Organspende-Debatte - Wer bereit ist zu spenden, muss belohnt werden

Gesundheitsminister Jens Spahn will durch indirekten Zwang den Trend zum Egoismus umkehren. Dabei gäbe es einen viel einfacheren Weg: Wer einen Spenderausweis mit sich führt, wird im Notfall mit Bevorzugung belohnt

Zwang zur Freiwilligkeit: Die Organsspende-Debatte geht weiter / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Um stattliche 40 Prozent ist die Zahl der Organspender seit 2007 zurückgegangen. Vergangenes Jahr waren es gerade mal 797, bei 81 Millionen Einwohnern. Das lässt sich nicht einmal in Promille ausdrücken. Weil aber hierzulande zugleich mehr als 10.000 Menschen dringend auf ein lebensrettendes Organ angewiesen sind, will Gesundheitsminister Jens Spahn mit Unterstützung der Bundeskanzlerin nun den Hebel radikal umlegen: Wer nicht ausdrücklich widerspricht, soll automatisch als möglicher Spender gelten. Bislang ist es umgekehrt: Nur wer sich zu Lebzeiten bereit erklärt, im Todesfall als „Ersatzteillager“ zu dienen“, wird dafür auch herangezogen.

Im Zweifelsfall dürfen die nahen Angehörigen entscheiden, was in diesen Situationen für alle Beteiligten (Verwandte wie Ärzte) eine Belastung ist. Zudem stehen für die Kliniken Aufwand (Personal) und Ertrag (Honorare) in einem krassen Missverhältnis. Schon bringen sich die Bedenkenträger in Stellung: Von der Katholischen Kirche bis zum Ethikrat reicht die Phalanx derer, die am Prinzip der Freiwilligkeit festhalten wollen. Es ist daher zu befürchten, dass die von CDU-Politiker Spahn angekündigte Grundsatzdebatte lediglich zu weiteren Positionsverhärtungen führt. Jeder sucht nach Argumenten für seine Position.

Potenzielle Organspender bevorzugen

Dabei gäbe es eine einfache Therapie, um den egoistischen Trend bei der Organspende umzukehren: Wer sich selber verpflichtet, im Falle des Todes anderen ein lebenserhaltendes Organ zu spenden, sollte bei Transplantationen bevorzugt werden. Etwa indem derjenige Punkte auf einer Zuteilungsliste erhält. Ähnlich könnte man bei der Blutspende verfahren: Wer nicht ausreichend selbst gespendet hat, muss sich eben ganz hinten anstellen.

Ja, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Hier beruht unser Wohlfahrtsstaat auf einem grundlegenden Missverständnis. Denn er belohnt die Selbstsüchtigen. Wer sich beispielsweise die Mühe der Kindererziehung gespart und als vitaler Rentner sein Geld in sonnigen Gestaden verprasst, um dann als mittelloser Pflegebedürftiger nach Deutschland zurückzukehren, wird letztlich genau so gut versorgt, wie derjenige, der selbstlos mehrere Beitragszahler großgezogen hat. Schlimmer noch: Die eigenen Kinder werden sogar zur Fürsorge herangezogen, sobald sie selbst zu etwas Wohlstand gekommen sind. Für die Egoisten zahlt die Allgemeinheit.

Was nichts kostet, ist nichts wert

Wer nun dadurch das christliche Menschenbild beschädigt sieht, den verweise ich gerne auf die Katholische Soziallehre und die Grundsätze der Subsidiarität, die selbst für die EU gelten: Jeder hat zunächst einmal selbst die Pflicht, sein Mögliches zu tun, um andere nicht zu belasten. Deshalb geht auch eine Bürgerversicherung in die falsche Richtung: Sie verstärkt den Eindruck, dass der Doktor nichts kostet. Die Gesundheitskarte genügt. Dass die Deutschen mit 18 Arztbesuchen im Jahr Spitzenreiter ist, ist eine Folge Anspruchsmentalität.

Gerne lässt sich für einen Kurswechsel die schwäbischen Basisphilosophie heranziehen: Was nichts kostet, ist nichts wert. Anstatt nun auch noch für Kitas die Gebührenfreiheit zu verkünden, sollte man überall Eigenbeteiligungen einfordern. Meinetwegen sozial gestaffelt. Aber wer eine staatliche Leistung in Anspruch nimmt, sollte einen symbolischen Kostenanteil daran tragen.

Die anderen werden schon handeln

Denn bei den ewigen Gerechtigkeitsdebatten wird eine psychologische Erkenntnis übersehen: Die Menschen reagieren besonders empfindlich, wenn sie eine ungerechte Bevorzugung derer spüren, die selbst nichts dafür tun. Sie möchten ihre Eigenleistung gerecht belohnt haben. Dazu zählt auch die Bereitschaft, für Fremde Blut oder ein Organ zu spenden. Es verbittert, wenn uns Trittbrettfahrer am Ende auch noch den Stinkefinger zeigen. Dies erklärt, warum sich zwar 84 Prozent der Befragten zur Organentnahme bereit erklären, aber nur 34 Prozent tatsächlich einen Organspendeausweis mit sich tragen: Die meisten verlassen sich darauf, dass andere für sie schon tun, was man eigentlich selbst für richtig hält. Wer diese Haltung belohnt, schadet dem Prinzip der Solidarität, auf die auch eine reiche Wohlstandsgesellschaft angewiesen ist.

 

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