
- Populismus wird zum Totschlagargument
Kritik an der Regierung kann schon ein Einstieg in den Populismus sein. Diese Zuspitzung aus einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt: Wer vor Populismus warnt, singt oft ein Loblied auf die Herrschenden – eine fatale Entwicklung. Von Alexander Kissler
Jesus Christus war ein Populist, Martin Luther ebenso. Karl Marx war Populist, Rudi Dutschke war es, der Dalai Lama und Raif Badawi sind es auch. Der Prophet Jeremia und Ferdinand Lassalle und Bertha von Suttner und Rosa Luxemburg und Bertolt Brecht und Malcolm X: Sie alle waren Populisten. Zumindest dann, wenn man die Erkenntnisse und Bestimmungen des „Populismusbarometers 2018“ ernst nimmt, das der Deutschlandfunk wie folgt zusammenfasste: „Immer mehr Bundesbürger sind einer neuen Studie zufolge für populistische Parolen empfänglich. (…) Als Populist im Sinne der Studie gilt, wer verschiedenen Aussagen über das Funktionieren von Staat und Gesellschaft zugestimmt hat. Dazu zählt unter anderem Kritik an den politischen Eliten.“
Nun wissen wir Bescheid: Wer die Regierenden kritisiert, ist ein Populist. Wer die da oben argumentativ attackiert, damit es denen da unten etwas besser geht, ist ein Populist. Wer lieber dem Arbeitskollegen im Betrieb vertraut als den Politprofis in den Kabinetten, ist ein Populist. Gewiss, im „Populismusbarometer 2018“ findet sich der einschränkende Hinweis, nur derjenige gelte im Vollsinn „als ‚populistisch‘, der allen acht Aussagen ‚voll und ganz‘ oder ‚eher‘ zustimmt“. Doch zum notwendigen Achterbündel, das den Populisten macht, gehören auch solche nachdenklichen Aussagen wie „Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden“ oder „Die Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen“. Die Quersumme im großen Einmaleins des Populismus bildet, was früher zum Ehrabzeichen aller Gesellschaftskritiker, Freiheitskämpfer, Friedensaktivisten, Frauenrechtlerinnen taugte: die Überzeugung vom „Gegensatz zwischen politischer Elite und Bürgern“, die Kritik an den „herrschenden Eliten“ und die Forderung nach „Entmachtung der herrschenden politischen Eliten“.