Streit um neuen Kulturamtschef in Radebeul - „Die Wahl Hitlers zum Reichskanzler war auch ein Fehler“

Im sächsischen Radebeul soll der Lyriker Jörg Bernig als Kulturamtschef verhindert werden, weil er als Vertreter der Neuen Rechten gilt. Dabei wurde er demokratisch gewählt – allerdings mit Stimmen im Stadtrat von CDU und AfD. Die Gegner Bernigs fürchten einen politischen Dammbruch.

Erst Gratulation, dann Protest: Der Lyriker Jörg Bernig und Radebeuls Bürgermeister Bert Wendsche / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Erinnert sich noch jemand an Thomas Kemmerich? Es ist erst vier Monate her, dass der FDP-Politiker in Thüringen mit den Stimmen der AfD, der CDU und der FDP zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Regierungschef aber war er dann nur einen Monat – und das auch nur auf dem Papier. Schon einen Tag später kündigte er einen Rückzug und Neuwahlen an. So hatte es unter vielen anderen die Bundeskanzlerin auf Dienstreise im fernen Südafrika gefordert. Die CDU habe ein Tabu gebrochen, als sie mit den Liberalen zusammen mit der AfD ins Amt gehievt habe. 

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Was folgte, war eine Regierungskrise, die damit endete, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rücktritt als CDU-Parteivorsitzende verkündete. Das war letztlich der Preis, den die CDU dafür bezahlte, dass ihr Landesverband unter ihrem Vorsitzenden Mike Mohring mit der AfD gekungelt hatte. Die Brandmauer nach rechts wurde wieder aufgebaut. Zumindest in Thüringen. 

Der „Kemmerich-Effekt“  

Im benachbarten Sachsen aber bröckelt sie jetzt wieder. Vom so genannten „Kemmerich-Effekt“ spricht man in der Großen Kreisstadt Radebeul im Landkreis Meißen, wenn von der Wahl des renommierten Lyrikers Jörg Bernig zum neuen Kulturamtschef der Stadt die Rede ist. Im Mai war Bernig mit den Stimmen der AfD und der CDU gewählt worden. Der Mann, der sein Geld als Lehrer verdient, hatte sich gegen eine erfahrene Kulturfunktionärin aus Sachsen durchgesetzt.

Doch ob er dieses Amt antritt, ist nun zweifelhaft. Denn der Vorgang hat eine große Protestwelle ausgelöst. In Radebeul hat sich Bernig den Ruf als „neurechter Dichter“ erworben, seit er in seiner „Kamenzer Rede“ vom 7. September 2016 die Migrationspolitik der Bundesregierung massiv kritisierte. Seitherm, sagen seine Kritiker, propagiere er seinen Verschwörungsmythos von „einem großen Plan zur Umvolkung “ auch in der Zeitschrift „Sezession“, die von dem Verleger Götz Kubitschek herausgegeben wird, dem Spiritus rector der AfD, dessen neurechtes Institut vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Beiträge für seine Zeitschrift zu schreiben, ist nicht strafbar. Aber der Ton macht die Musik. Und der unheilvoll dräuende Sound des Umvolkungsmythos stört Bernigs Kritiker.

Neuausschreibung der Stelle

Das alles hat nun dazu geführt, dass der parteilose Bürgermeister Bert Wendsche von seinem Veto-Recht Gebrauch machte und eine Neuwahl ankündigte, weil er um den gesellschaftlichen Frieden in seiner Stadt fürchtet. Am 15. Juni wird der Stadtrat noch einmal neu über die beiden Bewerber abstimmen – es sei denn, die Grünen setzen sich mit ihrem Antrag durch, die Stelle nach den Sommerferien noch einmal gänzlich neu auszuschreiben und ganz von vorne zu beginnen. Alles zurück auf Anfang. 

Das klingt einerseits nach einer Posse. Denn schließlich wurde Bernig demokratisch von einer Mehrheit im Stadtrat gewählt – egal, ob das seinen Kritikern passt oder nicht. Befreundete Schriftsteller wie Uwe Tellkamp oder Friedrich Dieckmann haben darauf hingewiesen. Bernig habe zudem null Verwaltungserfahrung, kritisieren Grüne, Linke und SPD.

Sorge um das internationale Image von Radebeul

Andererseits kann auch eine demokratische Wahl kritisiert werden. In einem Offenen Brief des Radebeuler Kulturvereins heißt es, aufgrund seiner „politischen und ausländerfeindlichen Haltung“ traue man Bernig nicht zu, „die Kulturszene unserer weltoffenen Kunst- und Kulturstadt Radebeul zu repräsentieren.“ „Wir befürchten, dass dieser Kulturamtsleiter die freiheitliche Ausübung von Kunst und Kultur behindern oder einengen könnte.“ 423 Bürger haben diesen Brief unterzeichnet. Hinzu kommt eine Online-Petition, die 1.155 Unterstützer fand. Weil die CDU mit der AfD gemeinsam für Bernig stimmte fürchten die Gegner, die Christdemokraten würden in Radebeul wieder einmal austesten wollen, wie weit sie gehen können. Laut Bundesparteitagsbeschluss der CDU darf es eine Zusammenarbeit mit der AfD aber nicht geben.

Ausgelöst hatte die Protestwelle gegen Bernig der bekannte Schlagzeuger Günther „Baby“ Sommer. Dem Cicero sagt er, er habe Sorge, dass das Image von Radebeul unter dem neuen Kulturamtschef genauso leide wie das Image von Dresden unter der Pegida. Schon heute erlebe er es im Ausland, dass ihn Menschen mit Misstrauen begegneten, wenn er erzähle, dass er aus der Nähe von Dresden komme. „Das ist doch die Stadt der Nazis.“ 

Stresstest für die Demokratie 

Bernig komme ihm vor wie „ein Bandleader ohne Musiker“, sagt Sommer. Er verstehe nicht, warum er ein Amt antreten wolle, wenn ihm Künstler und Kulturschaffende schon jetzt mit Argwohn begegneten – sogar in der eigenen Behörde hätten fünf Mitarbeiter den Protestbrief unterzeichnet. Dass Jörg Bernig demokratisch gewählt wurde, kümmert Sommer wenig.

„Wir sind der Meinung, dass sich eine reife Demokratie an ihrer Diskursfähigkeit messen lassen muss. Und welchen Sinn hat eine Wahl, wenn so viele Bürger dagegen protestieren?“, sagt er. Solange Bernig sich weigere, zu erklären, was er in diesem Amt eigentlich will und dieser sich weigere, sich von kulturpolitischen Positionen der AfD zu distanzieren, verorte er ihn in der AfD. „Die Wahl Hitlers zum Reichskanzler ist auch ein Fehler gewesen“, argumentiert Sommer.

Was Bernig will, ist unklar

Mit dem Hitler-Argument ließe sich beinahe jedes demokratische Votum desavouieren. Aber natürlich hätte man Jörg Bernig gerne gefragt, was er als neuer Kulturamtschef in Radebeul vorhat und was er zu der Kritik sagt, die ihm jetzt schon entgegenschlägt. Doch eine Anfrage von Cicero bleibt unbeantwortet. Beim örtlichen Literaturverein heißt es, Bernig werde sich vor der Neuwahl am 15. Juni nicht mehr öffentlich äußern.

Was Bernig über den Streit um seine Wahl denkt, dass konnte man allerdings schon in der vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften Zeitschrift Compact. lesen Anlass war ein Statement des Schriftstellerverbandes PEN. Dessen Präsidium hat sich ebenfalls von Bernig distanziert. Bernig schreibt in seiner Antwort auf die PEN-Vorwürfe gegen ihn,  er sehe die Aufgabe des Kulturamtsleiters darin, so viel Kultur wie möglich in die Stadt zu bringen.„Meine Hoffnung ist, dass wir einander auf dem kulturellen Feld mit Offenheit, Interesse und Anerkennung begegnen und damit der Zerrissenheit unserer Gesellschaft entgegensteuern.“ Ein Angebot zur Versöhnung, könnte man meinen. Doch warum wurde es ausgerechnet von einem Magazin veröffentlicht, das von seinen Kritikern keiner liest?  

Anmerkung der Redaktion: Jörg Bernig hat seine Bewerbung inzwischen wieder zurückgezogen. Hier seine Erklärung im Wortlaut. Seine Verlegerin weist daraufhin, dass sie die Antwort von Bernig auf die PEN-Vorwürfe auch an andere Medien verschickt hat. 

Anzeige