Düzen Tekkal - Die Klartext-Aktivistin

Fast wäre Düzen Tekkal Staatsministerin für Integration geworden. Als Jesidin kennt sie sich aus mit Minderheiten und Migration – und weiß deshalb, dass Beschönigung schadet

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Düzen Tekkal habe von ihrem Vater gelernt, Deutschland als einen Ort der Chancen zu begreifen, sagt sie / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Düzen Tekkal ist eine Journalistin, die zur Aktivistin wurde. Grundsätzlich ist das eine problematische Kombination. Allerdings nicht, wenn man die Karten offen auf den Tisch legt und seinen Interessenkonflikt klar benennt. Den nämlich zwischen journalistischer Neutralität auf der einen und persönlichem Engagement auf der anderen Seite. Tekkal, die 39-jährige Fernsehreporterin mit kurdisch-jesidischen Wurzeln, macht das. Als sie vor vier Jahren zum ersten Mal in den Irak ging, um für „Stern TV“ den Völkermord des „Islamischen Staates“ an den Jesiden zu dokumentieren, sei aus ihr eine Menschenrechtsaktivistin geworden: „Mein Anspruch reichte nicht mehr, nur als Journalistin neutrale Berichterstattung zu betreiben“, sagt sie. „Deswegen habe ich auch klar gesagt, dass der Film etwas Persönliches ist, weil ich wegen meiner jesidischen Herkunft selbst betroffen bin.“

Aus der Betroffenheit hat sich inzwischen echte Hilfe entwickelt. Tekkal gründete den Verein Hawar.help, der unter anderem gemeinsam mit dem deutschen Entwicklungsministerium Frauen aus IS-Gefangenschaft dabei unterstützt, mit Handwerks- und Alphabetisierungsprogrammen in ein halbwegs normales Leben zurückzufinden. Tekkal kommt gerade aus Mossul, wo sie mit Entwicklungsminister Gerd Müller unterwegs war. Es ging um den Wiederaufbau der Stadt, sie besuchten auch die Moschee, in der IS-Anführer al Baghdadi das Kalifat ausgerufen hatte. „Da kam natürlich einiges hoch in mir, weil die gefangenen jesidischen Frauen zuerst dorthin verfrachtet und auf Märkten wie Sklavinnen verkauft wurden. Mir wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken.“

Ankommen in Deutschland

Düzen Tekkal wurde in Hannover geboren, ihr Vater war Ende der sechziger Jahre als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen und später als politischer Flüchtling anerkannt worden. Das migrantische Milieu hat sie natürlich geprägt, aber anders, als viele denken würden: „Wenn ich als Schülerin benachteiligt wurde, dann eher von anderen Migrantenkindern. Die haben mir manchmal vorgehalten, ich sei zu deutsch. Oder haben mich als Schlampe bezeichnet, weil ich zu Fasching als Disco-Mädchen ging.“ In ihrem Abi-Jahrgangsbuch wurde Tekkal von Mitschülern bezeichnenderweise als „unsere Antwort auf die Fundamentalisten“ charakterisiert. Sie kann heute noch darüber schmunzeln. „Als junge Frau wünscht man sich zwar andere Zuschreibungen, aber heute bin ich stolz darauf. Ich habe mich nämlich damals schon mit den Jungs gefetzt, die nicht in Deutschland ankommen wollten.“

Ankommen in Deutschland, das ist Tekkals großes Thema, mit dem sie sich schon als junge Redakteurin beim Fernsehen auseinandergesetzt hat: Minderheiten, Integration, Migration und deren Schattenseiten wie Zwangsheirat, Parallelgesellschaften oder Radikalisierung standen und stehen im Zentrum ihrer Arbeit. Dass sie sich dabei nicht von der in deutschen Medien üblichen Schönfärberei leiten lässt, macht sie inzwischen zu einem gefragten Talkshow-Gast. Denn bei ihr ist Klartext angesagt, keine Multikultiromantik: „Die deutschen Integrationsbeschöniger sind ein Teil des Problems, weil sie jede Form von Kritik gleich in eine bestimmte Ecke stellen. Und weil sie Migranten eigentlich immer nur als Opfer sehen wollen.“ Sie selbst habe von ihrem Vater, einem Fliesenleger, gelernt, Deutschland als einen Ort der Chancen zu begreifen. „Und er hat uns dazu ermuntert, das Beste aus diesen Chancen zu machen.“

„Weg von der Religion und hin zur Freiheit“

Vor zwei Jahren ist Düzen Tekkal der CDU beigetreten – „auch, weil ich Impulse in diese Partei hinein setzen wollte“, wie sie sagt. Hätte bei der niedersächsischen Landtagswahl im vergangenen Herbst der CDU-Kandidat gesiegt, wäre Tekkal Integrationsministerin geworden; auch als Staatsministerin für Integration im Kabinett Merkel war sie im Gespräch, doch mit dem Posten musste letztlich die Vorsitzende der Frauen-Union und ehemalige parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz abgefunden werden. „Was dieses Amt angeht, ist mir von niemandem etwas versprochen worden. Insofern alles gut“, beschwichtigt Tekkal. Es ist ihr aber anzumerken, dass sie den Job nicht nur gern gehabt, sondern auch etwas daraus gemacht hätte. „Weg von der Religion und hin zur Freiheit“, lautet ihre integrationspolitische Maxime. „Ich finde auch, dass nicht wir als Aufnahmegesellschaft ständig Fragen zu beantworten haben. Sondern dass diejenigen, die etwas von uns wollen, Fragen beantworten müssen. Das gilt übrigens für alle gleichermaßen, auch für die Islam-Verbände.“

In Deutschland, sagt Tekkal, werde beim Thema Integration zu viel geredet und zu viel theoretisiert. „Die Flüchtlinge erinnern uns daran, dass wir eigentlich keinen Plan haben. Den Identitätskonflikt haben die Deutschen selber.“ Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein würde da bestimmt nicht schaden.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.









 

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