Rassismus in Deutschland - „Wie rassistisch bin ich?“

Die Debatte über den Umgang mit Rassismus in Deutschland polarisiert. Aber müssen wir wirklich alles hinterfragen, oder übertreiben wir es mit der Suche nach vollkommener politischer Korrektheit?

Nehmen wir unsere Privilegien für selbstverständlich? / dpa
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Autoreninfo

Rixa Fürsen macht einen Master in Internationalen Beziehungen an der Hertie School in Berlin. Derzeit hospitiert sie in der Redaktion von CICERO.

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Schwarze, Afro-Amerikaner, Farbige, People of Color – was darf gesagt werden und was ist diskriminierend? Das „N-Wort“ natürlich. Aber welche Bezeichnungen sind korrekt, welche abwertend und warum? Durch diesen Dschungel der politischen Korrektheit ist es schwierig durchzublicken. Wer sich mit Rassismus beschäftigt, begibt sich auf ein Minenfeld.

Einerseits wirbelt die Debatte viel Wind auf. Andererseits macht es den Anschein, als drehe sie sich im Kreis und als lasse sie den Kern des Problems außer Acht: Den Respekt vor und den Umgang mit Menschen jeglicher Couleur

Rassismus-Selbsttest im Stern

Aber wie macht man es richtig? Eine Anleitung dazu liefert der Stern in seiner aktuellen Ausgabe. Einen Test, der dem Leser sagt, wie rassistisch er wirklich ist oder eben nicht. „Weiße sind privilegiert. Wie sehr ist nur wenigen bewusst.“ Da ist etwas Wahres dran; doch zu bezweifeln ist, dass jeder, dem dieses Privileg bewusst ist, automatisch ein Rassist ist. Das wäre – wie könnte man es passender formulieren – viel zu schwarz-weiß gedacht.

Der Stern regt dazu an, jeden Bereich seines eigenen Lebens zu überdenken. Aber sollten wir das auch? Ist es rassistisch, als Frau nachts die Straßenseite zu wechseln, wenn einem ein Mann entgegenkommt, der womöglich eine andere Hautfarbe hat? Ist es rassistisch, wenn man Musik von schwarzen Künstlern besonders gern hört – Hip-Hop, Jazz? Sicherlich gibt es etliche Bereiche, in denen die Frage nach Rassismus überaus angebracht und mehr als überfällig ist. Aber es gibt eben auch Bereiche, in denen es das eigene Urteil frei von diskriminierenden Anschuldigungen sein sollte. 

Vorurteile an jeder Straßenecke

Deutschlandweit haben Menschen demonstriert, um das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Denn die Bezeichnung der „Rasse“ sei rassistisch, weil es biologisch gesehen keine „Menschenrassen“ gebe. So weit, so gut. Doch was passiert dann mit dem Begriff „Rassismus“, wenn wir das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz und aus unserem Sprachgebraucht verbannen? Wird er dann auch obsolet?

Selbst wenn wir uns von diesen Begriffen verabschieden würden, würde das unsere Probleme nicht lösen. Vorurteile gäbe es trotzdem an jeder Straßenecke – gegen Ausländer, gegen alte weiße Männer, gegen Ostdeutsche, gegen Frauen, gegen Homosexuelle, gegen Arbeitslose, gegen Jugendliche, gegen jeden und alles. Man kann es drehen, wie man möchte, überall gibt es sie: Vorurteile. Und überall wird es Fälle geben, mit denen die eigenen Stereotypen gefüttert werden können. Doch überall wird es auch Fälle geben, die beweisen, dass diese pauschalisierten Bilder unberechtigt und zudem falsch sind. 

Gilt das, was wir heute sagen, morgen als rassistisch?

In Deutschland haben wir die Chance, unsere eigenen Dogmen zu durchbrechen. Denn Deutschland ist ein tolerantes Land, das die Menschenrechte hoch hängt. Das ist kein Grund, sich selbst auf die Schulter zu klopfen und sich entspannt zurückzulehnen. Doch der Erhalt und die Öffnung unserer Gesellschaft wird eben auch nicht durch Polemik gefördert. Ganz im Gegenteil: Sie verstärkt die Spaltung unserer Gesellschaft, so wie wir es momentan überall beobachten können. 

Auf der ganzen Welt werden derzeit Denkmäler von wichtigen historischen Personen demoliert und zerstört. Personen, die für viele Menschen Fortschritt gebracht haben. Diese Menschen waren nicht unfehlbar, auch sie waren Zeugen ihrer Zeit, die den Geist ihrer Epoche verkörpern. Macht es uns heute zu Rassisten, wenn wir die Erfolge würdigen, die wir Winston Churchill zu verdanken haben? Ist die Kritik an seiner Glorifizierung berechtigt, teil-berechtigt, oder vorkommen unberechtigt? Ist die „Black Lives Matter“-Bewegung auch bloß ein Kind ihrer Zeit und wird womöglich in 50 Jahren als diskriminierend wahrgenommen? Gilt das, was wir heute sagen, morgen als rassistisch? 

Fragen ohne Antwort

Viele Fragen, kaum klare Antworten – leider. Dennoch ist es wichtig, sich genau diese Fragen zu stellen, sich in den Diskurs zu stürzen, ohne ein Überzeugungstäter oder Fanatiker zu sein – weder in die eine noch in die andere Richtung. Keine Meinung ist absolut, keine unfehlbar, und morgen im Zweifelsfall wieder ganz anders. 

Rassismus ist auch in Deutschland ein Thema. Über unseren Sprachgebrauch sollten wir uns Gedanken machen und Wörter streichen, die abwertend sind. Doch wir sollten uns nicht darauf versteifen, uns zu überlegen, welche Begriffe nun schlimmer sind als andere. Vielmehr sollten wir uns auf den Umgang miteinander konzentrieren. Denn wenn wir nicht respektvoll miteinander umgehen, kann auch die Sprache uns nicht retten. 

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