Rücktritt von Andrea Nahles - Nie die Rolle gefunden

Andrea Nahles war in vielen Ämtern gut bis sehr gut – als Parteichefin der SPD ist sie nach etwas mehr als einem Jahr gescheitert. An den Umständen. Aber auch an sich selbst

Andrea Nahles hat ihre Rolle als Parteichefin nie gefunden /picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Sie wird als die tragischste Figur in die zuletzt an tragischen Figuren reichen Geschichte der Vorsitzenden der Sozialdemokratie eingehen. Andrea Nahles war eine der erfolgreichsten Juso-Vorsitzenden, eine gute Generalsekretärin und eine über Parteigrenzen hinweg geachtete Arbeits- und Sozialministerin. Im Amt der Parteichefin aber ist sie innerhalb eines Jahres gescheitert (hier die Rücktrittserklärung im Wortlaut). An den Umständen. Aber vor allem an sich selbst.

Die schwierige Lage der SPD

Die Umstände: Keiner anderen Partei ist der Kontakt zur ihrer Klientel derart verloren gegangen wie der SPD. Sie wird gesteuert von einer Funktionärsclique, die besser als ihre Kundschaft weiß, was gut für sie ist. Sie hat die sozialen Verwerfungen, die mit der Merkelschen Migrationspolitik einhergingen, alles zu Lasten eher derer, die weniger haben als derer, die in den bessern Vierteln wohnen, ignoriert und schöngeredet. Nur zu Erinnerung: Im Juli 2015 stand die SPD in den Umfragen noch bei vergleichsweise satten 25 Prozent.

Für die im Kern richtige Agenda 2010 ist die SPD bis heute bei vielen ihrer Ex-Wähler verhasst und wird  gemieden. Dieser Effekt wäre vermutlich nicht eingetreten, wenn der Agenda damals schon der ebenso richtige Mindestlohn an die Seite gestellt worden wäre. So kam er zu spät. Hätte. Hätte. Fahrradkette.

Die SPD hat darüber hinaus nie ein Mittel gefunden, im Schatten einer sozialdemokratischen CDU-Kanzlerin in einer Großen Koalition sichtbar zu werden. Es erging ihr wie einem Baum im Wald, der es nicht schafft, mit seiner Krone ans Licht zu kommen, weshalb der Baum mehr und mehr mickerte. Die „Opposition-ist-Mist“-Anhänger in der SPD hören das nicht so gerne, aber die Wahrheit ist: Mitregieren in einer Großen Koalition unter dieser Kanzlerin ist noch mehr Mist. Es ist tödlich.

Nahles hat sich unmöglich gemacht

Damit zu Nahles’ persönlicher Verantwortung des Scheiterns. Sie hat ihre Rolle als Parteichefin nie gefunden. Hat vor allem habituell und im Auftritt das Amt wie den Juso-Vorsitz im XXL-Format ausgeübt. Die diversen Sprüche sind alle sattsam bekannt und ins kollektive Bewusstsein eingesickert, man muss sie nicht wiederholen. Der SPD-Abgeordnete Florian Post sagte der FAZ, dass man sich über Sigmar Gabriel oft geärgert, aber nie geschämt hätte. Das sagt alles.

Nahles hat sich damit unmöglich gemacht bei vielen potenziellen Wählerinnen und Wählern. Sie ist persönlich für viele Menschen ein Grund geworden, diese Partei nicht zu wählen. Das ist deshalb so tragisch, weil sie im Prinzip eine sehr gute Witterung für die Sozialdemokratie und ihre Klientel hat. Aber Prinzip und Praxis sind eben zwei verschiedene Kategorien.

Der Erpressungsversuch von Nahles

Zuletzt mangelte es Nahles auch in der innerparteilichen Auseinandersetzung an Anstand. Als sie merkte, dass sich der Druck gegen sie im Nachgang der Bremen- und Europawahl aufbaute, ging sie in die Offensive und verlegte die Wahl zum Fraktionsvorsitz weit nach vorne, vom September auf den kommenden Dienstag. In der Hoffnung, dass ihre Gegner so schnell die Reihen gegen sie nicht schließen würden. Das war schon grenzwertig, ein richtiges „No Go“ war aber war, dass sie kurz darauf durchsickern ließ, sie werde auch als Parteivorsitzende aufhören, wenn sie nicht wiedergewählt werden würde an Spitze der Fraktion. Das war schlicht Erpressung. Eine solche Konsequenz kündigt man nicht an. Sondern zieht sie, wenn es soweit ist. Alles andere ist schlechter Stil.

Offenbar ist Andrea Nahles nach der Krisensitzung der Fraktion in der vergangenen Woche klar geworden, und ihr klar gemacht worden, dass ihre verzweifelte Flucht nach vorn ins Leere geht. Die Niederlage am Dienstag wäre unabwendbar gewesen. Mit ihrem Rückzug von beiden Ämtern hat sich Andrea Nahles diese Schmach erspart.    

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