Petra Köpping über Integration - „Sie immer mit Ihren Geflüchteten! Integrieren Sie doch erstmal uns“ 

Mit Petra Köpping bewirbt sich die erste Ostdeutsche um den SPD-Parteivorsitz. Köpping ist nicht nur in ihrer Heimat Sachsen außerordentlich beliebt. Als Integrationsministerin hat sie schnell erkannt, dass außer Geflüchteten noch eine andere Gruppe staatlicher Hilfe bedarf: die Verlierer der Wende

Weil sie sich fremd im eigenen Land fühlen, suchen immer mehr Menschen in Sachsen die Nähe der Rechten/ picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Petra Köpping sitzt seit 2009 für die SPD im sächsischen Landtag. Seit 2014 ist sie Ministerin für Gleichstellung und Integration. Köpping war 31, als die Mauer fiel. Schon mit 19 hatte sie ihr erstes politisches Amt als stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Großsteinberg (Kreis Grimma) übernommen. Köpping hat Staats-und Rechtswissenschaften studiert. In den Wendejahren schlug sich die dreifache Mutter als Außendienstmitarbeiterin der Deutschen Angestellten-Krankenkasse durch. Seit 2002 ist sie Mitglied der SPD. Gerade ist ihr erstes Buch im Christoph-Links-Verlag erschienen: „Integriert doch erstmal uns! Eine Streitschrift für den Osten.“ 

Frau Köpping, Ihr Buch heißt: „Integriert doch erstmal uns.“ Von wem stammt das Zitat?
Das Zitat stammt von Bürgern, die ich am Rande von Pegida-Versammlungen befragt habe, warum sie so zornig sind. Mein eigentlicher Job ist ja Integrationsministerin für geflüchtete Menschen. Und da haben mich Demonstranten skeptisch angeguckt und gesagt: „Jaja, Sie immer mit Ihren Geflüchteten. Integrieren Sie doch erstmal uns.“  

Die Bürger fühlen sich als Fremde im eigenen Staat?
Sie haben zumindest das Gefühl, dass für sie nicht so viel getan wird wie für jemanden, der als Flüchtling nach Deutschland kommt. Dabei richten sich die  Angebote für Begegnungen, die wir für Sachsen aufgelegt haben, an alle Menschen, nicht nur an Flüchtlinge. Mir ist aber dabei erst richtig deutlich geworden, dass es auch in Sachsen Menschen gibt, die fragen: Wer kümmert sich denn um uns?

Interessante Analogie. Wer ist denn schwerer zu integrieren: Ostdeutsche in Gesamtdeutschland - oder Flüchtlinge in Sachsen?
Ich werde die eine Gruppe nicht gegen die andere ausspielen. Für mich ist Integration Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Wenn ich kein Geld habe, ist die Teilhabe nicht möglich. Und das trifft auf beide Gruppen zu: auf geflüchtete Menschen und auf Hartz IV-Empfänger. Natürlich hat es jemand leichter, der schon die deutsche Sprache spricht. Andererseits hat er es aber auch schwerer, wenn er nach der Wiedervereinigung aus dem Arbeitsleben gefallen ist. Nicht jeder, der 1990 seinen Job verloren hat, hat wieder Arbeit gefunden.

Nach einer aktuellen Umfrage der Sächsischen Zeitung fühlen sich zwei von drei Sachsen als Bürger zweiter Klasse. Woher rühren diese Minderwertigkeitskomplexe?
Das sind keine Minderwertigkeitskomplexe, das sind ernst zu nehmende Gefühle. Die hängen natürlich auf der einen Seite damit zusammen, dass es im Westen immer noch höhere Löhne und Gehälter gibt. Das hat eine Folge für die Zukunftsperspektive: Jeder Vierte in den neuen Bundesländern wird von Altersarmut betroffen sein, weil der Osten ja nach 1990 mit Billiglöhnen geworben hatte. Und dann geht es natürlich auch um die Anerkennung von Lebensleistungen.

Was meinen Sie damit genau?
Die Freude über die wiedergewonnene Freiheit nach dem Mauerfall ist sehr schnell Ernüchterung gewichen. Die Leute haben schnell gemerkt, dass die Realität nicht ihre Erwartungen erfüllt hat. Es war ein krasser Wandel, weg von der Vollversorgungsmentalität in der DDR, hin zu dem Bewusstsein: Jetzt bist du ganz allein für dich verantwortlich. Ich glaube, dass die Leistung, die diese Anpassung an das neue System kostete, nie anerkannt wurde. Es ging ja um mehr als nur darum, sich einen neuen Job zu suchen.

In kaum einem anderen Bundesland hat die AfD so viel Zulauf wie in Sachsen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Gefühl des Gekränktseins und der Affinität zu dieser rechten Partei?
Es gibt eine Gemeinsamkeit in der gesamten Republik, die die Menschen zur AfD drängt:  Das ist der Anstieg der Flüchtlingszahlen, den wir 2015 erlebt haben. Weder die Politik noch die Bürger waren auf diese Situation vorbereitet. Wenn man den Westen mit dem Osten vergleicht, gibt es allerdings tatsächlich einen Unterschied. Ich glaube, dass die Demütigungen der Menschen im Osten zu einem höheren Zulauf zur AfD geführt haben.

Aus reinem Protest?
Genau. Die Menschen hatten das Gefühl, dass die demokratische Parteien wie CDU, SPD oder Linke sich nicht um ihre Probleme gekümmert haben. Sie haben dann die AfD gewählt, um den Parteien zu signalisieren: Wacht endlich auf!

Und warum war diese Wut in Sachsen besonders groß?
Wir hatten in Sachsen seit 1990 mit Kurt Biedenkopf (CDU) einen politisch erfahrenen Ministerpräsidenten. Der hat den Bürgern das Gefühl vermittelt: Bei uns geht es voran. Die Sachsen sind der FC Bayern München. 

Tatsächlich hat sich Sachsen wirtschaftlich so gut entwickelt wie kaum ein anderes Land im Osten. Warum hat das die Bürger nicht mit der Republik versöhnt?
Nicht alle haben von diesem Aufwärtstrend profitiert. Und wenn man immer hört, es klappt doch alles, wir sind die Größten, hat man schnell das Gefühl: Bei mir kommt davon gar nichts an. Das kann doch nicht an mir liegen. Das liegt doch an der Politik. Ich habe 2016 bei einem Vortrag in einer Gemeinde gesagt, Sachsen ginge es wirtschaftlich super. Wissen Sie, was dann passiert ist?

Nein.
Da sind eine ganze Reihe von Bürgern aufgestanden und haben den Saal mit Türenknallen verlassen.

Nach dem Mord an einem 35-jährigen Deutsch-Kubaner in Chemnitz hat die AfD Seite an Seite mit Pegida-Mitgliedern demonstriert. Sollte die Partei vom Verfassungsschutz überwacht werden?
Ich glaube, dass man das sehr genau beobachten sollte. Die AfD hat ja auch Schulter an Schulter mit Mitgliedern der rechtsextremen Organisation „Der Dritte Weg“ demonstriert. Es wurden offen Hitler-Grüße gezeigt. Auch das ist ein Versäumnis der Vergangenheit. Kurt Biedenkopf hat immer gesagt, dass wir gegen Rechtsradikalismus immun wären. In Chemnitz hat sich gezeigt, dass das nicht so ist. In Sachsen hatten wir zehn Jahre lang die NPD im Landtag. Ihre Mitglieder sind ja nicht einfach verschwunden, weil die NPD nicht mehr im Landtag sitzt. Diesen Schulterschluss, den wir jetzt beobachten, halte ich für sehr gefährlich.

Warum?
Weil sich die bürgerliche Mitte und Rechtsradikalismus vermischen. Deshalb muss man genau aufpassen, wohin die AfD driftet, wenn sie sich von diesen rechtsradikalen Gruppierungen nicht abgrenzt. 

Sie sind Ministerin für Gleichstellung und Integration. Was genau ist Ihre Aufgabe?
Meine ursprüngliche Aufgabe war die Integration geflüchteter Menschen und die Gleichstellung von Mann und Frau. Aber als die Forderung aufkam: „Integriert doch erstmal uns!“, wurde mir klar, dass es mehr um einen gesellschaftlichen Zusammenhalt geht. Es gibt auch Menschen, die verstehen unter Gleichstellung etwas völlig anderes als das, wofür ich mich eigentlich einsetzen sollte ...

 ... die Gleichstellung von Ost- und Westbürgern?
Genau. Der Begriff ist aus seinem Rahmen gefallen. Ich finde das gut. Politik sollte sich nicht an alten Begrifflichkeiten festhalten, sondern sich weiterentwickeln.

Petra Köpping


Jetzt hat Sachsen schon eine Integrationsministerin, und trotzdem ist der Ausländerhass in Chemnitz eskaliert. Wirft das nicht ein schlechtes Licht auf Ihr Amt?
Nein, das glaube ich nicht. Sachsen hat ja erst spät mit dem Thema Integration begonnen. Als ich 2014 Ministerin wurde, tauchte das Thema Integration überhaupt nicht als Posten im Etat auf. Dabei hatten wir seit der Wende schon immer geflüchtete Menschen in Sachsen. Die Menschen wurden am Rande der Dörfer oder in Wäldern untergebracht, teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Der Staat hat die Menschen sich selber überlassen?
Es gab natürlich Angebote vom Bund wie Integrationskurse, die richtete sich aber nur an Menschen aus bestimmten Ländern. Es waren Ehrenamtliche, die sich um diese Menschen gekümmert haben. Erst 2015 haben wir in Sachsen erste Programme aufgelegt, die aus meiner Sicht auch sehr wirksam sind, zum Beispiel die Unterstützung für kommunale Flüchtlingssozialarbeit. Wie gesagt, das Wort Integration hat seither eine neue Bedeutung bekommen. Mir geht es darum, dass jedem geholfen wird, der Hilfe braucht.

Was können Sie denn als Integrationsministerin tun, um das Selbstwertgefühl der Menschen im Osten zu stärken?
Die Menschen nehmen es unheimlich dankbar auf, dass man sich ihre Geschichten anhört, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet und sie wertschätzt. Ein Mann, der mein Buch schon gelesen hat, hat mir eine Email geschrieben: Frau Köpping, Sie haben mein Buch geschrieben. Danke!

Ihre eigene Biographie ist ein gutes Beispiel dafür, dass man den Umbruch der Wende auch aus eigener Kraft bewältigen kann. Ist es nicht eine typisch ostdeutsche Eigenschaft, zu erwarten, dass die Politik für das Wohl des Einzelnen verantwortlich sei? 
Ich würde es so formulieren: Wer braucht schon Politik, wenn er stark ist? Klar, ich persönlich hätte keine Sonderprogramme gebraucht. Aber nicht alle Menschen hatten die Möglichkeiten, die ich hatte – und auch nicht die Kraft. Und genau um diese Menschen muss ich mich kümmern.

Die potenziellen AfD-Wähler?
Nein, in meinem Buch kommen auch Menschen vor, die es geschafft haben. Auch diese Menschen wählen gern die AfD.

Was glauben Sie, aus welchen Gründen?
Die Menschen haben Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Das ist anders als in den alten Bundesländern, wo ich vielleicht eine Erbschaft oder ein Vermögen mitbekommen habe. So etwas ist im Osten eher die Ausnahme. Die Bürger dort haben sich alles selber erarbeitet.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU)  hat  Ihnen vorgeworfen, Sie machten den Menschen falsche Hoffnungen. Warum haben Sie als Integrationsministerin in der Landesregierung einen schweren Stand?
Weil wir unterschiedliche Sichtweisen auf meine Arbeit haben. Es gibt Leute, die sagen, lasst die Vergangenheit Vergangenheit sein. Kümmert Euch um die Zukunft. Ich möchte, dass Vergangenheit und Zukunft miteinander verbunden werden. 

Gegen den Willen der CDU fordern Sie die Einrichtung einer Wahrheitskommission, die die Arbeit der Treuhand aufarbeitet. Warum wäre das wichtig?
Ich habe in Gesprächen mit Bürgern gemerkt, wie emotional dieses Thema besetzt ist. Gestandene Männer, die schon sechzig Jahre und älter sind, haben mit Tränen in den Augen erzählt, was da nach der Wende abgelaufen ist und was das für sie bedeutet hat. Dass ihre Familien daran kaputtgegangen sind, dass sie ihren Job verloren haben.

2019 wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Ob CDU und SPD dann noch die nötige Mehrheit bekommen, ist ungewiss. Würden Sie auch zur AfD wechseln, um Ihr Amt auszuüben?
Meinen Sie die Frage ernst? Nein, ganz bestimmt nicht. 

Dabei spricht diese Partei doch die Klientel an, um die Sie werben.
Ich möchte, dass die AfD-Anhänger wieder Vertrauen zur SPD haben. Dass sie erkennen, dass die SPD eine Partei ist, die sich um die kümmert, die Hilfe und Unterstützung brauchen.

Um die Daheim-Gebliebenen?
Irgendwer hat mal gesagt, die SPD solle aufhören, sich um Randgruppen zu kümmern. Wenn Sie die Wahlergebnisse der vergangenen Bundestagswahl und die Prognosen für die nächsten Landtagswahl sehen, erkennen Sie: Das ist keine Randgruppe.

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