Kritik an Michael Ballweg und den Querdenkern - „Von den eigenen Anführern manipuliert und ausgeplündert“

Was ist eigentlich aus den Querdenkern geworden? Ihr Gründer, Michael Ballweg, hat sich vorläufig zurückgezogen. Weil Baden-Württembergs Verfassungsschutz die Bewegung jetzt beobachtet? Ballweg kämpft an mehreren Fronten. Widerstand kommt jetzt auch aus den eigenen Reihen.

Verschwörungsmythos Corona als Geschäftsmodell: Michael Ballweg hat mit den Querdenkern viel Geld verdient / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Michael Blume ist Religionswissenschaftler und seit 2018 Landesbeauftragter gegen Antisemitismus der Landesregierung Baden-Württemberg. 

Herr Blume, In Deutschland sind mittlerweile 35.748 Menschen an Corona gestorben, die Intensivstationen sind teilweise so voll, dass Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden. Auf dem Alexanderplatz in Berlin haben Querdenker am Wochenende ohne Masken und Abstand eine Polonäse getanzt und „Ein bisschen SARS muss sein“ gesungen. Was denken Sie, wenn Sie solche Bilder sehen?“ 

Dieses Phänomen ist leider nicht neu. Das hatten wir in der Geschichte immer wieder, gerade auch bei Pandemien. Der psychologische Fachausdruck dafür heißt „blunting“ – abblocken. Das heißt, wenn wir Menschen mit beängstigenden Erlebnissen konfrontiert werden, dann ist eine Möglichkeit, dass sie das abblocken und verleugnen. Und das erleben wir jetzt in der Pandemie oder auch in der Klimakrise. 

Im ersten Lockdown hätte man diese Reaktion vielleicht noch nachvollziehen können. Da mussten noch die Bilder von den Särgen aus Bergamo herhalten, um den Schrecken von Corona zu verdeutlichen. Jetzt gibt es diese Bilder aber auch schon aus Sachsen. Wie können Menschen die Gefahr unter diesen Bedingungen noch leugnen? Man kann ja nicht vor der Realität weglaufen. 

Tatsächlich ist es heute durch digitale Medien noch leichter denn je, vor der Realität wegzulaufen. Wenn ich mich einmal eingelassen habe auf so eine Verschwörungsgruppe bei Facebook, WhatsApp oder Telegram, kann ich den ganzen Tag nur noch Nachrichten bekommen, die mich darin bestätigen. Auch das gab es schon in der Geschichte, wenn Sie an die Geißler denken, an Menschen, die sich selbst ausgepeitscht haben, um die Pest abzuwehren. Und als die Pest dann tatsächlich eingetreten ist, hat man jüdische Gemeinden beschuldigt, und es kam zu Pestprogromen. Verschwörungsmythen bieten falsche Erklärungen. 

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Wer muss denn bei den Querdenkern als Sündenbock herhalten? 

Das ist immer der Glaube an eine vermeintliche Weltverschwörung. Deswegen steckt da fast immer Antisemitismus mit drin. Dann ist von George Soros die Rede oder von den Rothschilds. Die kontrollieren angeblich Bill Gates und die ganzen Impfstoffhersteller. Im weitesten Sinn geht es um den Verschwörungsmythos des so genannten Kulturmarxismus. Es wird behauptet, dass sich linke und jüdische Kräfte verbündet haben und die Medien, die Wissenschaften und die Politik kontrollieren. Das ist das gemeinsame Feindbild aller Covid-19-Leugner. 

Michael Ballweg, der Gründer der Querdenker-Bewegung, hat seinen vorläufigen Rückzug angekündigt. Ist das eine Form, einzugestehen, dass die Bewegung ihre Grundlage verloren hat, weil die Realität sie überholt hat? Oder ist es die Flucht vor dem Verfassungsschutz, der die Querdenker jetzt in Baden-Württemberg beobachtet? 

Bizarrerweise hat Herr Ballweg jetzt zu einem viel schärferen Lockdown aufgerufen und dazu, dass man Zeitungen und TV-Kanäle schließen soll. Ich glaube, daran kann man eher sehen, dass es auch darum geht, Gewinne in Sicherheit zu bringen. Ballweg hat sich ja von seinen Anhängern sehr viel Geld spenden lassen. Er redet von „schenken“. Hier sollte auch Verschwörungsgläubigen klar werden, dass sie auch von den eigenen Anführern manipuliert und ausgeplündert werden. 

Dann ist er abgetaucht, um Fragen nach dem Verbleib des Geldes auszuweichen? 

Natürlich hoffe ich immer noch, dass Michael Ballweg für die Spenden, die er erhalten hat, Transparenz herstellt. Dass er von sich aus offenlegt, was für Geschäfte da abgelaufen sind. Aber bisher sehe ich dafür keine Anzeichen. Ich merke auch, dass es unter den Verschwörungsgläubigen eine wachsende Wut darüber gibt.  

Nach Presseberichten hat er ein Vermögen mit dem Merchandising von Querdenker-Produkten verdient. Dem Cicero hat er gesagt, er hätte seine Rentenversicherungen aufgelöst, um die Demos zu bezahlen. Wie passt das zusammen?

Bevor ich Religionswissenschaften studiert habe, habe ich eine Finanzausbildung gemacht. 2020 ist mir klargeworden, dass hinter all diesen Verschwörungsmythen immer auch Geschäftsmodelle stecken. Da wird Gold verkauft, da werden Finanzanlagen verkauft, da werden Spenden als Schenkungen abgegriffen. Auch mit Querdenken ist sehr viel Geld verdient worden. Man hat die Ängste der Anhänger teilweise einfach ausgebeutet. 

Für viele Querdenker ist das Virus ja nur das Produkt einer Verschwörung. Ihre Strategie lief darauf hinaus, die Regierung zu stürzen, um die Verschwörung zu stoppen. Ist die Bewegung jetzt am Ende? Oder nutzen ihre Mitglieder die Verschnaufpause im zweiten Lockdown, um sich neu aufzustellen

Querdenken und die amerikanische Bewegung QAnon sind eindeutig in der Krise, die zerfallen. Aber die einzelnen Mitglieder haben sehr viel Zeit, Geld und soziale Beziehungen investiert. Das heißt, die suchen schon nach dem nächsten Verschwörungsmythos. Viele retten sich gerade in den Great-Reset-Verschwörungsmythos

Wovon erzählt der?

Das ist der Titel eines Buchs, das der Präsident des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, geschrieben hat. Darin heißt es, wir müssen nach der Pandemie mit der Wirtschaft neu starten. Die muss grüner werden als bisher. 

Wie interpretieren das Verschwörungsgläubige?

Sie deuten das so, dass die Coronakrise ein Teil dieser Verschwörung gewesen sei, um jetzt Zwangsimpfungen und Maßnahmen gegen den Klimawandel durchzusetzen. Statt einzusehen, dass ihre Mythen falsch gewesen sind, suchen sie sich jetzt einfach den nächsten Verschwörungsmythos. Aus den Trümmern der Querdenker und von QAnon entsteht der Mythos des Great Reset. 

Unter den Querdenkern gab es vorher schon viele Impfgegner. Rückt das Thema Impfungen damit stärker in den Fokus?

Das hat schon begonnen. Im Rahmen dieser Great-Reset-Verschwörungsmythen wird behauptet, die Impfungen und die Maßnahmen gegen den Klimawandel seien Teil dieser Weltverschwörung. 

Der Weg des Impfstoffs ist mit Pannen gepflastert. Spielen solche politischen Konflikte den Impfgegnern in die Hände?

Klares Jein. Wenn Pleiten, Pech und Pannen geschehen, dann nehmen die Verschwörungsgläubigen das als Beweis dafür, dass das tatsächlich eine Verschwörung ist. Wenn es aber reibungslos und gut geplant verläuft, dann nehmen sie auch als Beleg für die Genialität der angeblichen Verschwörer. Das ist auch der Grund, warum ich nicht von Verschwörungstheorien spreche, sondern von Verschwörungsmythen. Eine Theorie kann ich überprüfen. Aber Mythen werden gegen Kritik immunisiert. Egal was passiert, Verschwörungsgläubige fühlen sich immer bestätigt. 

Bei den Demos der Querdenker laufen auch Bürger mit, die berechtigte Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung haben. Machen wir Journalisten es uns nicht zu leicht, wenn wir alle Querdenker als Verfassungsfeinde abstempeln? 

Man muss klar sehen: Die Querdenker bilden eine so genannte Querfront. Sie haben versucht, möglichst viele Menschen anzuziehen und dabei auch völlig berechtigte Kritik und Ängste aufgegriffen. Nicht jede Querdenkerin ist Antisemitin. Je länger so eine Verschwörungsbewegung läuft, desto mehr ziehen sich die Vernünftigen dann aber doch zurück, weil sie merken, dass sie aufs falsche Pferd gesetzt haben. Und die Leute, die übrig bleiben, werden immer weniger und immer radikaler. 

Wie die Leute, die auf dem Alexanderplatz Polonäse tanzen?

Genau. Die Leute, die jetzt noch dabei sind, sind lauter und radikaler als die im Frühjahr. 

Die Querdenker behaupten, wir würden in einer Corona-Diktatur leben, in der die Meinungsfreiheit unterdrückt wird. Dabei geht ihr Anführer bei den Medien ein und aus. Ist das nur eine Masche, oder glauben die Anhänger das wirklich?

Der Glaube, dass man ein Opfer einer Weltverschwörung ist, ist ein Glaube, der sich immer selbst bestätigt. Wenn man den Leuten Medienzeit gibt und wenn die Polizei vor ihnen zurückweicht, dann schließen sie daraus: Die Apokalypse ist nahe. Sie werden jetzt siegen. Wenn man ihnen entgegentritt, werten sie das als Hinweis, dass die Diktatur auf dem Höhepunkt ist.

Was lernen wir daraus?

Verschwörungsgläubige lassen sich nicht allein durch Fakten oder Gespräche von ihrem Glauben abbringen. Eine nette Berichterstattung und ein Waldspaziergang mit Attila Hildmann führen nicht dazu, dass Attila Hildmann neu über deutsche Medien nachdenkt. Es führt dazu, dass er tatsächlich denkt, dass er der neue Reichskanzler wird. 

Müssen wir uns damit abfinden, dass solche Menschen für jeden Diskurs verloren sind?

Wir dürfen niemanden aufgeben. Wir müssen immer wieder Angebote machen. In Baden-Württemberg gibt es sogar Beratungsangebote für Aussteiger aus der Querdenker-Szene. 

Aber jemanden wie Attila Hildmann würden Sie damit wahrscheinlich nicht erreichen. 

Richtig, wir müssen akzeptieren, dass es immer Leute geben wird, die sich die Welt mit dem Glauben an Verschwörungen oder mit der Herrschaft böser Mächte erklären. Für die Menschen ist es dann eher so, als würden sie in einer Sekte leben. Die erreichen wir mit gutem Zureden nicht mehr. In Freiburg lebte der große Philosoph Martin Heidegger. Der hat es selbst nach dem Untergang des NS-Regimes nicht mehr geschafft, sich aus seinem Antisemitismus rauszuarbeiten. Daran sieht man, dass es auch hochintelligenten und gebildeten Persönlichkeiten passieren kann. 

Sie sind Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Was denken Sie, wenn Sie hören, dass sich Querdenker selbst mit Sophie Scholl oder Anne Frank vergleichen und sich Judensterne anhaften?

Das wundert mich nicht mehr. Wir hatten die ersten Judensterne in Stuttgart schon bei Demonstrationen gegen das Diesel-Fahrverbot. Das ging also schon vor Corona los. Und auch hier ist die Psychologe dahinter: Wenn Leute glauben, sie seien das Opfer einer Weltverschwörung, dann ertragen sie es nicht, dass anderer gedacht wird. Sie wollen die einzigen Opfer sein. Verschwörungsglauben macht sehr egoistisch. 

Baden-Württemberg gilt als Heimat der Wutbürger. Ist es ein Zufall, dass die Bewegung der Querdenker gerade dort entstanden ist? 

Nein, wir hatten schon im 19. Jahrhundert große Anti-Impfbewegungen in Stuttgart und in Leipzig. Historisch gesehen wollten die süddeutschen Länder wie Württemberg, Bayern und Sachsen gar nicht zum Deutschen Reich gehören wollten. Es hat sich eine Antihaltung gebildet gegen Berlin und die Pockenimpfung. Daran knüpfen heutige Impfgegner an.

Im März sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Spielen die Querdenker da eigentlich auch eine Rolle?

Wenn in Michael Ballweg bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart nur 1,2 Prozent bekommt, dann muss man für die Stuttgarter sagen: Es sind zwar immer noch viel zu viele Verschwörungsgläubige. Aber es ist nur eine kleine Minderheit. 

Keine Angst, dass sich die Querdenker in die Arme der AfD flüchten und der Partei bei den nächsten Wahlen zu satten Stimmengewinnen verhelfen?

Ich kenne eigentlich kein Beispiel in der Geschichte, wo es für irgendeine Partei von Vorteil gewesen wäre, sich mit Verschwörungsbewegungen zu verbünden, weil die sich ja immer weiter radikalisieren. Die Frage ist, ob die übergroße Mehrheit erkennt, was sie an der Demokratie hat. Und deshalb erlaube ich mir ganz schwaben-untypisch zu sagen: Diesmal werden sie es nicht schaffen, unsere Demokratie zu vernichten. Diesmal nicht!

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.  

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