Plastikcontainer entdeckt - Ein weiteres RAF-Versteck gefunden?

Neues von der RAF – über zwanzig Jahre nach deren Auflösung? Südlich von Hamburg wurde ein Plastikcontainer voller Terror-Utensilien gefunden. Das LKA Niedersachsen schließt „einen Bezug“ zur RAF nicht aus. Butz Peters über Terroristenverstecke.

Die Polizei untersucht ein Waldstück südlich von Hamburg nach einem möglichen Erdversteck der RAF / dpa
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Autoreninfo

Dr. Butz Peters ist Publizist und Rechtsanwalt in Dresden. Er ist einer der führenden deutschen Experten zur Geschichte der RAF und hat mehrere Bestseller zum Thema Innere Sicherheit geschrieben.

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Nichts hatten die BKA-Fahnder zunächst davon mitbekommen, dass die RAF Anfang der achtziger Jahre ihre Logistik grundlegend umgestellt hatte: Lange Zeit waren ihre „Operationsbasen“ konspirative Wohnungen: Dort versteckten sich ihre „bewaffneten Kämpfer“. Dort lagerten ihre Terror-Utensilien: Waffen, Munition, Sprengstoff, gefälschte Ausweise, Bargeldbündel.

Weil im Laufe der Zeit die Ermittler ihre Fahndungsstrategien immer weiter verfeinerten, unter anderem durch die Rasterfahndung, flogen immer mehr dieser Wohnungen auf – insgesamt weit über 100. Verhaftet wurden Dutzende RAF-Mitglieder. Deshalb entschied sich die RAF, flexibler zu werden. Sie versteckte ihre Terror-Utensilien in Erddepots: einer Kette von achtzehn Verstecken in Wäldern, verstreut über ganz Deutschland. So waren ihre Wohnungen weitgehend „clean“ und Umzüge wesentlich einfacher durchzuführen.

Pilzsammler kamen auf die Spur

Auf diese Spur brachten zwei Pilzsammler die Ermittler: In Heusenstamm, südlich von Frankfurt, entdecken sie am 26. Oktober 1982 auf der Suche nach Champignons und Trommelpfifferlingen, unter Tannenzweien vergraben, eine Plastikkiste. In der nächsten Nacht buddelt ein halbes Dutzend BKA-Beamte den Waldboden auf und zwei Plastikkästen aus – voller RAF-Utensilien: Mehrere Waffen – darunter das Heckler & Koch-Schnellfeuergewehr, mit dem fünf Jahre zuvor ein RAF-Kommando Schleyers vier Begleiter erschossen hatte, über 100 Ausweise.

55.000 Mark in Scheinen, Fälschungsutensilien und jede Menge RAF-Reliquien: Originale mehrerer Schreiben Schleyers und Polaroid-Fotos von ihm aus seiner „RAF-Gefangenschaft“ im Herbst 1977. Ebenso Polaroids von der „Stalinorgel“, mit der die RAF 1977 versucht hatte, die Bundesanwaltschaft in Schutt und Asche zu legen – nur ein winziger technischer Defekt verhinderte das Massaker.

Insgesamt lagen in dem „Pharaonengrab“ (ein Ermittler) über 1.000 Gegenstände. Der Schlüssel zur neuen RAF-Logistik ist ein Stapel Papiere, voller verschlüsselter Angaben. Mit Hilfe von Dechiffrierexperten finden die BKA-Männer heraus, dass es sich um die Inhaltsangaben und die Wegbeschreibung zu siebzehn weiteren RAF-Depots handelt. Zwischen Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Mit Codenamen wie „Stall“, „Sarg“, „Klotz“, „Künstler“ „neue 5-Zimmer-Wohnung“ und „Rotkehlchen“.

Zwölf Erddepots abgeräumt

Zwölf dieser Erddepots finden die Ermittler tatsächlich und können sie komplett „abräumen“: So fällt ihnen im Herbst 1982 der größte Teil des RAF-Terror-Hausstandes in die Hände: Sechs Maschinenpistolen, fünf Gewehre, siebzehn Pistolen, fünf Handgranaten, über 5.000 Schuss Munition, 3,6 Kilogramm Sprengstoff, über zweitausend Ausweise, Fälschungsutensilien und Skizzen von zweiundzwanzig Pfaden über die „grüne Grenze“ – damals gab es noch die Grenzkontrollen. Fünf Depots wurden zwar (nach der verschlüsselten Beschreibung) „geortet“. Tatsächlich aber nicht entdeckt.

Zeitgleich mit dem „Abräumen“ der Depotkette beginnt – absolut stickum – der bis dahin größte Observationseinsatz in der Bundesrepublik: Die Operation „Eichhörnchen“ bedeutet für über 2.000  Polizei- und Zollbeamte Bibbern und Zittern über Wochen. Sie beobachten, zum Teil über vierundzwanzig Stunden, eingegraben im Waldboden bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, die Verstecke – mobile Kameratechnik, heute bei Observationen üblich, gibt es noch nicht.

Der Aufwand bringt Erfolg: Zwei Wochen nach der Entdeckung des ersten Walddepots fassen in dessen Nähe GSG-9-Beamte Brigitte Mohnhaupt (33) und Adelheid Schulz (27). Im Gepäck haben sie eine polnische Maschinenpistole WZ 63. Mit ihr hatte die RAF zwei niederländische Zöllner erschossen. Und fünf Tage später schnappt ein SEK-Kommando in der Nähe von Aumühle, östlich von Hamburg, auf dem Weg zum Depot „Daphne“ Christian Klar (30) – in seinem Holster streckt ein durchgeladener Colt Commander. Mit seiner Festnahme ist der letzte Kopf der zweiten RAF-Generation gefasst. Ihr Ende.

Die letzte RAF-Wohnung

Zwei Jahre später, im Juli 1984, verhaftet die Polizei noch sechs Mitglieder einer dilettantisch agierenden „Nachzügler“-Formation in Frankfurt. Das letzte Mal in der Geschichte der RAF, dass die Polizei eine RAF-Wohnung entdeckt.

Wo die dritte Generation, die kurz darauf startet, im Herbst 1984, ihre Waffen und sonstigen Terror-Utensilien versteckte und wo sie wohnte, ist bis heute unbekannt. Sie existierte vierzehn Jahre und ermordete zehn Menschen.

Sollte es sich tatsächlich bei dem Fund in dem luftdicht verschlossenen Plastikcontainer um eine RAF-Hinterlassenschaft handeln, sind Hinweise daraus auf die derzeit drei noch gesuchten mutmaßlichen ehemaligen RAF-Mitglieder Staub, Klette und Garweg auszuschließen: Das Trio tauchte erst rund ein Jahrzehnt ab, nachdem die RAF ihren Hausstand in den Wäldern verbuddelt hatte.

„Feierabendterroristen“

Derzeit laufen die Ermittlungen bei der Kriminaltechnik und den Auswertern des LKA Niedersachsen auf Hochtouren. Ergebnisse soll es voraussichtlich in der nächsten Woche geben. Nicht ausgeschlossen wird von Ermittlern derzeit, dass es sich bei dem Fund auch um Hinterlassenschaften der „Revolutionären Zellen“ handeln könnte: „Feierabendterroristen“, die zumeist aus der Legalität heraus operierten und in den siebziger bis neunziger Jahren fast 300 Sachschadenanschläge verübten.

Würde der Inhalt im Wald von Seevetal von ihnen stammen, wäre das ein Novum: Über die Akteure der „RZ“ ist – anders als über die der zweiten RAF-Generation – bislang nur wenig bekannt. 

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