Schließung des Bundesarchivs für Stasi-Unterlagen - „Ein hochsymbolischer Akt“

Im Jahr 2020 gab es noch über 30.000 Anträge auf Einsicht in die Stasi-Akten. Trotzdem wird das Bundesarchiv für Stasi-Unterlagen in Berlin-Lichtenberg geschlossen. Geht mit der Übernahme der Akten durch das Bundesarchiv nun ein Teil unserer Erinnerungskultur verloren?

Hubertus Knabe / dpa
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Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Hubertus Knabe ist Historiker und war bis 2018 wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

Das Bundesarchiv für Stasi-Unterlagen (BStU) wird einem Festakt am heutigen Donnerstag in das Bundesarchiv überführt. Dem gingen lange Diskussionen über einen solchen Schritt voraus. Ist das ein Rückschritt in der Aufarbeitung der SED-Diktatur oder ist es für Angehörige und Forschende jetzt leichter, an Informationen zu gelangen?

Es ist natürlich ein hochsymbolischer Akt, wenn die größte Aufarbeitungseinrichtung der Welt geschlossen wird. Für Deutschland, das sich ja ein wenig als Weltmeister der Aufarbeitung betrachtet, bedeutet die Überführung der Akten das Ende einer Epoche. Am Aktenzugang selbst soll sich nichts ändern.

Was bedeutet es, dass die Unterlagen jetzt überführt werden? Ist das nun ein Schlussstrich unter der DDR-Vergangenheit?

Vielleicht sollte man es besser ein Abhaken nennen. Man möchte gleichsam zum Normalgeschäft übergehen und deswegen diese Sonderbehörde schließen. Das wiederum hat vor allem ökonomische Gründe, denn sie kostet rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Das Thema DDR spielt auf der politischen Agenda eben keine große Rolle mehr. 

Noch einmal ganz grundsätzlich: Was war denn der Hauptzweck des Archivs, als es 1992 für die Öffentlichkeit freigegeben wurde?

Die Opfer sollten endlich erfahren, wie die Stasi sie drangsaliert hatte. Sie erfuhren sogar, wer die Spitzel und Führungsoffiziere gewesen waren. Das war damals ein weltweit einmaliges Experiment. Der Regierung ging es allerdings auch darum, die Akten unter Kontrolle zu bekommen.

Hat die Behörde immer ihren Zweck erfüllt?

Für die Verfolgten war der Aktenzugang elementar. Wie sollten sie sonst beweisen, warum sie nicht studieren durften oder ihren Job verloren! Auch um gegen die verantwortlichen SED-Funktionäre zu ermitteln, wurden die Akten gebraucht. Und ohne die Stasi-Überprüfungen wäre der öffentliche Dienst im Osten kaum vertrauenswürdig geworden. Aber das Ganze war ein teures Unterfangen. In 30 Jahren kostete die Behörde mehr als drei Milliarden Euro, was hauptsächlich an den komplizierten gesetzlichen Vorschriften lag. Dass das Netz der Stasi-Informanten trotz der hohen Investition bis heute weitgehend im Dunkeln liegt, lässt den deutschen Weg unterm Strich nicht besonders effizient erscheinen. Auch die Opfer waren oft enttäuscht, dass sich niemand um sie kümmerte.

Es gibt bis heute immer noch 15.000 Säcke mit zerrissenem Aktenmaterial, die noch nicht aufgearbeitet und neu zusammengesetzt wurden. Wird die Überführung die Rekonstruktion jetzt beschleunigen?

Da bin ich auch gespannt! In das Stasi-Unterlagen-Gesetz wurde eine neue Verpflichtung zur virtuellen Rekonstruktion dieser Unterlagen aufgenommen. Es bleibt ein schwerwiegendes Versäumnis, dass die Papiere, die die Stasi-Mitarbeiter in letzter Sekunde eigenhändig zerrissen haben, trotz vorhandener Technik in 30 Jahren nicht zusammengesetzt worden sind.

Das Archiv selbst bleibt weiterhin auf dem Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg. Das Gebäude soll aber besser ausgestattet und zugänglicher werden. War da eine Eingliederung in das Bundesarchiv überhaupt nötig?

Das frage ich mich auch. Denn Personal, Gebäude und Akten werden komplett vom Bundesarchiv übernommen. Das Ganze dürfte also kaum billiger werden als bisher.

Welche Auswirkung auf die öffentliche Wahrnehmung und auf die Forschung wird der Umzug des Stasi-Unterlagen-Archivs ins Bundesarchiv haben?

Sicherlich keine positive. Die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur wird in der Öffentlichkeit ohnehin kaum noch geführt. Jetzt wird auch noch das wichtigste und bekannteste Symbol für die Auseinandersetzung gestrichen. Der Bundesbeauftragte mit seinen 1.300 Mitarbeitern hatte immerhin noch ein gewisses Gewicht. Ein neuer Beauftragter hätte diese Position nutzen können, um diese Auseinandersetzung aktiver als der jetzige zu führen. Es ist leider zu befürchten, dass die DDR nun ganz aus dem Radar rutscht.

Spielt dieser Trend auch eine Rolle in der politischen Motivation für die Überführung, oder geht es dabei eher um den finanziellen Aspekt?

Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Denn die finanziellen Entscheidungen eines Politikers hängen von seinen politischen Prioritäten ab. Und da steht die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus bei den meisten sehr weit unten. Ganz im Gegensatz übrigens zu so viel gescholtenen Staaten wie Polen oder Ungarn. Dort gibt es ein sehr waches Bewusstsein, dass die kommunistische Ideologie verheerende Folgen für ihr Land hatte. Das fehlt in Deutschland fast völlig.

Sie haben den Wegfall des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen Roland Jahn gerade angesprochen. Doch mit der neuen Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur Evelyn Zupke sollen das Aufgabenfeld auch im internationalen Kontext erweitert und die Belange der Opfer mehr in den Blickpunkt genommen werden …

Ich würde das nicht Erweiterung nennen, sondern ein Trostpflaster. An die Stelle des Bundesbeauftragten mit seiner Mammutbehörde tritt eine Opferbeauftragte, die vielleicht zehn oder 15 Mitarbeiter haben wird. Ich bin daher sehr skeptisch, was deren Möglichkeiten betrifft, das Klima in Sachen DDR-Vergangenheit zu drehen. Ich hoffe aber, dass die Opfer endlich eine Ansprechperson bekommen, die sich um ihre Belange kümmert.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Akten durch die Überführung ins Bundesarchiv ihrer Rolle der Erinnerungskultur nicht gerecht werden …

Ich halte die Abschaffung der Stasi-Behörde für einen Fehler. In einer Zeit, in der die Verbrechen des Kommunismus immer mehr in Vergessenheit geraten, ist es das falsche Zeichen. Die Bundesregierung müsste mehr für die Aufklärung tun – nicht weniger.

Die Fragen stellte Alissa Kim Neu.

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