Pathologenverband widerlegt Hamburger Forscher - 86 Prozent sterben direkt an Corona und verlieren zehn Jahre Lebenszeit

Der Hamburger Pathologe Klaus Püschel hatte im Frühjahr nach Obduktionen behauptet, die meisten Verstorbenen wären auch ohne Corona zeitnah verstorben. Der Deutsche Pathologenverband kommt in einer aktuellen Studie auf zehn Jahre verlorene Lebenszeit.

Eine aktuelle Studie belegt: 86 Prozent der Todesopfer sterben direkt an Corona / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die Diskussion begann in der Hochphase der Corona-Krise im Frühjahr dieses Jahres. Starben die Erkrankten tatsächlich an Covid-19? Oder waren sie ohnehin sterbenskrank und das Virus hatte den Prozess nurmehr beschleunigt? Vermeintlicher Kronzeuge dieser These war der Hamburger Pathologe Klaus Püschel. Er stellte infrage, dass das Virus, das er als „harmlose Grippe“ einstufte, den Tod ursächlich auslöse. Püschel sagte Ende April nach Obduktionen, die er durchgeführt hatte, die von ihm untersuchten Todesopfer hätten so schwere Vorerkrankungen gehabt, dass sie, „auch wenn das hart klingt, alle im Verlauf dieses Jahres gestorben wären.“

Seine Aussagen hatten ein breites politisches Echo. Nicht zuletzt, weil sich das Robert-Koch-Institut vorher aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen immer gegen Obduktionen ausgesprochen hatte. Und weil Püschels Befunde nahelegten, dass nur Alte und Kranke am Virus stürben, denen auch sonst nur noch wenige Monate vergönnt gewesen wären. Sogar die Berichterstattung in den Nachrichten veränderte sich nach Püschels Wortmeldung: Fortan war bei den täglichen Todeszahlen immer die Rede davon, dass diese Menschen „an oder mit“ dem Virus gestorben seien. Befürwortern einer lockereren Corona-Politik waren die Befunde des Hamburger Pathologen Beleg für ihren Standpunkt.   

Pathologenverband widerspricht Hamburger Forscher

Dessen Aussagen widerspricht nun jedoch eine breit angelegte Studie mehrerer deutscher Pathologenverbände. „In mehr als drei Viertel der Obduktionen konnte die Covid-19-Erkrankung als wesentli­che oder alleinige zum Tode führende Erkrankung dokumentiert werden“, berichtete Jo­hannes Friemann bei einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz des Bundesver­bandes Deutscher Pathologen, der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie, über die als erstes und am ausführlichsten das „Ärzteblatt" berichtet hatte. 

Friemann ist Leiter der AG Obduktion der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Unter ihren Mitgliedern wurden in 68 pathologischen Instituten 154 Obduktionen durchgeführt. Der Befund: Bei 86 Prozent war eindeutig Covid-19 die Todesursache. Nur bei einem Siebtel der Verstorbenen fanden die Pathologen keine charakteristischen Organschäden. Mit einem Anteil von 68 Prozent waren die obduzierten Verstorbenen mehr als doppelt so häufig Männer als Frauen. Die meisten von ihnen befanden sich bei ihrem Tod in der siebten bis neunten Lebensdekade.

86 Prozent sterben direkt an Covid-19 

Mehr als die Hälfte der charakteristischen Organbefunde hätten lungenseitig diffuse Al­veolarschäden und diffuse Alveolarschäden mit Bronchopneumonien ausge­macht, so Friemann. Darüber hinaus fanden sich bei den Obduktionen Thrombosen und Thromboembolien, Mikrothromben und Endothelialitis. Bei den Obduktionen der Covid-19-Verstorbenen seien zudem Schäden an anderen Organen jenseits der Lunge festgestellt worden, berichtete Friemann weiter: an Immunorga­nen wie der Milz oder den Lymphknoten, von Leberschäden, über Herzmuskelentzündungen, Lungenentzündungen bei Embolien sowie Hirninfarkte bis hin zu Hirnblutungen. Bei diesen Organveränderungen sei aber eine Assozia­tion mit Covid-19 nur möglich, nicht erwiesen. Es gebe aber „Hinweise auf möglicherweise virusas­soziierte Schäden des Immunsystems, der Leber, des Herzens und des Zentralnerven­sys­tems“ - sie bedürften der weiteren Aufklärung und Spezifizierung.

Zehn Jahre verlorene Lebenszeit vs. wenige Monate

Darüber hinaus hat die BDP-Studie erwiesen, das vorerkrankte Patienten im Schnitt zehn Jahre ihrer Lebenszeit durch Corona verloren haben. Zu einem ähnlichen Ergebnisse kam eine Studie in Glasgow

Durchschnittlich zehn Jahre versus maximal acht Monate, wie von Püschel behauptet? Zu diesem Widerspruch hat die Bild-Zeitung den Hamburger Pathologen befragt. Püschel antwortete dazu wörtlich in BILD: Im Zusammenhang mit der Gefahr vor allem für ältere Menschen habe er gesagt „dass die Lebenserwartung dieser Risikogruppe begrenzt ist“. Die Pathologen hätten das nun mit ihrer Untersuchung „konkretisiert, in dem sie von zirka zehn Jahren verkürzter Lebenszeit sprechen“.

 

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