Ausstieg aus dem Rechtsextremismus - „Wir beraten auch Polizisten“

Seit 2000 berät die Initiative EXIT-Deutschland Rechtsextremisten, die aus der Szene aussteigen wollen. Ihre Klientel hat sich mit dem Erstarken des Rechtsextremismus verändert. Sie sitzt jetzt auch in der Polizei und in den Parlamenten.

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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Fabian Wichmann arbeitet als Berater für EXIT-Deutschland, einer vom Bundesfamilienministerium finanzierten Organisation, die Rechtsextremisten beim Ausstieg hilft. Er ist Autor zahlreicher Analysen und Publikationen zum Thema Rechtsextremismus. 

Herr Wichmann, Sie sind am Montag in der Pro-Sieben-Doku „Rechts, Deutsch, Radikal“ aufgetreten. Klingelt nach solchen Sendungen bei Ihnen das Telefon, weil Rechtsextreme aussteigen wollen? 

Nein, eine Dokumentation hat ja auch nicht den Anspruch, Leute zum Aussteigen zu bewegen. Aber wir wissen aus unserer Erfahrung, dass in der rechten Szene Leute mit Selbstzweifeln aktiv sind. Und da können Dokumentationen mit der allgemeinen Thematisierung von Rechtsextremismus durchaus dazu beitragen, dass diese Leute überlegen und im Zweifelsfall auch  Initiativen ansprechen, die ihnen dabei helfen können. Aber so etwas hat einen längeren Vorlauf. Es braucht dann nur noch Initialmomente. Das kann eine Doku sein. Aber in der Regel sind es andere Momente. 

Zum Beispiel?

Das können Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte sein. Das können aber auch andere Personen sein, die ins Leben treten. Das kann eine Entscheidung sein, die man treffen muss. Oder ein Leidensdruck, der zu stark geworden ist. Dann gibt es diese Schlüsselmomente, die Aussteiger beschreiben. Das kann zum Beispiel ein Gerichtsverfahren sein. Ein ehemaliger Kameradschaftsführer hat mal erzählt, wie er der Mutter eines verurteilten Kameraden signalisieren wollte, dass er sich um ihren Sohn kümmern wolle. Die Mutter hat dann aber eher ihn dafür verantwortlich gemacht, dass ihr Sohn verhaftet wurde. Damit hat sie sein Selbstbild in Frage gestellt. 

In der Doku kam auch die rechte YouTuberin Lisa Licencia zu Wort, die ihr geheim gefilmtes Interview mit dem inzwischen geschassten Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion nach eigenen Worten als Sprungbrett für einen Austritt nutzen wollte. Wenn sie Sie vorher gefragt hätte, ob das eine gute Idee ist, den eigenen Ausstieg im Fernsehen zu verkündigen, was hätten Sie ihr gesagt?

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Leuten, die aussteigen wollen, würden wir grundsätzlich erstmal nahelegen, eine Ruhephase einzulegen, um sich neu zu sortieren, statt die Öffentlichkeit zu suchen – und das auch noch mit einem Skandal zu verbinden. Man braucht Abstand von sich und von der rechten Szene, um eine kritische Haltung zu entwickeln. Aber letztlich ist das natürlich immer die Entscheidung der Person selbst. Klar ist aber, die Rückkehr in die Szene ist für sie nun verbaut, und der Fokus sollte nun auf der Entwicklung einer Perspektive liegen.

So eine Ideologie legt man ja nicht ab wie ein T-Shirt, das man ausrangiert, weil einem der Aufdruck nicht mehr gefällt. Was macht den Ausstieg so schwierig? 

Das hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von der mentalen Belastbarkeit oder von den Reaktionen der ehemaligen Bezugsgruppe. Von der Frage, ob Angehörige oder Kinder eine Rolle spielen. Ist der Ausstieg öffentlich oder nicht öffentlich? Wie lange war man involviert? Welche Rolle hat man gespielt? War man ökonomisch abhängig von der Szene? Hat man neben der rechtsextremen Szene noch ein soziales Umfeld? Liegen Straftaten vor? Und ganz grundsätzlich geht es dabei um die Überwindung der politischen Weltsicht und das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben – was für sich genommen schon kein leichtes Unterfangen ist.

Die YouTuberin soll nach dem Auftritt wieder bei Neonazi-Demos aufgetreten sein. War der Auftritt also eine reine Show? 

Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. Ich kenne die Frau nicht persönlich, nur die Informationen, die man über sie im Internet findet. Ausstiege sind nicht zwangsläufig immer so linear, wie man sich das von außen gerne vorstellt. Da sind Momente, die irritieren und von außen auch nicht nachvollziehbar sind. 

 

Woran merken Sie, ob es Ihren Klienten ernst ist mit dem Wunsch, auszusteigen? 

Das läuft über die vielen Gespräche, die wir führen. Die Leute genießen bei uns einen Vertrauensvorschuss. Man muss ihnen die Motivation zugestehen, auszusteigen. Wir können denen natürlich nicht in den Kopf gucken. Wir können über sie recherchieren. Wir können verfolgen, ob sie sich von den Gruppen lösen oder nicht. Am Ende ist es eine Frage der Zeit. Man kann die Frage nach einem Ausstieg nicht nach drei Wochen beantworten, sondern eher nach drei Monaten – noch besser nach drei Jahren. 

Kommt es auch vor, dass Sie Leute ablehnen? 

Das hatten wir schon, aber nur vereinzelt. Aber dann lag es eher an der Person. Wenn jemand gesagt hat: „Wenn Ihr nicht die Entfernung meines Tattoos bezahlt, müssen wir gar nicht erst zusammenkommen.“ Manchmal haben sich Menschen auch reradikalisiert. Wenn wir so etwas mitbekommen, stellen wir den Kontakt ein.  

Fabian Wichmann / privat 

Ist das Muster auch übertragbar auf den Linksextremismus?

Man kann das nicht per se gleichsetzen. Es gibt aber vergleichbare strukturelle Muster für die Hinwendung zum Extremismus und Gewalt sowie für die Abwendung von dieser. Aber insbesondere bei der Abwendung sind gruppendynamische Prozesse wie Druck oder Gefährderwissen immer wieder entscheidend dafür, ob es strukturell vergleichbar ist. Je stärker und sanktionsfähiger die Hierarchie und Struktur, desto schwerer der Ausstieg. 

Und diese Hierarchie gibt es im Linksextremismus nicht?  

Doch, aber da wirken andere Prozesse. Man kann die Mechanismen nicht einfach gleichsetzen. Aber in dem Bereich haben wir auch nicht so viel Erfahrung. Obwohl unsere Beratungsstelle gelegentlich auch von Linksextremisten wie auch von anderen Personen aufgesucht wird, zum Beispiel aus dem Rocker-Milieu, obwohl sich unser Angebot eigentlich nur an Rechtsextremisten wendet. 

Müssen Sie nicht fürchten, dass Sie von Ihren Klienten nur benutzt werden, damit die ihre Weste in Gerichtsprozessen reinwaschen können?  

Klar, diesen Gedanken hat man in manchen Fällen. Aber genau aus diesem Grund schreiben wir keine Persilscheine für Gerichtsprozesse. Die Verantwortung für ihre Taten muss die Person immer noch selbst übernehmen. 

Nach dem Verfassungsschutzbericht von 2019 ist die Zahl der Rechtsextremisten um rund ein Drittel gestiegen. Sie liegt jetzt bei 32.080. Wie erklären Sie sich diese Zunahme?

Die Zahl ist schon deshalb deutlich gestiegen, weil man die Mitglieder des Flügels der AfD mitgezählt hat. Interessant ist auch der Anstieg im militanten Bereich. Das zeigt uns, dass ein erhebliches Gefährdungspotenzial von der Szene ausgeht. Diese Gruppen haben sich stabilisiert. Sie haben ihre Möglichkeiten verbessert, neue Mitglieder zu rekrutieren. Es gibt gesellschaftliche Entwicklungen, die das befördern und Rechtsextremismus als politische Alternative erscheinen lassen. 

Sie spielen darauf an, dass die AfD seit 2015 immer stärker geworden ist. Profitiert der Rechtsextremismus von ihrem Erfolg?   

Nein, im Gegenteil. Die NPD zum Beispiel hat eher verloren, sowohl in der Wahrnehmung als auch in ihren Mitgliederzahlen. Kleinere Parteien wie der „Dritte Weg“ haben Mitglieder gewonnen, aber auch nicht merklich. Dabei muss aber auch erwähnt werden, dass die Zahl der rechtsextremen Straftaten und Gewaltstraftaten in dem Zeitraum angestiegen ist. Allein die Zahl der Mitglieder sagt erst mal nicht viel über die Gefahr einer Gruppe aus, da müssen weitere Faktoren herangezogen werden.

Aber worauf ist die gestiegene Akzeptanz des Rechtsextremismus dann zurückzuführen?   

Gruppen wie der „Dritte Weg“ haben gezielt dazu aufgerufen, strategisch die AfD zu wählen, weil man sich davon mehr politische Wirkungsmacht versprach. Wenn man sieht, wie die AfD die NPD in Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt verdrängt hat, liegt die Vermutung nahe, dass es Menschen gibt, die sich von einem politischen Engagement für die AfD mehr versprechen. 

Wächst mit der rechtsextremen Szene auch die Zahl der Aussteiger?

Nein, diesen Zusammenhang merken wir nicht so. Unsere Zahlen sind relativ stabil. Jedes Jahr melden sich bei uns zwischen 30 und 40 Leute. Das ist über die letzten Jahre eine sehr stabile Entwicklung und seit Gründung haben wir damit mehr als 760 Personen begleitet. Damit sind wir in der Ausstiegsbegleitung weit vorne. 

In den vergangen Monaten sind immer mehr rechtsextreme Netzwerke bei der Polizei aufgeflogen. Haben sich bei Ihnen auch schon Beamte gemeldet? 

Ja, wir hatten auch schon Polizisten. 

Überrascht Sie das? 

Nein, eigentlich nicht. Wenn man sich die gesellschaftliche Verteilung von Rechtsextremismus anschaut, ist das sogar sehr wahrscheinlich. Vielmehr stellt sich die Frage, wie groß und relevant solche Strukturen tatsächlich sind. Dass es sich dabei um Einzelfälle handelt, kann man nun wirklich nicht mehr sagen.

Heißt das, wir müssen uns endgültig verabschieden vom Klischee des Skinheads, der Rechtsrock hört und „Fidschis klatscht“?  

Ja, aber schon länger. Natürlich gibt es diesen rechtsextremen Skinhead immer noch, und man nimmt ihn auf der Straße stärker wahr, weil er solche Straftaten begeht. Aber schon lange ist klar, dass man unter dem Begriff Rechtsextreme auch wohlsituierte Personen findet, die nicht am gesellschaftlichen Rand leben und äußerlich nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind. 

Findet man die auch bei den Kameradschaften? 

Teilweise schon. Nehmen wir das Beispiel Dortmund. Dort ist die Kameradschaft nach ihrem Verbot übergegangen in die Partei „Die Rechte“ in Dortmund. Mit Sascha Krolzig sitzt dort ein studierter Jurist im Vorstand. Der hat noch studiert, als er schon Neonazi war. Das ist also nicht so ungewöhnlich. 

2019 musste der CDU-Politiker Robert Möritz aus der CDU austreten, nachdem seine rechtsextreme Vergangenheit aufflog. Andreas Kalbitz wurde seine Mitgliedschaft in der Heimattreuen deutschen Jugend (HdJ) zum Verhängnis. Kann man sagen, für eine Karriere in der Politik ist eine rechtsextreme Vergangenheit ein Ausschlusskriterium? 

Nein, aber das setzt einen Bruch mit dem alten Leben voraus. Und in den von Ihnen angesprochenen Fälle ist die Vergangenheit der Politiker erst durch Recherchen Dritter scheibchenweise öffentlich geworden. Die Betroffenen haben selbst aber nicht darüber gesprochen. Sie haben ihre rechtsextreme Vergangenheit sogar verschleiert. Und so etwas weckt natürlich Misstrauen und ist auch nicht das, was wir mit Ausstieg verbinden. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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