Regierungserklärung von Angela Merkel - Ja, aber

Bei ihrer Regierungserklärung zum zweiten Lockdown der Corona-Pandemie schlägt der Bundeskanzlerin im Bundestag mehr Widerstand entgegen als bislang. Das liegt auch daran, dass sich Angela Merkel kaum an die Betroffenen richtet. Es fehlt an Nachvollziehbarkeit, Planbarkeit und an Klarheit.

Der AfD-Fraktionschef Alexander Gauland antwortete auf die Rede der Kanzlerin / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Es mag reine Rhetorik gewesen sein, als die Bundeskanzlerin am 14. Oktober sagte: „Wir können uns auch ökonomisch eine zweite Welle nicht leisten.“ Angela Merkel wollte damit wohl ein letztes Mal klarmachen, dass das individuelle eigenverantwortliche Handeln mitverantwortliches Handeln für alle anderen bedeutet. Nur zwei Wochen später ist die zweite Welle da und vielen Menschen ist klar, dass ein weiterer exponentieller Anstieg der Infektions- und dann der Todeszahlen in eine ökonomische Katastrophe führen würde. Selbst die noch ausreichende Anzahl der Intensivbetten kann einen kaum beruhigen. Denn ein Intensivbett bedeutet einen Überlebenskampf, den man niemandem wünschen sollte.

Doch ebenso klar ist, dass diese zweite, wenngleich weniger starke Vollbremsung, für sehr viele Menschen im Land ebenfalls in die ökonomische Katastrophe führt – von persönlichen Katastrophen ist dabei noch gar nicht die Rede. Und so hätte man nach der Einigung der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vom Mittwochabend erwarten können, dass Angela Merkel sich in ihrer Regierungserklärung an eben jene Menschen richtet. In ihrer vergangenen Rede im Bundestag war ihr das gelungen. Doch dieses Mal ging es nicht darüber hinaus, zu sagen, dass es sich um sehr harte Maßnahmen handeln würde, dass diese eben nun mal notwendig seien.

Kanzlerin will Zuversicht verbreiten

Die Kanzlerin bemühte sich vor allem, trotz der erneuten schweren Eingriffe in die Grundrechte, darauf hinzuweisen, dass dieser zweite Lockdown anders als im Frühjahr gestaltet würde. Die Schulen und Kitas weiterhin offen, der Einzelhandel und auch die europäischen Grenzen sollen dieses Mal nicht schließen. Sie dankte der Wissenschaft und ihrem Gesundheitsminister und wies darauf hin, dass die Bedeutung der App „mit jedem Tag wächst“. Wissend um ihre eigenen rhetorischen Fähigkeiten bediente sie sich dann der Worte der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Deren Verweis auf die Evolution will Merkel als Zuversicht zum Durchhalten verstanden wissen: „Wir sind verdammt gut darin, uns anzupassen.“ Heißt letztendlich aber: Warten auf den Impfstoff.

Deutlich emotionaler traten dann die Rednerinnen und Redner, die der Kanzlerin nachfolgten, auf. Härteste Kritikerin des Regierungskurses war dabei die AfD, die vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble mehrfach ermahnt werden musste, die Kanzlerin ausreden zu lassen. Die tumultartigen Zwischenrufe dürften aber durchaus ein Spiegel bestimmter Teile der Gesellschaft gewesen sein, die immer weniger Verständnis haben, insbesondere jene Branchen, die nun erneut extrem betroffen sind. Aber auch FDP, Grüne und Linke gingen anschließend in ihren Reden hart ins Gericht mit dem Regierungskurs – vor allem, weil der Bundestag und die Länderparlamente nicht vorab debattiert hätten.

Gauland und der Straßenverkehr

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland verstieg sich dabei zu Vergleichen, die bereits seit einiger Zeit durch die sozialen Netzwerke wabern: Gauland sprach von „Kriegskabinett“, von „Kriegsrhetorik im Namen der Gesundheit“. Er verglich die Todesfälle der Pandemie mit Todesfällen im Straßenverkehr. Man schaffe ja auch nicht Straßenverkehr ab, um null Tote zu erreichen. Gauland verkennt hier natürlich, dass Verkehrstote nicht ansteckend sind und Verkehr kein exponentielles Wachstum erzeugt, das jeden treffen kann.

Was er aber zum Ausdruck brachte: Was bedeuten diese erneuten Beschränkungen für Isolierte, Depressive und für sozial Schwache? Kein Wort war dazu in der Rede der Bundeskanzlerin zu hören. Auch die Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali kritisierte in ihrer Rede die Bundesregierung für die fehlenden sozialen Auffangprogramme. Tatsächlich ist noch immer nicht beschlossen, wie betroffene Unternehmer vor der Grundsicherung bewahrt werden können. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte bislang einen sogenannten Unternehmerlohn nur angekündigt.

Lindner fordert Umkehr

FDP-Chef Christian Lindner geißelte die neuen Maßnahmen der Regierung als puren „Aktionismus“. Warum habe etwa die Gastronomie in „Hygienekonzepte investiert“? Merkel sagte dazu vorab, die brauche es nach dem vierwöchigen Lockdown wieder.  Doch Lindner hält das komplette Schließen dennoch für „unnötig und unfair“. Die Menschen wollten im Grunde keine Finanzhilfen, sie wollten arbeiten, dort wo es infektiologisch auch möglich ist. Lindner forderte eine Umkehr, weil „selbst dieser Staat“ nicht in der Lage wäre, auf Dauer „den Stillstand zu finanzieren“. Und er stellte die Frage, was denn nach einer dritten und nach einer vierten Welle kommen solle. Dieser Lockdown jetzt müsse „der letzte gewesen sein“ und auch das „Panikvokabular“ müsse beendet werden.

Es ist davon auszugehen, dass sich das Kanzleramt natürlich schon im Sommer mit den jetzigen Szenarien beschäftigt hat. Aber die Bundeskanzlerin kommuniziert das, was ihr politisch aktuell als durchsetzbar erscheint. Das betonte sie gestern auch noch mal in ihrer Pressekonferenz. So ist auch zu erklären, dass sie am 17. Juni 2020 sagte: „Ich weiß nicht, warum ich mich jetzt mit Dingen permanent beschäftigen sollte, die Gott sei Dank nicht auf der Tagesordnung stehen.“ Journalisten hatten sie gefragt, was ihre Pläne zu einer möglichen zweiten Welle wären. Jetzt kennen wir diesen Plan. Die Frage ist, wie viele ihn jetzt noch akzeptieren wollen.

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