SPD-Abgeordneter Florian Post über eigene Partei - „Das sind Bonsai-Jakobiner“

In der SPD wird alles auf links gebürstet, die Partei ähnelt in Bayern inzwischen einer Sekte, und Kevin Kühnert gibt den neuen sozialdemokratischen Dresscode vor: Florian Post, Bundestagsabgeordneter der SPD aus Bayern und Vertrauter von Ex-Parteichef Sigmar Gabriel, rechnet mit seiner Partei ab.

Der SPD-Abgeordnete Florian Post 2018 bei einer Demonstration in München / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Florian Post sitzt seit 2013 für die SPD als Abgeordneter im Bundestag. Er fiel immer wieder durch Kritik an der Parteispitze auf, mehrmals stimmte er gegen die Fraktionsdisziplin. Deshalb zog die SPD-Fraktion ihn 2019 als Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zurück. 

Herr Post, Sie haben am Samstag Ihren sicher geglaubten Platz 1 für die SPD-Liste in Oberbayern gegen einen Überraschungskandidaten aus der Gewerkschaft verloren. Mit 41 zu 28 Stimmen wählten die Delegierten Sebastian Roloff aus dem Münchner Süden an die Spitze der Liste. Ist das nicht Basisdemokratie pur?

Nein, ist es überhaupt nicht. Die Abstimmung selbst war natürlich demokratisch, und das Ergebnis erkenne ich an. Aber wie kann es sein, dass bis kurz vor Beginn des Parteitags alle so tun, als gäbe es keinen Gegenkandidaten? Es gab Abstimmungen im Vorstand, bei denen alle für mich gestimmt haben. Und dann taucht plötzlich beim Parteitag der Gegenkandidat auf. Das war alles hinter meinem Rücken geplant. Es sollte eine machiavellistische Machtdemonstration und eine öffentliche Demütigung sein. Aber mich kriegen sie nicht klein.

Steckt dahinter ein Richtungskampf der SPD?

Natürlich. In der SPD soll jetzt alles auf links gebürstet werden. Und Realos wie ich werden dann schnell in die rechte Ecke gestellt. Mit solchen Begriffen kann ich null anfangen. Es geht nicht um links oder rechts. Es geht um normal! Dasselbe Schicksal wie ich hat übrigens gerade Bela Bach erlitten, eine 30 Jahre junge Abgeordnete mit Migrationshintergrund: Sie war erst im letzten Jahr in den Bundestag nachgerückt – und hat jetzt ihren Listenplatz gegen die stellvertretende Juso-Vorsitzende in Bayern verloren. Bei mir kann man ja noch sagen: Na ja, der Post, der hat sich halt immer wieder mit dem Partei-Establishment angelegt, der hat's drauf angelegt. Aber bei ihr? Was ist denn mit dem gerne vor sich her getragenen Versprechen, junge Frauen fördern zu wollen? Ich sage es nochmal: Alles soll in der SPD jetzt auf links gebürstet werden, und wer da nicht mitmacht, wird abgestraft. Man wird ja in dieser Partei inzwischen schon schief angeschaut, wenn man einen Anzug trägt! Um sich da anzupassen, ziehen sich manche Mandatsträger vor Parteitagen extra um. Den neuen sozialdemokratischen Dresscode gibt offenbar Kevin Kühnert vor.

Wie passt denn da der Anzugträger Olaf Scholz ins Bild?

Eigentlich gar nicht. Dass er Kanzlerkandidat geworden ist, ist aus der Not geboren. Es gibt sonst niemanden, der über die nötigen Fähigkeiten verfügt. Und es selbst zu versuchen, das trauen sich die Kühnerts, Eskens und wie sie alle heißen, dann halt doch nicht zu.

In Bayern steht die SPD in Umfragen bei sieben Prozent. Hat die Härte, mit der hier um sichere Listenplätze gekämpft wird, auch damit zu tun?

Na klar. Die SPD-Spitze um Natascha Kohnen versucht mit aller Macht, die eigenen Gefolgsleute auf die sicheren Plätze durchzudrücken. In vielen Fällen sind das Leute, bei denen in diesem Moment der Wahlkampf endet, die überhaupt nicht mehr versuchen, das Direktmandat zu bekommen. Die bayerische SPD ähnelt inzwischen eher einer Sekte als einer Partei. Das sind Bonsai-Jakobiner. Die Methoden, mit denen da im Hintergrund gearbeitet wird, sind Anzeichen dafür, dass das System am erodieren ist: Das ist ein Überlebenskampf. Anstatt darüber zu sprechen, wie man wieder groß werden kann, wird der Niedergang verwaltet.

Auch in Baden-Württemberg könnte die SPD bei der Landtagswahl am Sonntag unter zehn Prozent rutschen. Ist die Partei in Süddeutschland überflüssig geworden?

Man würde zumindest nicht merken, wenn sie nicht mehr da wäre. Schauen wir uns doch mal an, wo wir herkommen: 1994 hat Renate Schmidt hier bei den Landtagswahlen 30 Prozent geholt. Mit Christian Ude hatten wir 2013 noch mehr als 20 Prozent. Natascha Kohnen hat 2018 dann die Zehn-Prozent-Marke unterschritten: 9,7 Prozent! Und seitdem ist die Parteiführung hier eigentlich nur mit der Frage beschäftigt, wer auf die Liste für den Bundestag kommt. Interessiert das den Wähler? Natürlich nicht. Das Ergebnis sehen wir an den Umfragen.

Demnächst wählt die SPD in Bayern eine neue Parteiführung. Stehen sich da auch unterschiedliche Lager gegenüber?

Es gibt personelle Alternativen. Aber die Neigung zum Weiterwurschteln ist sehr groß. Derzeit wird in der Bayern-SPD die Erbmonarchie des Mittelmaßes praktiziert.

2018 haben Sie ja eine Reform der Partei gefordert und das „Senioritätsprinzip“ kritisiert. „Auf den Landeslisten werden immer die Amtierenden zuerst auf den aussichtsreichen Plätzen abgesichert“, sagten Sie damals. „Nach einer bestimmten Anzahl von Perioden sollte man wieder ins ,normale‘ Leben zurückkehren.“ Ist jetzt nicht das eingetreten, was Sie gefordert haben?

Nein. Ich hatte zwei Amtsperioden im Bundestag. Das ist das Mindestmaß, um sich richtig einzuarbeiten. Aber ich habe vor dem Parteitag auch immer klar gesagt, dass ich sicher nicht bis zur Pensionierung im Parlament sitze. Manche Abgeordnete sitzen fünf oder sechs Wahlperioden im Bundestag. Das ist in vielen Fällen nicht sinnvoll.

Hat die Partei sich denn sonst in irgendeiner Form erneuert seit 2018?

Nein. Das Gegenteil ist eingetreten. Ich habe damals gefordert, dass es nur noch zwei stellvertretende Vorsitzende gibt. Was passiert? Kevin Kühnert brauchte einen Posten – ich kann das verstehen bei einem, der sich noch seine Pensionsansprüche verdienen muss –, und da hat man den Parteivorstand einfach erweitert, weil Hubertus Heil ja auch Stellvertreter werden wollte, was ich bei ihm gut finde. Auch aus meinem Vorschlag, mindestens die Hälfte des Parteivorstands müsste aus Ehrenamtlichen bestehen, um die Partei wieder zu erden, ist nichts geworden.

Nochmal zu Ihnen persönlich: Ist Ihre politische Karriere nun am Ende?

Ich bin im Unterschied zu anderen in der Partei zum Glück nicht finanziell abhängig von diesem Mandat. Ich schwanke aber noch zwischen zwei Varianten: Entweder ich ziehe mich aus dem Wahlkampf zurück. Oder ich kandidiere für meinen Wahlkreis, aber dann nur als Erststimmenkandidat, weil ich ja mit der Liste nichts zu tun haben soll. Das letzte Mal lagen zwischen dem CSU-Kandidaten und mir vier Prozentpunkte. Und ich merke, dass die Leute hier auf mich zählen. Ich würde dann einen Wahlkampf führen nach dem Motto: Wählen Sie mich und strafen Sie damit gleichzeitig das SPD-Parteiestablishment ab. Aber diese Entscheidung habe ich für mich noch nicht getroffen.

Sie gelten als enger Vertrauter von Sigmar Gabriel, der in der SPD 2018 kaltgestellt wurde. Bietet die Partei keinen Raum mehr für „Querdenker“, die in Interviews oder Abstimmungen auch mal querschießen?

Genau das ist das Problem. Sigmar Gabriel wurde übel mitgespielt. Einem ehemaligen Außenminister und SPD-Vorsitzenden hat man 2018 lediglich die stellvertretende Mitgliedschaft im Europaausschuss angeboten und ihn im Bundestag nicht mal sprechen lassen. Er wollte sich damals noch einbringen, aber mit 60 überlegt man sich auch: Muss das sein? Kein Wunder, dass er sich von diesen „Genossen“ verabschiedet hat. Dabei bräuchte die SPD Leute wie ihn. Die SPD redet offenbar deshalb so oft über Solidarität und Respekt, weil sie diese selber vermissen lässt.

Ein anderer SPD-Veteran, für den die Parteispitze sich neuerdings offenbar „schämt“, ist der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Ich unterstütze Thierse voll und ganz. Wir sollten uns von diesen Bonsai-Jakobinern doch nicht vorschreiben lassen, wie wir zu sprechen haben. „Kandidierenden-Plakate“ stand in einer Mail, die ich gerade vom Generalsekretär Lars Klingbeil bekommen habe. Was ist das für eine Gaga-Sprache?

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