrag abarbeitet, ist das ihr Ende. 

Anzeige