Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot - Sehnsucht nach Schreiner und Schröder

Früher war nicht alles besser. In der SPD schon. Die Sozialdemokraten können sich allen Ernstes eine Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene vorstellen. Dabei droht ihnen damit längst die Juniorpartnerschaft. Erst Grün, dann Rot, dann SPD

1999 in Erfurt (Thüringen): Bei der SPD-Präsidiumssitzung sitzt Bundeskanzler Gerhard Schröder (l) neben Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die SPD hat jetzt durch ihre kommissarische Vorsitzende Malu Dreyer und ihren Generalsekretär Lars Klingbeil wissen lassen, dass sie bereit wäre, auch auf Bundesebene ein Bündnis mit der Linken einzugehen. Dieses Plädoyer für Rot-Rot-Grün, früher ein Aufreger, ist in der derzeitigen Situation nicht ohne eine gewisse Tragikomik.

Sagen wir so: Wenn die SPD bereit ist, unter Umständen eine Koalition mit der Linken auf Bundesebene einzugehen, dann bin ich unter Umständen bereit, mit Roger Federer bei einem Grand-Slam-Turnier im Doppel anzutreten. ER darf sich auch raussuchen, ob er auf der Vorhand- oder Rückhandseite spielen möchte. Ich bin auf beiden Positionen gleich stark.

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In den aktuellen Umfragen zu den Landtagswahlen liegen die Sozialdemokraten teilweise schon unter zehn Prozent, sind einstellig. In Thüringen, dort wird im September gewählt, treten sie ohne einen Kandidaten an, der oder die von sich sagt, er oder sie wolle Ministerpräsident werden. Diese Entscheidung sieht situativ angemessener aus als die Öffnung für Rot-Rot-Grün im Bund. Das gar kein Rot-Rot-Grün wäre. Sondern Grün-Rot-Rot.

Wer auch nur etwas Empathie für diese Partei aufbringt, oder der grundsätzlichen Meinung ist, dass es diese Partei als Gegengewicht zur CDU geben sollte, der ist hin und hergerissen zwischen Mitleid, Entsetzen und Spott. Als legten es die Sozialdemokraten darauf an, sich zum Gespött zu machen, veranstalten sie einen Kandidatenwettbewerb um ihren neuen Vorsitz, gegen den sich jede Show im Privatfernsehen wie ernstes Fach ausnimmt. Sie können froh sein, dass Harald Schmidt seine beste und populärste Zeit hinter sich hat. Was hätte sich der Mann in seiner täglichen Show auf die SPD gestürzt.

Den Kontakt zu Klientel völlig verloren

Über die Gründe für ihren Niedergang ist viel geschrieben worden. Für meine Begriffe sind es zwei: ein struktureller und ein individueller. Strukturell hat die Umweltbewegung die Arbeiterbewegung abgelöst. Und die SPD hat sich nie von einer Gewerkschafts-SPD in eine Partei verwandelt, die den veränderten Bedürfnissen und Rechten von Arbeitnehmern in einer Uber- und Lieferando-Welt angepasst. Und individuell habe die Sozialdemokraten den Kontakt zu ihrer potenziellen Klientel völlig verloren. Da haben Sigmar Gabriel und die Unterzeichner von SPD Pur vollkommen recht.     

Viele halten nun die Dominanz der Klimafrage für die entscheidende Wasserscheide: Alle Wasser verlaufen seither auf die Mühlen der Grünen und nicht mehr der SPD. Das ist nur die halbe Wahrheit. Beim zweiten groben Thema, der Migration, hat die SPD in der Anfangsphase die gleiche Position eingenommen wie die Grünen: Willkommen – ohne Blick für die Kehrseiten. Wertvoller als Gold seien die Menschen, die da kommen, sagte Martin Schulz. Deutschland werde sich drastisch ändern und sie freue sich drauf, sagte Katrin Göring-Eckardt. Die gleiche Aussage, unterschiedlicher Effekt. Die grüne Klientel goutierte diese Position, die sozialdemokratische nicht. Deshalb hat auch der ganz erfrischende No-Name-Kandidat Robert Maier einen Punkt, wenn er sagt, dass die Innere Sicherheit und die Migration in den kritischen Fokus der SPD gehörten.

Früher war mehr SPD

Dazu kommt ein drittes Problem. Ein personelles. Neulich war Franz Müntefering wegen eines historischen SPD-Datums im Deutschlandfunk. Gewissermaßen selbst als lebende Geschichte. Was war das für eine Erfrischung, diesem Mann zuzuhören. Klare Sätze, mit Stolz auf die eigene Partei und Selbstbewusstsein für das vorgetragen, was die SPD diesem Land Gutes getan hatte. Zugleich demütig vor der Erkenntnis, dass auch manche Fehler dabei waren. Aber getragen von einem Niveau und einer natürlichen Größe, die man in der aktiven Generation nicht findet.

Früher war nicht alles besser, nein. Aber die SPD schon. Es gab eine SPD, die hatte ihre Schröders und Clements und Steinbrück auf der einen Seite. Sie hatte ihre Ottmar Schreiners und Rudolf Dreßlers auf der anderen Seite. Und beide Seiten waren wahrhaftig, authentisch. Es war keine Heuchelei, als beim Tod von Ottmar Schreiner alle eher wirtschaftsnahen Sozialdemokraten diesem großen Kämpfer für die Arbeitnehmerrechte ihren aufrichtigen Respekt zollten. Schreiner und Schröder, das waren zwei Seiten einer SPD, die zusammen ein attraktives Angebot für eine so große Menge an Wählern boten, dass die SPD kanzlerfähig war.

Entrückte Glamour-Kaste

Heute gibt es eine Heiko-Maas-SPD, die in ihrem Gebaren und Auftreten weder den Bossen noch den Arbeitern zusagt, sondern einer entrückten Glamour-Kaste, die in ihrem subventionierten und privilegierten Dasein im Kulturbetrieb keine Ahnung hat und auch nichts wissen will von den Sorgen eines Start-Up-Unternehmers oder eines Arbeiters vom Münchner Hasenbergl.

In dieser Welt aber haben sich die Grünen schon erfolgreich eingenistet. Bei denen ist es egal, ob sie nachweislich am meisten fliegen. Sie sind trotzdem die einzigen, die den Planeten vor dem Untergang retten können.

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