Sahra Wagenknecht attackiert die Grünen - Was für eine Verschwendung an politischem Talent!

Sahra Wagenknecht macht wieder mal von sich reden. Auf Ihrem eigenen Youtube-Kanal nennt sie die Grünen die „gefährlichste Partei, die wir derzeit im Bundestag haben“. Die Empörung folgt auf dem Fuße - nicht nur von Seiten der politischen Konkurrenz, sondern auch von Angehörigen ihrer eigenen Partei sowie von Journalisten. Dabei hat Wagenknecht durchaus auf interessante Widersprüche in der deutschen Politik hingewiesen, dies aber mit einem Hauch von Märtyrertum und Besserwisserei.

Sahra Wagenknecht schätzt Gelb-Grün nur beim Outfit / dpa
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Es ist erst einen Monat her, dass die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht (Die Linke) mit einer Rede im Parlament für Aufregung sorgte. Die Empörung verteilte sich dabei gerecht auf zwei Seiten. Der Ampel-Regierung warf sie vor, dass Deutschland über die „dümmste Regierung Europas“ verfüge. Das hätte noch Beifall aus den eigenen Reihen sichern können.

Aber dazu passte die Begründung nicht. Erneut warf sie Deutschland nämlich vor, einen „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland angezettelt zu haben, den die deutsche Industrie und damit auch Bevölkerung mit dem wirtschaftlichen Niedergang zu bezahlen haben. Genau darin bestehe ja auch die Dummheit der Bundesregierung: Putin und Russland schaden zu wollen und sich bei der Operation stattdessen sehenden Auges selbst zu ruinieren. Die Aufregung auch in der Linkspartei war seinerzeit groß, selbst Forderungen nach einem Parteiausschuss wurden laut. Das alles roch angeblich nach Putin-Versteherei. Nur mit Mühe konnten alle Beteiligten die Wogen wieder glätten.

Aber Wagenknecht wäre nicht Wagenknecht, wenn sie nicht irgendwann nachlegen würde. Und das hat sie jetzt getan. Bereits seit geraumer Zeit betreibt sie einen erfolgreichen Youtube-Kanal, auf dem sie einmal pro Woche die politische Lage in Deutschland analysiert. Das tut sie stets faktensicher und kenntnisreich, aber auch mit großer Selbstgewissheit. „Alle blöd außer Sahra“, könnte eigentlich ein passender Werbeslogan für ihren Kanal sein.

„Die heuchlerischste, verlogenste und gefährlichste Partei“

Normalerweise braucht Wagenknecht einen Monat, um je Video eine Zuschauerzahl von einer Million zu erreichen. Diesmal werden es aber wohl nur drei Tage sein.  Und das hat seinen Grund. „Für mich sind die Grünen die heuchlerischste, abgehobenste, verlogenste, inkompetenteste und gemessen an dem Schaden, den sie verursachen, derzeit auch die gefährlichste Partei, die wir im aktuellen Bundestag haben.“, stellt sie gleich zum Beginn ihres neuesten Videos klar. Und seitdem hat das politische Berlin vor allem ein Thema: Hat Wagenknecht damit tatsächlich behauptet, die Grünen seien gefährlicher als die „Nazis“ von der AfD?

Dabei ist das psychologische Schockmoment ihrer Kritiker natürlich nachvollziehbar: Wer selbst seit Jahren daran bastelt, Mitglieder und Wähler der AfD in die Naziecke zu stellen, möchte sich anschließend mit dem Wesen, das man miterschaffen hat, auch nicht vergleichen oder gar gleichsetzen lassen. Man wird dann ja selbst in den Strudel der reductio ad Hitlerum hineingezogen.

Wagenknechts Fraktionskollege Dietmar Bartsch bemühte sich daher, sie schnellstmöglich öffentlich zurechtzuweisen. Und das klang dann so: „Die gefährlichste im Bundestag vertretene Partei ist und bleibt die AfD. An der Regierungspolitik der Grünen habe ich viel zu kritisieren, aber sie sind demokratische Wettbewerber. @dielinke hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den sozialen Protest der Bürger zu tragen.“ 

Nun muss man der hermeneutischen Fairness halber sagen, dass man aus dem Kontext des Videos durchaus entnehmen kann, was Wagenknecht eigentlich sagen wollte wenn man es denn will. Denn die aus ihrer Sicht bestehende Gefährlichkeit resultiere ja nicht nur aus den politischen Positionen der Grünen, sondern auch aus der Tatsache, dass diese „mit Außen und Wirtschaft immerhin zwei Schlüsselressorts“ in der Bundesregierung besetzten. Sie hat, im Unterschied zur AfD, also tatsächlich auch etwas in der Exekutive zu entscheiden. Aber derartige feinsinnige Differenzierungen fallen nicht einmal mehr jenen ins Auge, deren Job es eigentlich wäre. 

Aktivismus im Gewande des Journalismus

Vor ein paar Wochen veröffentlichten Richard David Precht und Harald Welzer ihr Buch „Die vierte Gewalt“, das seitdem vor allem unter Journalisten hoch und runter diskutiert wird. Einer ihrer zentralen Vorwürfe: Immer mehr Journalisten würden sich von ihrer eigentlichen Aufgabe verabschieden, die Bevölkerung zur Stärkung ihrer Mündigkeit objektiv und nüchtern zu informieren und stattdessen selbst als politische Aktivisten tätig sein.

Und als ob es darum ginge, diese These bestmöglich zu belegen, hauten in der Causa Wagenknecht dieser Tage gleich zwei herausgehobene Journalisten des ÖRR in die Tasten. Dunja Hayali richtete an Wagenknecht bloß die durch und durch populistische Frage: „Sponsored by … Putin?“  Einen bedeutenden Schritt weiter ging indes Georg Restle, der an Die Linke folgende Frage richtete: „Liebe @dieLinke, wie lange wollt Ihr Euch eigentlich noch mit einer Politikerin abgeben, die die Grünen für gefährlicher hält als die Rechtsextremisten der AfD? Oder gibt es da gar keine roten Linien mehr?“  Dass nun auch Journalisten damit beginnen, sich in parteiinterne Angelegenheiten einzumischen und sogar indirekt zum Parteiausschluss missliebiger Personen aufrufen, hat mit unabhängigem Journalismus nicht mehr allzu viel zu tun. Precht und Welzer werden es Restle daher danken.

Populistische Entlarvung des Populismus

Dabei könnte, wer Wagenknecht ohne Schaum vor dem Munde zuhört, auch nachdenklich werden. Minutiös deckt sie in ihrem jüngsten Video so manchen Widerspruch in der deutschen Politik auf: Eigentlich wolle die Ampel keine Waffen mehr an Diktaturen liefern und tue es mit Saudi Arabien trotzdem, das mit deren Hilfe außerdem Krieg gegen den Jemen führe; in Deutschland lehne man die Förderung von Fracking-Gas aus ökologischen Gründen ab und kaufe nun einfach welches auf dem Weltmarkt ein, was freilich noch umweltschädlicher sei; eigentlich wollten Deutschland und Europa kein Öl und Gas aus Russland mehr aber zugleich kaufe Europa nun China zu überhöhten Preisen Flüssiggas ab, das in Wahrheit aus Russland stamme. Und zugleich dächten Italien, Ungarn, Frankreich und Spanien gar nicht daran, auf russisches Gas zu verzichten, sondern bezögen es weiterhin. Und schließlich wollte man durch die Sanktionen die russische Wirtschaft in die Knie zwingen, stattdessen habe sich die russische Wirtschaft längst erholt, während die europäische auf eine fundamentale Krise zusteuere.

Eigentlich könnte man also aus den Beiträgen Wagenknechts eine Menge lernen: Erstens dass eine wirtschaftlich globalisierte Welt zu komplex ist, um aus ihr von heute auf morgen ohne gravierende Folgen aussteigen zu können. Zweitens dass jeder, der so tut, als ginge das dennoch, einer vielleicht gut gemeinten, aber dennoch populistischen Vereinfachung der Welt Vorschub leistet. Und die unvermeidbare Folge davon ist, dass man sich dann drittens zwangsläufig in einer Menge von Widersprüchen verheddern muss. Tja, das könnte man von Wagenknecht lernen, wenn man denn wollte – und wenn sie selbst wollte, dass man es von ihr lernt. Aber Wagenknecht geht es darum wahrscheinlich gar nicht. Wagenknecht geht es um Wagenknecht.

Auf dem Weg zum Märtyrertum

Das gesamte Video strotzt nur so vor einer gönnerischen Besserwisserei gegenüber jedermann, der anderes denkt als sie, dass man sich ob der absichtsvollen Verschwendung ihres politischen Talentes nur die Augen reiben kann. Ihre Widerlegung des Populismus der Regierung kommt selbst so sehr in populistischer, ebenfalls verkürzender Attitüde daher, dass sich die aufklärerischen Potenziale ihrer Argumente in dem Moment selbst zerstören, in dem sie ausgesprochen werden. 

Die so hochbegabte Sahra Wagenknecht sollte sich daher nicht darüber wundern, dass die politische Luft um sie herum immer dünner wird. Lange wird Die Linke das alles nicht mehr aushalten wollen. Ausgerechnet jene Frau, die ein ums andere Mal mit Recht vor einer Spaltung der Gesellschaft warnt, trägt mit ihrem Sound zu diesem Szenario auf ihre eigene Weise bei.

Vielleicht aber ist das alles ja auch Kalkül. Wagenknechts Mann hat Die Linke wegen der Aussichtslosigkeit des Gesamtprojekts schon vor einiger Zeit verlassen. Für eine Kapitulationserklärung à la Oskar Lafontaine ist sie vielleicht zu stolz. Dann doch lieber ein großer Abgang mit Aplomb und Drama - und einem Hauch von Märtyrertum.
 

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