Collage mit Fotos von Silke Maier-Witt und RAF-Geisel Hanns Martin Schleyer
Auf die drängenden Fragen des Schleyer-Sohns hat Maier-Witt nur vage und widersprüchliche Antworten / picture alliance

RAF-Terroristin Silke Maier-Witt - Die Frau, die zu wenig wusste

Das von der „Bild“-Zeitung arrangierte Treffen zwischen der früheren RAF-Terroristin Silke Maier-Witt und dem Sohn des 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer lieferte viele Schlagzeilen, aber wenig Erkenntnis. Sie bleibt eine Randfigur des Terrors

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Autoreninfo

Dr. Butz Peters ist Publizist und Rechtsanwalt in Dresden. Er ist einer der führenden deutschen Experten zur Geschichte der RAF und hat mehrere Bestseller zum Thema Innere Sicherheit geschrieben.

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Am vierzigsten Jahrestag des RAF-Mordes an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Täter zum Reden auf, andernfalls würden sie sich „ein zweites Mal schuldig“ machen. Die Reaktion erfolgte prompt, bereits am nächsten Tag, dem 19. Oktober 2017, schreibt Silke Maier-Witt, eine der 22 RAF-Akteure des deutschen Terrorjahrs 1977, an Schleyers ältesten Sohn Hanns-Eberhard: „Ich möchte Sie, wenn das überhaupt geht, um Verzeihung bitten. Ich schäme mich sehr.“ Das ist die Vorgeschichte zu dem nun von Bild initiierten und betreuten Gespräch zwischen der einstigen RAF-Terroristen und Hanns Martin Schleyers jüngstem Sohn Jörg (63) im mazedonischen Skopje: Dort lebt die einstige RAF-Frau am Stadtrand. Ihre Rente ist mickrig.

„Es klingt so platt, aber ich möchte einfach erstmal um Verzeihung bitten“, beginnt die 67-Jährige, die deutlich älter wirkt, das Gespräch. Bislang sei sie „immer davor ausgewichen“. Dass ein einstiges RAF-Mitglied die Angehörigen eines Mordopfers um Verzeihung bittet, ist kein Novum. Aber noch nie geschah es, dass Deutschlands auflagenstärkste Zeitung in drei Folgen groß darüber berichtet.

Nur eine Randfigur

Trotz vieler Worte Maier-Witts zur RAF-Geschichte war von ihr in Skopje nichts nennenswert Neues zu erfahren – anders, als einige Medien Glauben machten. Das Blut-Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte muss nicht umgeschrieben werden. Nicht einmal eine weitere Fußnote ist erforderlich.

Grund dafür ist zum einen, dass die einstige Medizinstudentin eine Randfigur in der 77er RAF-Formation war: In deren Hierarchie war sie eine der vier „Hamburger Tanten“. Als Putzfrauen und Botinnen wurden sie von der RAF-Kerntruppe um Brigitte Mohnhaupt eingesetzt – zu „mehr“ schienen sie unbrauchbar. Silke Maier-Witt stand „am unteren Ende der Hierarchie“, urteilte 1991 das Oberlandesgericht Stuttgart über ihre Rolle in der RAF. Von Schleyers Entführung erfuhr sie aus dem Rundfunk. An den Planungen war sie nicht beteiligt. Den entführten Arbeitgeberpräsidenten hat sie nie gesehen. Die RAF-Kernmannschaft hielt sie bewusst auf Distanz zum Tatgeschehen. Anders als Silke Maier-Witt aufgetragen, gelang es ihr nicht, eine konspirative Wohnung in Köln zu mieten – was ihr gelang, war das Fahrrad eines Kölner Studenten auf dem Uni-Gelände zu klauen.

Keine neuen Erkenntnisse

So ist Silke Maier-Witts Rolle in der Geschichte des deutschen Terrorjahres, eine von mehreren Boten der RAF gewesen zu sein: Sie verbreitete Erklärungen der Schleyer-Entführer, die ihr per Telefon durchgegeben wurden – ohne zu wissen, wo ihre Gesinnungsgenossen die Geisel versteckten. Zeitgeschichtlich bemerkenswert ist einzig ihr Anruf im Stuttgarter Büro der Deutschen Presseagentur nach der Ermordung Schleyers, weil er an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten ist. Es war die 25. und letzte Nachricht der Entführer am 19. Oktober 1977. „Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet“, diktierte die damals 27-Jährige in die Telefonmuschel. Bundeskanzler Helmut Schmidt könne ihn in der Rue Charles Péguy in Mülhausen in einem Audi 100 mit Homburger Kennzeichen „abholen“. Fünf Stunden später öffnen französische Polizeibeamte den Kofferraum – vor ihnen liegt der eingepferchte Leichnam Schleyers. Ein furchtbares Bild.

Wie bei allen schwerkriminellen Organisationen galt auch für Randfiguren wie Maier-Witt die Need-to-know-Regel: Sie erfuhr nicht mehr als das, was sie unbedingt wissen musste.

So überrascht nicht ihre Unwissenheit zu zentralen Aspekten des Deutschen Herbstes, die sie mehrfach in dem Gespräch Jörg Schleyer und Bild erklärt. Das, was Maier-Witt in Skopje sagt, ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert bekannt – nicht nur aufgrund ihrer umfassenden Aussagen nach ihrer Verhaftung 1990 in Neubrandenburg, in ihrem Strafverfahren 1991 sowie in mehreren Interviews. Damals waren es „Geständnisse“. Heute ist eine Kurzfassung dessen nichts Neues.

Vage Antworten auf drängende Fragen

Deshalb dürften ihre Erklärungen in Skopje auch kaum tatsächlich Erhellendes für Jörg Schleyer gebracht haben. Als er wissen will, wie sein Vater erschossen wurde, antwortet sie: „Ich denke mir, hinterrücks.“ Das ist alles andere als eine Überraschung. Bereits vor mehr als vierzig Jahren hatten Gerichtsmediziner festgestellt, dass Hanns Martin Schleyer „mit 3 Schüssen in den Hinterkopf“ getötet wurde.

Widersprüchlich sind Maier-Witts Antworten zu Jörg Schleyers „Schrank“-Frage. Im ersten Versteck seines Vaters in Erftstadt-Liblar, 25 Kilometer vom Tatort in Köln entfernt, entdeckten die Ermittler später einen Wandschrank im Flur, den das RAF-Bewacherkommando als Mini-Gefängnis hergerichtet hatte: mit schallschluckenden Schaumgummimatten und einer Handfessel. Grundfläche: kaum mehr als ein Quadratmeter. Jörg Schleyer will wissen, wie oft und wie lange Maier-Witts Komplizen seinen Vater dort einsperrten. „Er war nur in diesem Schrank, als da jemand an der Tür war. Ansonsten hat er nicht in diesem Schrank gesessen“, behauptet sie. Da sei sie sich „sicher“ –  obwohl sie nie in der Wohnung war. Aber schon einen Absatz weiter erklärt sie, es sei „ja auch Glaubenssache,“ ob er „die ganze Zeit drin war“.

Der Täter bleibt weiterhin unbekannt

Gegen ihre verharmlosende Darstellung sprechen die Fakten. Erstens befand sich der Wandschrank direkt rechts neben der Eingangstür in der 78-Quadratmeterwohnung – alles andere als ein ideales Versteck für den Fall, dass ein Fremder an eben dieser Tür steht. Zudem stellte das Oberlandesgericht Stuttgart 1986 fest, die RAF hätte den von ihr entführten Arbeitgeberpräsidenten zeitweise gezwungen, „sich in dem Wandschrank aufzuhalten“, deshalb hätte sie ihn dort auch mit einer „Schließkette“ festgekettet – unter Hinweis auf 108 Haare, die dort klebten und, so der Sachverständige, denen Schleyers entsprachen.

Und zu der bis heute ungeklärten Frage, wer Hanns Martin Schleyer erschoss, macht Maier-Witt nichts anderes, als über drei Namen zu spekulieren, die seit Jahrzehnten in der Diskussion sind. So sagt sie, Rolf Heißler, ihren einstigen Geliebten, schließe sie „irgendwie aus“. Keine zehn Zeilen weiter verkündet sie das Gegenteil: „Heißler könnte sein.“ 

Keine bereuende Ausnahmeerscheinung

In der grenzenlosen Begeisterung über Maier-Witts Aussagen überspannten manche Kommentatoren die historische Rolle der einstigen RAF-Frau und ihre jetzigen Erklärungen. So schreibt beispielsweise Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung, trotz ihres Zehn-Jahres-Strafurteils sei Maier-Witt nach fünf Jahren freigekommen. Denn: „Anders als ihre Mitkämpfer in der Roten-Armee-Fraktion (RAF) spricht Maier-Witt über ihre Taten und sie zeigt seit ihrer Festnahme immer wieder Reue.“ Was der SZ-Chronist nicht schreibt: Mehr als ein halbes Dutzend ehemaliger RAF-Mitglieder, wie beispielsweise Susanne Albrecht, die wie Maier-Witt 1990 in der DDR gefasst worden waren, erklärten in Vernehmungen, Strafverfahren und Medien Reue – geradezu uneingeschränkt. Und so kamen, nicht anders als Maier-Witt, sieben weitere einstige „Mitkämpfer“ nach Verbüßung der Hälfte ihrer Strafe in den neunziger Jahren auf freien Fuß. So ist sie in der RAF-Geschichte alles andere als eine bereuende Ausnahmeerscheinung.

Winklers Resümee: Nach dem von Bild initiierten Silke-Maier-Witt-Jörg-Schleyer-Gespräch sei „auch dieser alte deutsche Krieg endlich vorbei.“ Welcher Krieg? Alt, deutsch? Vorbei – wieso, warum, weshalb? Asbach-uralter Wein aus dem vergangenen Jahrhundert in einem neuen Schlauch ist nicht epochal.

Die Gründe für das Schweigen

In Anbetracht der Worte des Bundespräsidenten und des folgenden Maier-Witt-Interviews erhebt sich aber die Frage, ob nun andere Ex-RAF-Mitglieder seiner Aufforderung folgen und „reden“ könnten. Das ist unwahrscheinlich – solange es um mehr als Altbekanntes geht. Zum einen gilt für alle RAF-Hardcore-Insider die Devise „Von uns keine Aussagen“: Sie wollen die Deutungshoheit über ihre Geschichte nicht aus der Hand geben. Und bei den wenigen noch offenen Fragen, die zeitgeschichtlich von Belang sind – Wer erschoss Schleyer und wer Generalbundesanwalt Buback? – , geht es um Mord. Der verjährt nicht. Und deshalb ist das Schweigen der RAF-Insider aus ihrer Sicht heute nicht nur logisch, sondern auch ein Gebot strafprozessualer Vernunft. Von ihnen will keiner mit über sechzig Jahren noch einmal ins Gefängnis – und auch nicht Anlass dafür bieten, dass einer der Kampfgefährten von einst dorthin muss. Und so verstehen die Wissensträger aus der RAF ihr Schweigegebot als eine lebenslange Form von „Solidarität“ aus blutiger Vergangenheit.

Cover des Buches

Mehr zur Silke Maier-Witt und der RAF im deutschen Terrorjahr 1977 erfahren Sie in Butz Peters Buch „RAF gegen Bundesrepublik“, 576 Seiten, Droemer 2017.

 

 

 

 

 

 

 

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Angela Seegers | Fr., 1. Dezember 2017 - 18:30

... dieses Treffen im Sessellift, welches kamerafreundlich dokumentiert wurde. Warum eigentlich immer wieder Schleyer? Andere Opfer des Herbst 1977 sind ebenso zu beklagen.

Holger Stockinger | Fr., 1. Dezember 2017 - 19:09

Einer ihrer Begründer, Trotzki, erlebte in Mexiko, daß STALIN (zu deutsch: der HAMMER) dem Verfechter der nie endenden Revolution trotzdem seinem Leben ein Ende setzte.

Die RAF scheint nicht nur sondern kann bis heute nur im PHANTASMA einer Unsterblichkeit leben: kein Dschihadist täte mit diesem lächerlichen Kleinbürgerterroristenverein samt ihren Terrorverteidigern sich vergleichen lassen wollen ...

Erich Haug | Fr., 1. Dezember 2017 - 20:02

Die geistigen Brandstifter und Unterstützer leben heute noch unter uns. Es würde mich nicht wundern, wenn sie in Politik und Industrie höchste Ämter begleiten. Habe diese Zeit erlebt, es war mir klar, dass ein Bader und eine Meinhoff niemals die geistigen und finanziellen Fähigkeiten hatten um so etwas ins Leben zu rufen. Über die Gründe wird bis heute spekuliert aber die Omerta hält dicht.
Eine Parallele dazu sehe ich im NSU Schauprozess bei dem Zeugen verschwinden, nicht aussagen usw.
Meiner Meinung nach knüpfen diese geistigen Auslöser und Irrläufer solcher Prozesse schon in den Hochschulzeiten ihre vernichtenden Geisteshaltungen. (Siehe auch Bundestagsmitglieder). Wenn dann noch der Geheimdienst in diese zweifelhaften Spielchen involviert ist kann man erahnen , dass Macht und Wille zum Destruktiven dahinterstecken.

Heidemarie Heim | Di., 5. Dezember 2017 - 11:40

Antwort auf von Erich Haug

Welche Terrorgruppierung wird oder wurde nicht "gefördert" oder unterstützt?
Im Fall der RAF in den Ausbildungslagern in Nahost und in näherer Umgebung
von der ehemaligen DDR und ihrer STASI. Auch ich Jahrgang 1958 bin in beiden
zeitgeschichtlichen (Terror-)Abschnitten unfreiwillig involviert. Mit dem Naziterror
durch meine Eltern, die wiederum aus politischen Feindfamilien entstammten,
väterlicherseits stramme Nazis, mütterlicherseits wenig bis nichts am Hut damit.
Zudem eine trotzige Großmutter, die weiterhin bei Juden einkaufte. Nach
einer "erzwungenen Ehe" durch die frühe Geburt meiner ältesten Schwester 1950
war damit zwar erste Distanz seitens meiner Eltern zu einer Aufarbeitung gegeben,
allein sie taten sich wie fast alle Kinder dieser Zeit sehr schwer was unsere Neugier
zur Vergangenheit betraf. Was Terror betrifft durfte ich dann geradeso erwachsen
mit der RAF live erleben. Und aktuell s.o. Und immer noch bleiben die wahren
Strippenzieher unbenannt. MfG

Bernd Fischer | Fr., 1. Dezember 2017 - 21:45

was aber kein Mord rechtfertigt.

Leider war die damalige politische westdeutsche
( die angeblichen Guten ) Aufarbeitung der Nazis und NS Verbrechen unter aller Sau, und verlogen bis zum geht nicht mehr.

Schleyer war in seiner NS-Zeit in Prag ein billiger und willfähriger Handlanger vom Judenschlächter Reinhard Tristan Eugen Heydrich.

Viel Spaß beim nächsten Besuch in der "Martin Schleyer Halle" ...obwohl hier der Täter ein NS Scherge ( Dank Benennung der Halle ) plötzlich ein Opfer wird.

Aber wie auch immer, die bundesdeutsche "Spaßgesellschaft" gibt wie immer ihr Erinnerungsvermögen an der Garderobe ab.

Hauptsache Spaß.

Lutz Schnelle | Mo., 4. Dezember 2017 - 11:34

Schaut das Interview mit Bommi Baumann und überlegt neu.