Rauchentwöhnung - Vergesst die E-Zigarette

Die E-Zigarette wird in den Medien als Allheilmittel gegen die todbringende Raucherei gepriesen, die Tabaklobby erzittere bereits, heißt es.  Doch die Ernüchterung lässt nicht auf sich warten. Die Sonntagskolumne: Stadt, Land, Flucht

Picture Alliance
Anzeige

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

So erreichen Sie Marie Amrhein:

Anzeige

Der Spiegel, die Süddeutsche, Fachblätter der Medizin – sie alle hatten Mut gemacht. Die neue elektrische Zigarette sei das Heilmittel gegen die Tabaksucht. Zahlreiche Ex-Raucher wurden zitiert, die es geschafft hätten. Und das Beste: Die Tabakindustrie, diese perverse, verhasste Lobby erzittere vor Angst, so wurde berichtet. Eine bessere Werbung konnte es nicht geben. Ich kaufte gleich zwei der silbrigen Geräte, deren Akus nun ständig an den Steckdosen in unserer Küche aufgeladen werden. Dazu gab es die sogenannten Liquids mit denen der Dampfapparat aufgefüllt wird. Nach eingehender Beratung im Online-Shop entschied ich mich für Geschmäcker wie „Gebrannte Mandel“ und das vanillige, vom Verkäufer hochgelobte „Alltime Favourite“.

Wir waren voller Hoffnung: Die E-Zigarette als Erlösung allen Übels, von stinkenden Klamotten, verpesteten Küssen, Tabaknoten im Kinderhaar nach dem Gekuschel mit dem Vater. Und wir waren nicht die einzigen: Das Fachblatt Tobacco Control hat ermittelt, dass 29 Millionen Menschen in Europa im Jahr 2012 die E-Zigarette ausprobiert haben, jeden Monat kämen rund zehn neue Marken auf den Markt. Was muss da für eine Sehnsucht herrschen nach einem Leben ohne Zigaretten.

Schlagzeilen macht die todbringende Sucht kaum noch, lieber wird nach dem neuesten Drogenbericht der Bundesregierung über die steigende Zahl der Erstkonsumenten von Chrystal Meth berichtet. Das klingt spannender, nach Tod und Teufel, nach Walter White und Breaking Bad. Wen interessiert die ewig gleiche Nachricht von 110.000 Toten im Jahr, die auf das Konto der Kippe gehen. Wir wissen längst, dass mehr als die Hälfte aller Raucher an Lungenkrebs, einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Atemwegserkrankung stirbt. Und es liegen eh viel zu viele Apps wie Rauchfrei Pro oder der Nichtraucher Coach ungenutzt auf den Oberflächen unserer Smartphones herum.

E-Zigaretten bieten geringe Vorteile
 

Cynthia Robinson, Witwe eins mit 36 Jahren an Lungenkrebs verstorbenen Rauchers, hat gerade 26,6 Milliarden Dollar Schadenersatz zugesprochen bekommen. RJ Reynolds, zweitgrößter US-Tabakkonzern muss zahlen. Die Manager hätten noch in den 60er Jahren behauptet, Zigaretten seien ungefährlich. Ob Robinson sein Laster aber tatsächlich aufgegeben hätte, wenn die Tabaklobby die Wahrheit gesagt hätte, steht in den Sternen. Heute zumindest können Raucher schon lange niemand anderen mehr als sich selbst für die Selbstzerstörung verantwortlich machen.

Und was beobachte ich nach acht Wochen E-Zigarettenkonsums beim süchtigen Ehegatten? Vor dem Haus wird weiterhin geraucht, geändert hat sich nur eines: Es zieht jetzt auch Nikotin durchs Haus – per Dampf. Weitere Menschen im Bekanntenkreis berichten von gleichen Erfahrungen: Dass sie beim gescheiterten Versuch das Rauchen aufzugeben, die elektronische Variante einfach integriert hätten. Im Ärzteblatt ermitteln die ersten kontrollierten Studien nur geringe Vorteile gegenüber den Nikotiner­satzpräparaten, denen ohnehin eine sehr „bescheidene Wirksamkeit“ zugesprochen werde. (PLoS ONE, 2013; 8: e66317; Lancet, 2013; 382: 1629-1637)

Der Kauf der E-Zigarette war ein Eigentor, das bestätigt zuletzt auch das deutsche Krebsforschungszentrum, das sich jetzt in einer Stellungnahme zu den E-Zigaretten geäußert hat und schonungslos beschreibt, was das ist: Ein tief inhalierter Chemiecocktail aus Propylenglykol – dem Nebel, den man aus Diskotheken kennt – oder Glyzerin, aus Aromastoffen und Nikotin. Die Liquids enthalten Kanzerogene, also krebserregende Stoffe, eine Langzeitgefährdung werde nicht ausgeschlossen. Und übrigens sterben starke Raucher, die ihren Tabakkonsum nur reduzieren genauso häufig an Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Raucher, die ihren Konsum beibehalten haben.

Während sich das Hoffnungsprodukt nach und nach entzaubert, betrachte ich meinen eigenen erhobenen Zeigefinger, wundere mich über meine Vehemenz in Sachen Nichtrauchen und komme zu dem Ergebnis, dass ich selber nie das Rauchen eingestellt hätte, wäre ich nicht schwanger geworden. Schwangerschaft und Stillzeit waren für mich die einzigen Abstinenzprogramme, die funktionierten. Allerdings nicht für die Ewigkeit. Und meinem Mann kann ich sie leider auch nicht verschreiben.

Anzeige