Rezo und Co. - Rebellen wie damals Oma und Opa

Nach den Europawahlen und dem Video von Rezo werden Jugendliche als Revolutionäre und neue 68er gefeiert. Vornehmlich von denen, die durch den Marsch durch die Institutionen längst selbst welche geworden sind. So können sich alle auf die Schulter klopfen und davon ablenken, was wirklich weh tut

Trittin, Jörges beim „Stern“: Klassenkämpferisch ist nur noch die Kleidung / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

So erreichen Sie Constantin Wißmann:

Anzeige

Als sich Jürgen Trittin und Hans-Ulrich Jörges anlässlich des „Tag des Journalismus“ auf dem Podium im Hamburger Verlagsgebäude des veranstaltenden Stern gegenübersaßen, war es so etwas wie ein kleines Gipfeltreffen der 68er nach dem gern beschriebenen Marsch durch die Institutionen. Beide sind nicht dumm und wissen vermutlich ganz genau, dass sie als ehemaliger Umweltminister beziehungsweise amtierender Chefleitartikler längst die Spitze des einst verhassten bürgerlichen Establishments erklommen haben. Doch kleiden mögen sie sich noch immer wie zu klassenkämpferischen Zeiten. Zerbeultes Sakko, Jeans, Turnschuhe – so traten beide auf die Bühne. 

Oma und Opa waren noch viel radikaler

Das sind nur Äußerlichkeiten, klar: Aber sie zeigen doch exemplarisch auf, wie schwer es Jugendliche haben, das zu tun, was von ihnen doch irgendwie immer erwartet wird: die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Fast immer, wenn junge Leute sich tatsächlich anschicken, etwas zu verändern – nicht nur Mama und Papa, nein, sogar Oma und Opa waren schon da. Der Enkel hat eine politische Idee? Super, Opa hätte da ein paar Tipps und holt gleich Noam Chomsky aus dem Regal. Die Enkelin möchte demonstrieren? Klasse, Oma kann erzählen, wie das damals war auf den Friedensmärschen. Und Mama stimmt gleich ein und erklärt, wie man bei den Castortransporten die Polizei veräppelt hat. Und noch mehr: Oma und Opa haben es auch noch besser gemacht. Sie waren radikaler, politisch bewusster sowieso und – worin sie niemals überboten werden können: Sie waren die ersten! Dann traten sie den Marsch durch die Institutionen an, bis sie selbst zu welchen wurden, was sie aber nicht so gern zugeben. Derweil haben sie sich selbst zur Legende stilisiert.

Wie schwer es da ist, wirklich rebellisch zu sein, zeigt die Fridays For Future-Bewegung. Wenn sie auf die Straße gehen, um gegen den Klimawandel zu protestieren, rennen die Jugendlichen permanent offene Türen ein. Die Ikone Greta Thunberg wurde von ihren Eltern systematisch aufgebaut, um deren Positionen weltweit Gehör zu verschaffen. Und Bundes- und EU-Kommissionspräsidenten hören nur allzu gern zu. Thunbergs Follower werden von den eigenen Eltern und Lehrern mutwillig unterstützt, die Schule für ihren Protest zu schwänzen (welch großes Opfer für einen Teenager!). 

Kritische Fragen unerwünscht

Dann können sich die Älteren selbst auf die Schulter klopfen, wie toll kritisch ihre Jungs und Mädchen doch noch geworden sind (die daddeln ja doch nicht nur auf ihren Smartphones rum). Gleichzeitig können sie ihr Gewissen beruhigen, dass man sich das Bio-Gemüse mit dem Auto liefern lässt. Jürgen Trittin kann davon schwärmen, wie sehr ihn all das an die eigene Jugend erinnert. Und Hans-Ulrich Jörges sieht sich in seiner publizistischen Liebesaffäre mit den Grünen und ihren obersten Vertretern bestätigt, vor allem den männlichen.

Kritische Fragen werden da gar nicht erst gestellt. Welche das sein könnten, hat der britische Spectator einmal aufgelistet, zum Beispiel diese: Glaubt Ihr wirklich, dass es möglich ist, die Kohlenstoffemission bis 2025 zu beseitigen, ohne die globale Wirtschaft zusammenbrechen zu lassen? Doch solche Fragen an Klima-Aktivisten sind im deutschen Fernsehen oder Radio nicht erwünscht. Und auch nicht im gedruckten Sturmgeschütz der Demokratie. Die jüngste Titelgeschichte des Spiegel ist ein bisweilen peinliches Ranwanzen an die jugendlichen Helden, vor allem die Youtuber und ihren Star Rezo. Dass die sonst vor allem ihre Generationsgenossen zum Konsum animieren und hinter ihnen finanzstarke Werbeprofis stehen, wird in der zehnseitigen Geschichte nicht mit einer Silbe erwähnt. Der allseits verhasste Kapitalismus ist eben auch zu schlau. Die Kritik an ihm hat er sich gleich einverleibt, wie der slowenische Philosoph Slavoi Zizek es einmal formulierte. Jeder Verkäufer von Che-Guevara -T-Shirts weiß das ganz genau. 

Ablenkung von den anderen Problemen

Es gibt aber auch einen anderen Grund, warum das Establishment so gern mit den Klimarebellen kuschelt. Denn so kann es von all den anderen Problemen ablenken, die es den jüngeren Generationen eingebrockt hat. Der Klimawandel ist eine schwer zu greifende Angelegenheit, die von einzelnen Akteuren oder Bundesregierungen sowieso nicht allein, und wenn, dann nur über einen langen Zeitraum zu lösen ist. Sich da lieb Kind zu machen, kostet den gegenwärtig am Ruder stehenden Leuten nicht besonders viel. Anders sieht es aus bei Dingen wie der Arbeit, Gesundheit, der Rente, der Bildung oder auch der Infrastruktur. Daniel Stelter hat bereits beschrieben, wie die heutige Politikergeneration in diesen auch nicht ganz unwichtigen Feldern den Wohlstand des Landes und damit die Zukunft der jungen Menschen geplündert hat.

Und für was? Um kurzfristig die Gunst der Wähler zu erlangen. Denn, das wissen Politiker ganz genau bei allen Lippenbekenntnissen zu der Jugend: Wenn’s drauf ankommt, zählen die Alten. US-Präsident Donald Trump brachte es zynisch auf den Punkt, als er einem Protestler gegen sich sagte: „Geh heim zu Mama! Die wählt mich“. Wer heute in Deutschland unter 60 ist, gehört schon in die Hälfte der jungen Wähler. Das Resultat, so Stelter: „Wohl keine Generation ist so egoistisch mit den Ressourcen eines Landes umgegangen wie die heute regierende.“

Die Folgen spüren die jungen Leute schon jetzt. In den vergangenen 20 Jahren stagnierten die realen Löhne für zahlreiche Deutsche bis hinauf in die Mittelschicht. Stellen sind heute oft befristet und gerade in den ersten Berufsjahren schlecht bezahlt. Fast die Hälfte der jungen Singles zwischen 25 und 35 ist nach der offiziellen Definition von Armut bedroht – eine dramatische Diagnose. Dass es einfacher wird, ist nicht abzusehen. Sobald demnächst die Babyboomer in den Ruhestand gehen, die Früchte der vielen Sommer der Liebe in den sechziger Jahren, wird das Alterssystem der nächsten Belastung ausgesetzt. Ein Großteil der heutigen Arbeitnehmer muss wahrscheinlich hohe Beiträge in die Rentenkasse zahlen und bekommt dafür vergleichsweise wenig Altersgeld. Besonders eng wird es für jene, die wenig verdienen oder wegen der Kinder länger ausgesetzt haben und danach nicht mehr groß Karriere machen können.

Auch die Jüngeren profitieren vom Wohlstand der Eltern

Doch warum protestiert die Jugend dagegen in Deutschland nicht? Auch das hat mit einer gern verdrängten Wahrheit zu tun, diesmal auf der Seite der Jüngeren. Denn gerade die, die aus gut begüterten Elternhäusern stammen, wissen, dass ihr einfachster Weg zu eigenem Wohlstand über den der Eltern führt. „Die beste Voraussetzung, zu Vermögen zu kommen, ist es, Eltern zu haben, die vermögend sind“, sagt der Elitenforscher Michael Hartmann. Wie sich das auswirkt, beschrieb die Journalistin Katja Kullmann schon 2011  in ihrem Buch „Warum es heute so kompliziert ist, eine Haltung zu haben“. Ein Großteil der selbsternannten Gegenkultur, zum Beispiel in Berlin mit all seinen spannenden Galerien, Shops und Special-Interest-Magazinen, wird wohl auch heute noch „von rheinischen Rechtsanwalts-Papas, westfälischen Fleischer-Dynastien oder fränkischen Oberstudienräte- Haushalten am Laufen gehalten“, vermutet Kullmann. Deswegen hüten sich viele Jüngere davor, ihre Eltern da anzugreifen, wo es ihnen wirklich weh täte. Denn die Töchter und Söhne würden sich damit langfristig selbst schaden. 

Wie es geht, kann man bei Netflix sehen

Was also sollen die jungen Leute tun? Sollten sie, um wirklich zu rebellieren, den Enteignungsfantasien eines Kevin Kühnert folgen? Dass der real existierende Sozialismus vor allem den Arbeitern wenig geholfen hat, sollten eigentlich auch 30-jährige Jungsozialisten wissen, selbst wenn sie die Mauer nicht mehr selbst gesehen haben. Aber tatsächlich könnte es eine Möglichkeit sein, die ökologische Frage mit der nach der Generationengerechtigkeit zu verbinden. Wie schnell das gehen kann, können sich die deutschen Möchtegern-Rebellen auf Netflix anschauen. Die Doku „Knock down the house“ zeigt, wie Alexandria Ocasio-Cortez, eine ehemalige Kellnerin ohne politische Verbindungen, es schaffte, mit dieser Kombination dem einflussreichen, fest etablierten Kongressabgeordneten Joe Crowley seinen Sitz im US-Kongress abzujagen.

Wie sie das gemacht hat? Sie und ihr Team aus Freiwilligen riefen 75.000 Wähler an, klopften an 120.000 Türen und verschickten 120.000 Textnachrichten. „Der einzige Weg, einen Amtsinhaber zu besiegen, ist es, mehr zu arbeiten als er“, sagte sie. Für wirkliche Veränderung muss man eben ein bisschen mehr tun, als freitags die Schule zu schwänzen. 

Anzeige