Postscriptum - Alternative Fakten

Alternative Fakten seit jeher ein politisches Propagandainstrument. Dafür muss man noch nicht mal die Unwahrheit sagen

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Der Begriff „alternative Fakten“ hat keinen guten Ruf. Prominent in die Welt gesetzt wurde er von Kellyanne Conway, einer Beraterin Donald Trumps. Es ging um die Besucherzahlen bei der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten: Offensichtlich waren weniger Leute gekommen als damals zu Barack Obama – ein Befund, den das Trump-Lager mit „alternativen Fakten“ bestritt. Seither gelten diese beiden Wörter als Synonym für „dreiste Lüge“.

Dabei sind alternative Fakten seit jeher ein politisches Propagandainstrument. Und wer sich ihrer bedient, muss noch nicht einmal die Unwahrheit sagen. Es geht vielmehr darum, nur einen bestimmten Teil der Wirklichkeit zu beleuchten, um daraus populäre Forderungen abzuleiten. Zum Beispiel wie bei der Sache mit der Lohngerechtigkeit – einem aktuellen Wahlkampfschlager der SPD. „Lohndiskriminierung von Frauen beenden“ heißt es im Programm der Sozialdemokraten, und weiter: „Noch immer verdienen Männer im Schnitt 22 Prozent mehr als Frauen. Nicht zuletzt, weil Frauen selbst bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit weniger Lohn kriegen.“ Und wer würde schon ernsthaft bestreiten wollen, dass diese Ungerechtigkeit ein Ende haben muss?

Wahlprogramme sind voller alternativer Fakten

Geht man ein bisschen tiefer in die Materie, bleibt von den 22 Prozent allerdings nicht mehr allzu viel übrig. Denn sie beziehen sich auf den Vergleich zwischen dem durchschnittlichen Verdienst von Männern und Frauen in Deutschland. Nicht berücksichtigt sind Faktoren wie Qualifikation, Position, Dauer der Betriebszugehörigkeit oder Einsatzgebiet. Rechnet man diese Merkmale mit ein, verringert sich die Lohnlücke je nach Kalkulation auf einen Wert zwischen 2 und 7 Prozent. Wobei die unterschiedlichen Berechnungsmethoden selbst wieder auf „alternativen Fakten“ beruhen: Es kommt einfach nur darauf an, welche Faktoren Berücksichtigung finden.

So gesehen sind die Wahlprogramme aller Parteien nichts anderes als Ansammlungen von alternativen Fakten. Es soll nur möglichst keiner merken.

 

Dieser Text stammt aus der Aprilausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

 

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