„Rave-Aufstand“ in Berlin - Sie wollen den Systemwechsel

Mindestens 100.000 Menschen sind in Berlin für die Rettung des Klimas auf die Straßen gegangen. Die Schüler sind längst nicht mehr allein. Doch es demonstrieren inzwischen auch Aktivisten, die den Klimaschutz nur als Feigenblatt nutzen — um ihre Forderung nach einem Systemwechsel zu verbreiten

Radikaler Ideenschmuggel? / picture alliance
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Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

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Auf dem Potsdamer Platz wummert der Techno. Der Bass lässt den Körper vibrieren, er peitscht tanzende junge Menschen in Ekstase. Dieser Platz in Berlin ist nicht klein, und über seine gesamte Breite stehen große und kleine Lastwagen verteilt, umfunktioniert zu DJ-Pulten. Der Wind pustet den süßlichen Duft verbrannter Cannabisknospen durch die Mengen.

Geht man ein wenig hinaus, weg vom Brummen der Boxen, sitzen Menschen im Kreis, rauchen, sprechen und wiegen sich zur Musik. Sie tragen Stofftücher und Aufkleber, sind verkleidet oder angemalt, hier und da sieht man Blätter und Pflänzchen. Fahnen wehen, rote und grüne, und bemalte Schilder stoßen in die Septemberluft. Das ist nicht bloß eine Party. Das ist auch Protest. Klimaprotest. 

„Grandparents for Future“

Im ganzen Land, ja auf der gesamten Welt, gehen die Menschen an diesem 20. September auf die Straße. 129 Länder müssen mit Klimaprotesten rechnen. Allein in Berlin, der Hauptstadt, sollen es laut Fridays For Future rund 270.000 gewesen sein, die Polizei spricht von 100.000. Es ist längst nicht mehr nur die Schülerbewegung, die auf die Straße drängt. Es gibt jetzt auch „Parents for Future“, „Grandparents For Future“, „Scientists For Future“, „Health For Future“, ja sogar „Fetish For Future“. Parteien und Politiker laufen mit, die Jusos und Kevin Kühnert waren zu sehen. Alles für die Zukunft, alles für das Klima. Alle waren sie heute auf den Straßen.

Berlin sollte an diesem Tag nicht zur Ruhe kommen. Zahlreiche Kundgebungen, Märsche und Aktionen wurden geplant und durchgeführt. Der Marsch von Fridays For Future, der vom Brandenburger Tor durch die Innenstadt zog, war der größte — aber nur einer von vielen.

Wie die Demo am Potsdamer Platz, wo die linke Berliner Feierszene zum „Rave-Aufstand“ rief. Eigentlich eine gute Sache, dieses Engagement für die Umwelt. Es gibt aber einen faden Beigeschmack. 

Der Klimaprotest radikalisiert sich

Zwei Jungs in Schwarz klettern auf ein Straßenschild am Potsdamer Platz. Oben angekommen recken sie die Fäuste in den Himmel, lassen sich feiern, den knatternden Beat in der Luft und die Boxen im Rücken. Einer von ihnen zieht seinen Pullover hoch, bis zur Brust, darunter lugt ein Shirt mit dem Logo der Antifa hervor, eine rote Fahne. Der Junge schreit wie elektrisiert, rüttelt am Straßenschild, die Menge tobt.

Nicht weit davon entfernt tönt eine verzerrte Stimme aus Lautsprechern: „Reclaim Club Culture lädt zum ‚System Change‘ ein — denn in einer kapitalistischen Welt gibt es nichts zu feiern“. Reclaim Club Culture: diese Berliner Feierbewegung, die sich für den Spirit von Untergrundclubs einsetzt, ist der Veranstalter dieser Demo.

Viele andere kleine, linke Gruppen schlossen sich dem Aufruf an. Dazu gehören „Ungehorsam für alle“ und „Ende Gelände“. Erstere blockierte an diesem Freitagmorgen beispielsweise die Jannowitzbrücke. Die Welt traf deren Sprecherin Hannah Eberle, sie sagte der Zeitung: „Uns geht es darum, die kapitalistischen Spielregeln zu unterbrechen“. Und in einem digitalen Leitfaden von „Reclaim Club Culture“ heißt es: „Sprecht euch in eurer Gruppe ab, was ihr machen wollt und wie weit ihr geht.“

Wie weit wird das gehen?

Immer wieder hört und liest man hier „System Change — not Climate Change“. Eine radikale Parole, die schon auf der Friday For Future-Demo am Berliner Invalidenplatz zu lesen war, als Greta Thunberg dort sprach, vor wenigen Wochen. 

Damals sagte Jonas Sack, Sprecher von Fridays For Future, zu Cicero: „Wenn man sieht, es passiert wirklich nichts, kann ich mir schon vorstellen, dass dann irgendwann der Punkt eintritt, an dem man sagt: Okay, jetzt müssen wir mal unsere Aktionsform ändern. Ich weiß nicht, wie weit das gehen wird.“ Und auch damals saß schon die Antifa wie ein schwarzer Teppich auf dem grünen Rasen.

Solche Parolen tauchen bei Klimaaktivisten immer öfter auf, und sie beschreiben etwas Beunruhigendes: Einigen linken Klimaaktivsten geht es nicht allein ums Klima. Sie wollen den Systemwechsel, den „Kapitalismus wegbassen“. Die allgemeine Aufbruchstimmung, die alle durchdringt, eignet sich wie dafür geschaffen. Brandgefährlich ist das. Hier findet ein linksradikaler Ideenschmuggel statt.

Besorgte Bürger haben keine Berührungsängste

Denn auf dieser Protestparty am Potsdamer Platz in Berlin-Mitte sind nämlich nicht nur linke Raver, die sich versammeln. Es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich berechtigterweise ob der Prognosen vieler Wissenschaftler um die Zukunft sorgen: Rentner, Mütter mit ihren kleinen Kindern, die bemalt im Gewusel der feiernden Menge herumtollen. Väter, die ihre Kids auf den Schultern tragen. Aktivisten von WWF, die Besucher ansprechen. Eine Klimaforscherin der Humboldt-Univerität zu Berlin spricht und heizt der Menge ein. Scheinbar normale Jugendliche und Erwachsene sind dabei, und alle sind sie beeindruckt von dieser massiven Bewegung, die Bevölkerungsschichten durchdringt. Hier, bei dem Kampf für das Klima, kommen sie alle zusammen. Eigentlich eine gute Sache. Doch leider verschwimmt hier die Grenze zwischen Linksradikalität und bürgerlicher Zivilgesellschaft. 

Der Klimaprotest in Deutschland hat längst eine radikale Sparte auf den Plan gerufen, die jetzt den Druck erhöht und langsam aber sicher den harmlosen Schülern, die nie auf Radikalität setzen wollten, die Zügel aus der Hand nimmt. Der Verfassungsschutz warnt schon länger davor, dass sich Linksextreme an Protestbewegungen hängen, um die eigene Ideologie aufzuwerten und weitere Anhänger zu gewinnen. Jetzt gab es sogar einen Brandanschlag auf eine S-Bahn, es tauchte ein Bekennerschreiben auf der linksextremen Internetplattform „indymedia.org“ auf. Die Täter berufen sich auf „Fridays For Future“. Die Antifa und andere linksradikale Gruppierungen wie „Extinction Rebellion“ surfen auf einer Welle, die sie selbst nie hätten auslösen können. Dank der Schüler aber brach sie los. 

Radikalismus drängt auch in die Mitte der Gesellschaft

Die Linksradikalen rücken unter dem Banner des guten und nötigen Einsatzes für eine striktere Klimapolitik — einem Ziel, auf das sich alle einigen können — in die Mitte der bürgerlichen Zivilgesellschaft. Die hat offenbar keinerlei Berührungsängste mehr mit dieser Radikalität. Denn man hat ein gemeinsames Ziel, so glauben viele von ihnen offenbar. Vielleicht erkennen sie den Radikalismus hinter dem Schein des Umweltengagements auch nicht, er ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Aber die Linksradikalen wollen nicht nur das Klima retten.

Auf dem Potsdamer Platz setzen sich die großen Wagen in Bewegung, der Marsch beginnt. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort. Eine endlos wirkende Schlange von Menschen schiebt sich durch die Straßen Berlins, mit den großen und geschmückten Lastwagen, die weiter Techno in die Berliner Luft pumpen. Auf dem Weg zum Alexanderplatz, dort soll der Marsch enden, will man „zivilen Ungehorsam“ leisten, heißt es, die Teilnehmer sollen auf „akustische Signale“ achten. Tatsächlich geschieht das auch. Man blockierte zahlreiche Straßen mit Sitzstreiks. Die Polizei versucht, diese zu räumen.

Eine Abschlusskundgebung mit verschiedenen Rednern wird den Marsch am Alexanderplatz erwarten. Dort aber werden nicht wie bei Fridays For Future arglose Schüler sprechen, die die Welt verbessern wollen. Sondern Menschen, die linksradikales Gedankengut verbreiten. Sie fordern den Systemwechsel.

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