Rechtsextreme in der Coronakrise - „Man greift zurück auf die Rhetorik aus dem Nationalsozialismus“

Die Coronakrise stellt Rechtsextremisten auf eine harte Probe. Weil der Feind unsichtbar ist, finden sie keine Strategie, um sich als Retter zu profilieren. Warum die Gefahr durch die Szene trotzdem nicht unterschätzt werden darf, erklärt die Extremismusforscherin Natascha Strobl.

Keine Strategie gegen den unsichtbaren Feind / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Natascha Strobl ist Rechtsextremismusforscherin und lebt in Österreich. 2014 hat sie zusammen mit anderen das erste deutschsprachige Handbuch zur Identitären Bewegung veröffentlicht. 

Frau Strobl, der Verfassungsschutz warnt davor, Rechtsextreme nutzten die Coronakrise, um Verschwörungstheorien über das Internet zu verbreiten und möglicherweise sogar Anschläge vorzubereiten. Sie haben gerade Magazine, Blogs und Social-Media-Accounts studiert, um zu untersuchen, wie sich Rechtsextreme zur Coronakrise zu positionieren. Was ist Ihr Eindruck?
Es gibt gibt zwei Richtungen. Einerseits boomen rassistische und antisemitische Verschwörungstheorien. Da heißt es, das Virus sei von dunklen Mächten ausgesetzt worden, um die Welt in den Abgrund zu stürzen. Das Virus wird als das „China-Virus“ oder als das „Wuhan-Virus“ bezeichnet.

Und andererseits?
Der andere Strang ist ein sozialdarwinistischer Strang. Es wird davon ausgegangen, dass das Virus – über dessen Gefährlichkeit die Protagonisten uneins sind – die Schwächsten in der Gesellschaft aussiebt. Das wird einfach so hingenommen.

Der Ansatz ist ja gar nicht so weit von dem Kurs der „Unkontrollierten Durchseuchung“ entfernt, dem Regierungschefs wie Boris Johnson, Donald Trump und Jair Bolsonaro noch vor wenigen Wochen gefolgt waren. Gibt es da eine ideologische Nähe?
Ja, vielleicht nicht zu den Regierungschefs selbst – aber zu den Leuten, die sie beraten. Dass Trump und Bolsonaro immer wieder die Nähe zu Rechtsextremen gesucht haben, ist nicht neu. Aber ich glaube nicht, dass sie dem sozialdarwinistischen Kurs folgen. Ihr Kurs ist marktliberal: Man muss das Virus laufen lassen, um die Wirtschaft zu retten. Es gibt aber Überschneidungen im Diskurs.

Inzwischen haben die steigenden Zahlen der Toten die These der Herdenimmunität widerlegt. Hat das nicht zu einem Gesinnungswechsel bei den Rechten geführt?
Schwer zu sagen. Die Blogs, Facebook- oder Twitter-Accounts und Magazine der Neuen Rechten, die ich für meine Studie ausgewertet habe, wie zum Beispiel Sezession, Compact oder Eigentümlich frei, erscheinen mit einem gewissen Vorlauf. Im Moment konnte ich das noch nicht feststellen. Fakten oder wissenschaftliche Diskurse sind in der rechtsextremen Szene aber noch nie aufmerksam rezipiert worden. Das sieht man ja auch bei den Themen „Impfen“ oder „Klimawandel“. Man lässt sich eine schöne Erzählung nicht durch Fakten zerstören. Dabei hätte man aus rechtsextremer Sicht auch eine andere Erzählung aus dem Virus machen können.

Welche denn?
Wir schützen die Risikopatienten, Oma und Opa. Wir sind für die ältere Generation da.

Sie spielen auf die Empörung über die verunglückte WDR-Satire an: „Meine Oma ist `ne alte Umweltsau“?
Zum Beispiel. Solange sich Aggressoren personalisieren lassen, will man die Opfer beschützen. Dieses Virus aber ist unsichtbar.

Und deshalb eignet es sich nicht als Feindbild?
Genau. Dieses Virus ist ja kein biologischer Kampfstoff, der Soldaten an der Front bedroht. Es sind Ärztinnen und Ärzte oder auch Supermarkt-Kassierer – und die eignen sich nicht als Protagonisten für die klassische Heldenerzählung der Neuen Rechten. Das sieht man auch an der Sprache.

Natascha Strobl / Nurith Wagner-Strauss

Inwiefern?
Man borgt sich die Sprache aus dem Krieg, weil man keine Sprache für Medizin hat. Man greift zurück auf die Rhetorik aus dem Nationalsozialismus. Alte Männer, die ja selbst zur Risikogruppe gehören, sagen: „Wenn es mich trifft, werde ich nicht ins Krankenhaus gehen, um an Maschinen angeschlossen zu sterben. Dann sterbe ich lieber daheim, dem Tod ins Auge blickend.“ Das ist eine Rhetorik, die wir von Ernst Jünger kennen: Egal, wie aussichtslos der Krieg ist – wir bleiben auf dem Posten.

Was ist aus dem Feindbild „Flüchtling“ geworden?
Das ist immer noch da. Es wird versucht, das mit dem Virus in Verbindung zu bringen – so wie Juden ja auch immer als Brunnenvergifter dargestellt wurden. Das ist ein starkes Motiv in der europäischen Geschichte. Heute sind es die Flüchtlinge, die die Krankheit bringen. Sie sind „Schädlinge“, „Ratten“. Und was macht man mit denen? Diese Frage wird natürlich nicht beantwortet.

Die europäischen Länder sind gerade im Ausnahmezustand. Das öffentliche Leben steht still. Haben Rechtsextreme, die von einem Umsturz träumen, nicht immer von diesem Moment geträumt?
Das Problem ist: Die Regierungen haben über den Ausnahmezustand entschieden – nicht sie. Einige hätten gerne Bürgerkrieg gespielt, müssen jetzt aber daheim bleiben und Abstand halten. Das wurmt sie sehr. Man merkt das an ihrer Widerstandsrhetorik. Der Ausnahmezustand müsse so schnell wie möglich beendet werden. Die Kanzlerin hätte zu viele Befugnisse in der Hand.

Aber in der Öffentlichkeit können sie mit solchen Forderungen nicht punkten. Auch die AfD verliert in der Krise an Stimmen. Woran liegt das?
Ich glaube, es liegt einerseits am Krisenmanagement der Kanzlerin, die es schafft, weite Teile der Öffentlichkeit hinter sich zu bringen. Andererseits liegt es daran, dass es in dieser Krise gerade keine Lösung gibt. Die Leute haben Angst, aber es gibt gerade keinen Plan. Auf dieser Mikro-Ebene hat auch die AfD keine Antworten. Ins Firlefanz hat sie sich noch nie verstrickt. Und der Bereich Medizin und Gesundheit ist auch nicht gerade ihr Steckenpferd.  

Aber vielerorts hat sie jetzt Nachbarschaftsgruppen gegründet, um sich als Kümmerin zu profilieren.
Solche Bestrebungen gibt es immer wieder, zivilgesellschaftliche Ideen wie die Essensausgabe für Obdachlose zu übernehmen und rechts umzudrehen. Das wird immer mit großem Radau in den sozialen Medien kundgetan. In Frankreich und Italien haben sich daraus auch dauerhafte Strukturen entwickelt. Aber in Deutschland und Österreich waren das immer mehr PR-Aktionen.

Aber wir stehen jetzt auch erst am Anfang der Schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Wird es den Rechtsextremen langfristig gelingen, daraus Kapital zu schlagen?
In ihrer eigenen Filterblase funktionieren ihre Erzählungen. Ob sie noch mehr Menschen erreichen, wird davon abhängen, welche Maßnahmen die Regierungen ergreifen und inwiefern es ihnen gelingen wird, die Folgen der Krise abzufangen. Rezession, Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen sind immer ein Brandbeschleuniger für Rechtsextreme.

Inwiefern finden sich ihre Positionen auch in der AfD wieder?
Die AfD ist wie die FPÖ. In der Partei fließen die Diskurse aus ganz vielen rechtsextremen Ecken zusammen. Die Partei muss einerseits versuchen, so viele Diskurse wie möglich zu bündeln, um so viel Zuspruch wie möglich zu bekommen. Andererseits ist sie demokratisch gewählt. Sie kann sich nicht hinstellen und sagen: Wir lassen die Schwachen alle sterben.

Und wie kommt sie aus diesem Dilemma heraus?
Das ist ganz schwierig. Es gibt Leute, die Wahlerfolge haben wollen. Die sind bereit, ideologisch große Kompromisse zu machen. Und es gibt den Flügel, der dazu nicht bereit ist. Die Corona-Krise stellt die AfD auf eine Zerreißprobe. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt 

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