Paul Ziemiak - Der Leistungsträger

Vorwürfe begleiten den Start des neuen CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak. Der Opportunist? Der Verräter? Wieder so ein Missverständnis. Anpassung ist für Ziemiak so etwas wie Muttermilch, die er gerade auch von anderen Migranten erwartet

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Paul Ziemiak füllt nun ein Führungsamt aus. Opportunismus können das nur Etablierte und Karrieristen nennen / picture alliance
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der Start hätte schlechter kaum laufen können. Übertriebener Ehrgeiz, Opportunismus lauteten die Vorwürfe, und auch als Verräter musste sich Paul Ziemiak nach seiner Wahl zum Generalsekretär der CDU beschimpfen lassen. Dazu votierten nur 62,8 Prozent der Delegierten des Hamburger Parteitags für ihn. Aber mit schlechten Startbedingungen kennt Ziemiak sich aus.

Die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte Ziemiak nach ihrer Wahl gebeten, das zweitwichtigste Parteiamt zu übernehmen. Als Signal an die Jungen, an die Konservativen. Er sagte zu, nachdem er zuvor angeblich bereits einmal abgesagt hatte. Die gespaltene Partei bereitete dem Führungsduo einen vergifteten Auftakt. Was war aus Ziemiaks Loyalität zu seinem Freund Jens Spahn geworden? Und was aus dem guten Verhältnis zu Friedrich Merz? Und was aus seinen konservativen Einstellungen, die im Widerspruch zur AKK-Welt zu stehen scheinen. Doch in Wahrheit ist das ein großes Missverständnis.

Zu Ehrgeizig?

Paul Ziemiak hatte es früh gemerkt. Schon als Schulkind. Dass seine Eltern anders sind. Sie sprachen kaum Deutsch. Er war besser, viel besser als Mama und Papa. Schnell hatte er die Sprache gelernt. Im Alter von zehn Jahren half er seinen Eltern bei Behördengängen. In Stettin wurde Ziemiak 1985 geboren, mit drei Jahren kam er nach Deutschland, im sauerländischen Iserlohn wuchs er auf. Im Kindergarten stand er schweigend in der Ecke, bis er endlich mitreden konnte. Seitdem hört er damit nicht mehr auf.

Extremer Ehrgeiz, so lautet schon lange der Vorwurf gegen ihn, seit er 2014 in einer Kampfabstimmung zum Vorsitzenden der Jungen Union gewählt wurde. Doch der Vorwurf trifft ihn gar nicht, es ist der Vorwurf der Etablierten, der Einheimischen, derjenigen, die im Leben nicht kämpfen mussten. Ehrgeiz? Das ist sein Lebenselixier, ohne Ehrgeiz hätte er den Kampf in dem für seine Familie fremden Land nicht durchgestanden.

Paul Ziemiak, der deutsche Pole oder polnische Deutsche, hat eine Mission. Er will seine Partei, die CDU, wieder zu so etwas wie einer Ehrgeiz-Partei machen. Zu einer Partei der Fleißigen, so hat er es in Hamburg formuliert. Eine Aufsteiger-Partei, wie sie es vielleicht die längste Zeit der alten Bundesrepublik gewesen ist. Deswegen ist die Wahl von Paul Ziemiak so bemerkenswert, weil hier jemand an der Spitze steht, der Außenseiterpositionen kennt, Niederlagen, Rückschläge und die persönliche Erfahrung, dass Leistung sich lohnt.

Ein Anpasser?

Doch was ist mit den anderen Vorwürfen? Der Opportunist? Der Verräter? Ziemiak erzählt von seiner Familie, die zwar formell als deutsche Aussiedler kam, aber doch polnisch sozialisiert war. „Es war ein Ankommen in der Fremde, nicht ein Ankommen in der Heimat.“ Anders als bei Aussiedlern, die früher kamen, gab es ein starkes Bewusstsein von der eigenen polnischen Geschichte. Paul, als Pawel geboren, trägt dieses noch immer mit sich, genauso wie die Urerfahrung des Sich-Einfindens, des Heimisch-werdens in Deutschland.

„Der Anpasser“ hat ihn das SZ-Magazin genannt. Wieder so ein Missverständnis. Anpassung ist für Ziemiak so etwas wie Muttermilch. „Das Fremde wurde erst später zur Heimat“, sagt er. Manche unterstellen ihm, er würde seine Migrationserfahrung verstecken, seit er Merkels Migrationspolitik kritisiert hat. Dabei gehören das Ankommen, die Anpassung und der Eingliederungskampf zu dem, was er auch von heutigen Migranten verlangt. In diesem Sinne ist die CDU für Ziemiak eine Chancen-Partei, und das Aussiedlerkind hat nun die Chance bekommen, ein Führungsamt auszufüllen. Tatsächlich können nur Etablierte und Karrieristen das Opportunismus und Verrat nennen.

Die CDU mit sich selbst versöhnen

Allerdings hat die Aufsteigerbiografie Lücken, konkret die Lücke eines Studienabschlusses. In Osnabrück und Münster studierte Ziemiak nach dem Abitur Jura. Zwei Mal scheiterte er am Ersten Staatsexamen. Er war 22 Jahre alt, als seine Mutter starb, er hatte sie vor ihrem Tod gepflegt. Das Leben geriet durcheinander. Er studierte fortan Unternehmenskommunikation und jobbte bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. 2017 zog er dann als Abgeordneter in den Bundestag ein.

Eine solche Biografie bietet Angriffsfläche. Der Schatzmeister der CDU-Mittelstandsvereinigung nennt die Wahl Ziemiaks einen „Griff ins Klo“, später entschuldigt er sich für die Wortwahl. Aber es sei „unglaublich“, dass er „noch nie mit bodenständiger Arbeit Geld verdient hat“. In der Welt von Ziemiak sind das wohl die bekannten Anwürfe, die er vom Schulhof seiner Kindheit kennt. Er hat viel vor, wenn er seine CDU wieder mit sich selbst versöhnen will. Es ist sein neuer Anpassungskampf.

Dies ist ein Artikel aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.












 

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