Kommunalwahlen in NRW - Der Herzinfarkt der SPD

Wieder ein Nackenschlag für die Sozialdemokraten bei den Kommunalwahlen in NRW. Die Partei diffundiert, sie vertrocknet wie ein See ohne Zufluss. Aber auch für Armin Laschet von der CDU ist das Ergebnis kein Grund für ein Gläschen Champagner auf dem Weg zur Kanzlerschaft.

SPD im Sinkflug bei den NRW-Kommunalwahlen: OB-Kandidat Thomas Westphal in Dortmund / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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In den letzten Tagen musste ich oft an Franz Müntefering denken. Nicht, weil er gerade offenbar ein Buch geschrieben hat. Sondern weil er mich als jungen Korrespondenten, zuständig für die SPD, beeindruckt hat. Diese trockene Art, dieses Schnörkellose, diese Eigenheit, immer eher ein Wort zu wenig als eines zu viel zu verlieren. Irgendwann war er mit seinen gelegentlichen Zigarillos, deren Rauch er haarfein ausstieß, so eine Art Clint Eastwood der SPD. 

Von Franz Müntefering habe ich die Bedeutung der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gelernt. Der Generalsekretär und spätere Parteivorsitzende war immer hochalarmiert, wenn sich bei den Kommunalwahlen in NRW ein schwaches Ergebnis abzeichnete. Der Mann aus dem Sauerland wusste und weiß: Diese Kommunalwahlen sind eine Art Referendum an der Basis, wie es um die Sozialdemokraten bestellt ist in ihrem Kernland, in ihrer Bastion. NRW ist die Herzkammer der SPD. Sie hat dort nun einen Herzinfarkt bekommen.  

Die Kommunalwahlen 2020 sind fürchterlich für die SPD ausgegangen. Nochmal um 7,7 Prozent im Vergleich zu 2014 abgesunken auf 23,7 Prozent nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis. Den Atem der Grünen können sie im Nacken spüren, auch wenn diese nochmal damit vorlieb nehmen müssen, als dritte Kraft ins Ziel gekommen zu sein. Tendenziell werden sie die SPD auf dieser Position ablösen. In NRW und in ganz Deutschland.

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NRW ist Schimanski-Land

NRW hat harte Gegenden im Angebot. Es ist Schimanski-Land. In diesen harten Gegenden hat die SPD die Tuchfühlung zu ihrer Klientel verloren. Es ist für die Grünen gut, wenn sich Katrin Göring-Eckardt aufmacht nach Moria, dort noch vor der ersten Hilfslieferung ankommt, sich dort vor die rauchenden Ruinen des Lagers stellt, sich ein Puschelmikrofon an die Bluse klemmt und Social Media mit viel Schmelz und Schmerz in der Stimme und einem anklagenden Augenaufschlag ihre Filme verbreitet. Das kommt gut an in der Grünen-Klientel. Hin und helfen. Oder jedenfalls auf Leid aufmerksam machen. 

In der Klientel der SPD nicht so. Natürlich findet sie in ihrer Mehrheit auch fürchterlich, wenn Menschen in Moria leiden, unabhängig davon, wer das Lager angezündet hat. Die Familienväter mit ihren Frauen und Kindern, die man auf den Bildern sieht, mit einiger Sicherheit nicht. Aber die SPD-Klientel sieht jeden Tag, dass es direkt vor der Haustür brennt. Dass es mit der Sicherheit in vielen Problembezirken und Stadtteilen nicht mehr weit her ist, und dass Integration ein schönes Wort ist, aber erstens von beiden Seiten akzeptiert werden muss und zweitens nicht automatisch funktioniert. 

Es ist wenige Tage her, da hat Jörg Sartor der SPD, seiner jahrzehntelangen SPD, das Parteibuch vor die Füße geworfen und ist zur CDU gegangen. Sartor leitet in Essen eine Tafel, und er hat sich vor einiger Zeit erlaubt darauf hinzuweisen, dass junge Migranten Alte und Schwache daran hindern, an der Tafel versorgt zu werden. Die SPD hat ihn daraufhin zur Schnecke gemacht. 

Wie ein See ohne Wasserzufuhr

Essen hat die SPD inzwischen längst verloren, Dortmund, Duisburg, all diese einstigen Hochburgen wanken und wackeln. Die SPD hat sich abgekoppelt von ihrer Wählerschaft, seither diffundiert sie, sie verschwindet wie ein See, in den kein Wasser mehr nachfließt. Sie hat keinen Grund, deshalb auf andere zu zeigen. Sie hat sich selbst die Wasserzufuhr abgeschnitten. 

Was Franz Müntefering gestern Abend wohl gemacht hat? Gedacht hat? Er sprach immer davon, mahnend, dass der harte Kern der Wählerschaft der SPD nicht so groß ist, wie viele glauben. Sie habe ihn oft ausgelacht, oder sagen wir: belächelt dafür im Präsidium. Der Franz verbreitet wieder Doom. 

Laschets doppelter Dämpfer 

Es ist nur wenig tröstlich für die Sozialdemokraten, dass die in NRW regierende CDU, dass Ministerpräsident Armin Laschet um einige Prozentpunkte gestutzt wurde im Vergleich zu 2014. Immer noch jedoch hat die CDU im Herzensland der SPD einen Vorsprung von mehr als zehn Prozentpunkten.

Laschets Wochenende ist das dennoch nicht. Einen Landesvaterbonus kann man nicht betrachten in diesem Wahlergebnis. Und zeitgleich kam an diesem Sonntag eine Kantar-Meinungsumfrage heraus, in der er weit abgeschlagen ist in der Wählergunst, was die Kanzlerkandidatur beziehungsweise die Eignung dafür anlangt. Weit vorne Markus Söder von der CSU, dann lange nichts, dann Jens Spahn, dann Friedrich Merz, dann lange nichts, dann Laschet.

Dennoch wird er nach Lage der Dinge die Union als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führen. Sollte es in der CDU, in den Landesverbänden eine relevante Größe an Meinungen geben, dass Laschet nicht als Kanzlerkandidat antreten solle, dann müssten diese demnächst artikuliert werden. Sonst macht der Mann einen Durchmarsch. Erst als Parteivorsitzender, dann als Kanzlerkandidat. NRW-Kommunalwahl-Ergebnis hin oder her.  

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