Neue Studie der Bertelsmann-Stiftung - Populismus wird zum Totschlagargument

Kritik an der Regierung kann schon ein Einstieg in den Populismus sein. Diese Zuspitzung aus einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Wer vor Populismus warnt, singt oft ein Loblied auf die Herrschenden – eine fatale Entwicklung. Von Alexander Kissler

Ist das Schwenken einer Deutschland-Flagge noch ein Akt der Kritik – oder schon Populismus? / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Jesus Christus war ein Populist, Martin Luther ebenso. Karl Marx war Populist, Rudi Dutschke war es, der Dalai Lama und Raif Badawi sind es auch. Der Prophet Jeremia und Ferdinand Lassalle und Bertha von Suttner und Rosa Luxemburg und Bertolt Brecht und Malcolm X: Sie alle waren Populisten. Zumindest dann, wenn man die Erkenntnisse und Bestimmungen des „Populismusbarometers 2018“ ernst nimmt, das der Deutschlandfunk wie folgt zusammenfasste: „Immer mehr Bundesbürger sind einer neuen Studie zufolge für populistische Parolen empfänglich. (…) Als Populist im Sinne der Studie gilt, wer verschiedenen Aussagen über das Funktionieren von Staat und Gesellschaft zugestimmt hat. Dazu zählt unter anderem Kritik an den politischen Eliten.“

Nun wissen wir Bescheid: Wer die Regierenden kritisiert, ist ein Populist. Wer die da oben argumentativ attackiert, damit es denen da unten etwas besser geht, ist ein Populist. Wer lieber dem Arbeitskollegen im Betrieb vertraut als den Politprofis in den Kabinetten, ist ein Populist. Gewiss, im „Populismusbarometer 2018“ findet sich der einschränkende Hinweis, nur derjenige gelte im Vollsinn „als ‚populistisch‘, der allen acht Aussagen ‚voll und ganz‘ oder ‚eher‘ zustimmt“. Doch zum notwendigen Achterbündel, das den Populisten macht, gehören auch solche nachdenklichen Aussagen wie „Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden“ oder „Die Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen“. Die Quersumme im großen Einmaleins des Populismus bildet, was früher zum Ehrabzeichen aller Gesellschaftskritiker, Freiheitskämpfer, Friedensaktivisten, Frauenrechtlerinnen taugte: die Überzeugung vom „Gegensatz zwischen politischer Elite und Bürgern“, die Kritik an den „herrschenden Eliten“ und die Forderung nach „Entmachtung der herrschenden politischen Eliten“.

Böse Populisten bei AfD, grüne Musterdemokraten

Das „Populismusbarometer 2018“, erstellt von der Bertelsmann-Stiftung und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, liefert Politikberatung für die, wie es im Vorwort heißt, „etablierten Parteien“. Diese werden als Garanten der „liberalen Demokratie“ betrachtet, wobei die Verfasser die größten Sympathien für Bündnis 90/Die Grünen hegen, die derzeit führende bundespolitische Machtreserve: „Durch kluge Politik und eine klare Haltung, die mit dem Anspruch verbunden ist, die politische Mitte über die Gefahren des Populismus für die Demokratie aufzuklären und den (sic!) anschwellenden Populismus der Mitte zu stoppen“, könnte den Populisten der Boden entzogen werden; „Wie das geht, zeigen im Moment vor allem die Grünen“. Böse Populisten sind AfD und Linkspartei, Musterdemokraten die Grünen, der Rest bewegt sich dazwischen.

Im Trend der Zeit liegt solche Vermengung von Wissenschaft und Weltanschauung, von Zahlenspiel und Zweckgebundenheit. Die laute Trompete jedoch, die angestimmt wird, um den Alarmton des „Populismusbarometers“ in die breite Öffentlichkeit zu blasen, ist bedenklich. Letztlich wird mit solchen Studien das Lob der Herrscher gesungen wie weiland im Fürstenspiegel des Mittelalters oder den familiären Heldengeschichten des Historismus. Der nimmermüde Kaiser, der den Deutschen den Platz an der Sonne bringen will, der wackere Recke, der gegen ein Heer von Teufeln in die Schlacht zieht, der tollkühne Flottenadmiral: Sie kehren wieder im alternativlosen Hymnus auf das politische Establishment. Kritik wird abermals Defätismus. Es soll erneut keine Parteien geben, sondern nur Deutsche, gute Deutsche, gute Menschen.

Im Visier: Der Mensch als Gehorsamstier

Letztlich kann mit dem populistischen Totschlagargument jedes Aufbegehren gegen die Macht diskreditiert werden. Der Mensch als Gehorsamstier ist das Ziel solcher Apokalyptik. Ja, es gibt Populismus, links wie rechts und in der Mitte. Ist es nicht populistisch, wenn die amtierende Kanzlerin erklärt, Deutschland werde im Zeitalter der fortwährenden Zuwanderung „Deutschland bleiben – mit allem, was uns daran lieb und teuer ist“? Ja, es sind komplizierte Zeiten. Wer jedoch meint, darauf nur mit komplizierten Modellen und verschlungenen Phrasen reagieren zu müssen, unterliegt dem populistischen Trugschluss, man könne Kompetenz durch Unverständlichkeit simulieren. In den Worten Nassim Nicholas Talebs („Skin in the game“): „Leute, die nie ihre Haut aufs Spiel gesetzt haben, sind immer auf der Suche nach dem Komplizierten und Zentralisierten; das Einfache meiden sie wie die Pest.“

Gegen das Gewohnheits- und Gehorsamkeitstier, das in jedem Menschen schlummert, dem deutschen zumal, dem obrigkeitsfixierten, gibt es ein Gegengift. Es heißt Nietzsche. Der Philosoph und Machtkritiker und Elitenverneiner wusste: Aus der Herde ausscheren muss, wer sich bewahren will; denn „die Politik verschlingt allen Ernst für wirklich geistige Dinge.“ Nietzsche, erkennen wir heute, war ein Populist.

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