Nord Stream 2 - Wird die Notbremse gezogen?

Frankreich und Deutschland haben sich bei Nord Stream 2 auf einen Deal geeinigt: Es soll strengere Auflagen für die Gaspipeline geben. Die USA versuchen derweil mit allen Mitteln den Bau zu verhindern. Die Zeit arbeitet jedoch für die Pipeline

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Wie geht es weiter mit der Gaspipeline? / Illustration: Martin Haake
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Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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Es reicht. Auch denen, die eigentlich auf seiner Seite stehen. Aber Richard Grenell hat es geschafft, selbst Gegner von Nord Stream 2 in Deutschland so zu verärgern, dass sie sich ganz öffentlich über den US-Botschafter empören. Manche in Berlin nennen ihn wegen seiner rücksichtslosen Einmischung in die Politik seines Gastlands inzwischen „Little Trump“. Die Trump-Regierung will die deutsch-russische Gaspipeline verhindern und schreckt vor immer neuen Drohkulissen nicht zurück. 

Grenell ist der Rammbock, mit dem das Weiße Haus, unterstützt vom amerikanischen Kongress, die Festungsmauern einreißen will, die die Bundesregierung um das Milliardenprojekt errichtet hat. In einem Brief an die am Bau beteiligten Unternehmen droht der Botschafter unverhohlen mit Bestrafung: Firmen, die sich im russischen Energieexportsektor engagieren, beteiligten sich an etwas, „das mit einem erheblichen Sanktionsrisiko verbunden ist“.

Der Krieg der Worte eskaliert

Mit dieser Drohung hat der Diplomat im politischen Berlin endgültig überzogen. Von einer „inakzeptablen einseitigen Verschärfung des Tones im transatlantischen Verhältnis“ spricht Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Wenn der US-Präsident meint, angesichts der vielen Fragezeichen bezüglich seines Verhältnisses zu Russland jetzt öffentlich Härte zeigen zu müssen, sollte er dabei nicht das Verhältnis zu seinem wichtigsten Bündnispartner derart beeinträchtigen.“

Der CDU-Politiker Hardt steht nicht alleine. Der Krieg der Worte eskaliert. Rolf Mützenich, als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion für Außenpolitik zuständig, legt noch einen drauf: „Drohungen, die Verbreitung von Unwahrheiten und schlechtes Benehmen sind zu Eigenschaften geworden, die eigentlich nicht zum Profil eines Botschafters gehören.“ 

Noch nie wurde öffentlich ein US-Botschafter in Deutschland so heftig attackiert. Dass die Kritik bei der SPD besonders harsch ausfällt, überrascht nicht. Mützenich zählt zu den Befürwortern der Gaspipeline. Er weiß dabei Außenminister Heiko Maas (SPD) hinter sich, der sich beeilte, vor im Russlandgeschäft engagierten Wirtschaftsvertretern klarzustellen: „Fragen der europäischen Energiepolitik müssen in Europa entschieden werden, nicht in den USA“, Nord Stream 2 sei „kein deutsch-russischer Sonderweg“.

Das Unbehagen schleicht sich ein

Innerhalb des Unionslagers dagegen gibt es prominente Kritiker der neuen Pipeline. Ein Unbehagen schleicht sich bei ihnen ein. Klare Kante gegen Russland oder Loyalität gegenüber Kanzlerin Merkel, die die Pipeline will? Selbst der damalige Kandidat für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz fragte sich nach der Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer und der Aufbringung von ukrainischen Kriegsschiffen öffentlich: „Je mehr der Konflikt eskaliert, umso mehr stellt sich die Frage, ob es richtig ist, dass wir diese Pipeline bauen?“ Auch Annegret Kramp-Karrenbauer ließ Skepsis durchblicken, als sie laut überlegte, ob man nicht zumindest die Gasmenge reduzieren könne, die durch die Gasleitung fließen wird. Das Projekt ganz zu stoppen, sei jedoch „zu radikal“. 

Konkreter ist da schon die Diskussionslage in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dort gibt es eine Front von Außenpolitikern, die es ernster meinen, ohne allerdings eine Mehrheit gegen den starken Wirtschaftsflügel zu finden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier ließ den Widerstand in der Fraktion abtropfen. Deutschland dürfe seine Verlässlichkeit und Vertragstreue „nicht infrage stellen“, hielt er den Kritikern entgegen. 
Neben Jürgen Hardt zählen dazu der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen, wie auch der Außenpolitikexperte Roderich Kiesewetter. „Die Kritik an Nord Stream 2 ist berechtigt, und die EU hat es sich selbst zum Ziel gesetzt, die Energieimporte zu diversifizieren“, argumentiert er. Aber Kiesewetter sieht eben auch jenen Punkt, der das stramme Grenell-Engagement für hehre geopolitische Ziele und als Schutzmacht der von Russland bedrängten Ukraine in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. „Die USA begehen einen Fehler, wenn sich der Eindruck verfestigt, dass einseitige wirtschaftliche Interessen zugunsten von Flüssiggas verfolgt werden.“

Weisungen aus Washington

US-Diplomaten in Berlin machen im Gespräch keinen Hehl daraus, welche Weisungen dazu aus Wa­shington vorliegen. Zu den Prioritäten, die es in Berlin durchzusetzen gelte, zählt neben der Verhinderung von Nord Stream 2 auch die Förderung des Verkaufs von amerikanischem Flüssiggas (LNG). Die USA haben sich durch die Ausbeutung ihrer Schiefer- und Gesteinsvorkommen mithilfe des Frackingverfahrens zu einer Öl- und Gas-Weltmacht entwickelt. Jetzt drängen sie damit auf den Weltmarkt, auch nach Deutschland.

Immerhin: Die Bundesregierung bewegt sich hier. Kanzlerin Angela Merkel versuchte zuletzt bei einem Polenbesuch die dortigen Nord-Stream-Gegner mit der Ankündigung zu besänftigen, Deutschland werde „seine Pläne beschleunigen, einen LNG-Terminal zu installieren“, um unter anderem US-Gas zu importieren. An der Nordseeküste soll ein Hafen für die Aufnahme von Flüssiggas entstehen, um US-Gas nach Deutschland importieren zu können. Doch damit verschärft sich das Dilemma auch gleichzeitig wieder. 

Die eigentliche Kernfrage lautet: Braucht Deutschland so viel Gas? Ist es ökonomisch sinnvoll, die Gaslieferungen aus Russland von bislang 55 Milliarden Kubikmetern im Jahr zu verdoppeln. „Nein“, sagt die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschafsforschung (DIW), „die neue Gaspipeline ist überflüssig.“ Eine DIW-Studie zumindest kann für den Fall, dass Nord Stream 2 nicht gebaut wird, keine Versorgungslücke erkennen. Vielmehr seien „Verluste bis in Milliardenhöhe“ zu erwarten, der Gasbedarf in Europa werde eher sinken. „Die Pipeline wird dauerhaft nur dann profitabel sein, wenn sie über Jahrzehnte ausgelastet ist und hohe Abnahmepreise garantiert werden“, so Kemfert, doch aufgrund des Überangebots von Gas und steigendem Wettbewerb erscheine dies sehr unrealistisch. Hinzu kommt: „Wenn man die Klimaziele von Paris und die Energiewendeziele ernst nimmt, wird der Gasverbrauch sich nicht erhöhen, sondern sinken; warum die Politik dieses Projekt dennoch unterstützt, ist unverständlich.“ 

Die Fronten sind verhärtet

Die Politik sowie vor allem die beteiligten Unternehmen haben bei Nord Stream 2 einen völlig anderen Erwartungshorizont. Ein internationales Konsortium mit starker deutscher Beteiligung teilt sich mit dem russischen Gazprom-Konzern die Baukosten von 9,5 Milliarden Euro. Bei der BASF-Tochter Wintershall, die weltweit Gas und Öl fördert, verteidigt man das Engagement bei Nord Stream 2 nachdrücklich. Die Gasförderung in Westeuropa gehe stark zurück. „Fest steht: Der Importbedarf in Europa steigt. Im Jahr 2030 wird die EU mehr als 400 Milliarden Kubikmeter importieren müssen“, erklärt Wintershall-Sprecher Michael Sasse. „Wir brauchen Russland für unsere sichere Versorgung mit bezahlbarer Energie.“

Die Fronten sind verhärtet, ein Ausweg nicht in Sicht. Amerika macht weiter mobil. In Telefonschaltkonferenzen mit europäischen Journalisten trommeln US-Diplomaten gegen Nord Stream 2. Francis Fannon, Abteilungsleiter für Energiefragen im State Department, ließ wissen, Washington werde nicht lockerlassen. Die US-Regierung sei dabei, „auf allen Ebenen alle Beteiligten zu ermutigen, das Projekt zu stoppen“, sagte er. Für die beteiligten Firmen gebe es Risiken, „wir prüfen weiterhin mögliche Sanktionen“. 

Das sind keine leeren Worte. Amerikas langer Arm reicht weit, und das hat in Dänemark, durch dessen Gebiet die Pipelineroute vor der Insel Bornholm führt, zu einer politischen Wende geführt. 2011 hatte Dänemark der Verlegung von Nord Stream 1 zugestimmt. Doch unter dem massiven Druck der USA verabschiedeten die Parteien im dänischen Parlament von links bis rechts ein neues Gesetz, das die Verlegung der neuen Pipeline vor Bornholm verhindern soll. US-Diplomat Francis Fannon räumt offen ein: „Die USA ermutigen Dänemark, die Route abzulehnen.“

Das Mantra der Merkel-Regierung

Das neue Gesetz ist noch nicht umgesetzt, die Entscheidung liegt bei der Regierung. Die tut nichts. Einerseits will man Deutschland nicht verärgern, andererseits ist in Kopenhagen angesichts Russlands aggressivem Vorgehen in der Ukraine sowie angesichts einer erhöhten Spannung im Ostseeraum ein anderes Sicherheitsbewusstsein entstanden. Die Dänen hoffen, dass die EU ihnen die Entscheidung abnimmt. Doch das Pipelinekonsortium kann nicht warten. Schon Ende 2019 soll die Gasleitung fertig sein. Deshalb wird derzeit mit Hochdruck an einer neuen Trassenführung außerhalb der dänischen Gewässer gearbeitet – statt südlich von Bornholm nördlich daran vorbei. Kostenpunkt: bis zu 700 Millionen Euro zusätzlich. 

Das Mantra der Merkel-Regierung, Nord Stream 2 sei ein Projekt der Wirtschaft, die Politik habe damit nichts zu tun, ist schon lange nicht mehr zu halten. Wladimir Putins Griff nach der Ukraine hat das Klima rund um Nord Stream 2 radikal verändert. Die Ukrainekrise ist der Hebel, mit dem die US-Regierung das Pipelineprojekt kippen will. Sanktionen gegen Russlands Beteiligung an Nord Stream 2 würden auch die westeuropäischen Partner treffen. Die will man so zum Aufgeben des Projekts zwingen. Die Verunsicherung auf deutscher Seite ist groß, auch wenn abgesehen von Drohungen noch nichts passiert ist. Aber das kann sich jederzeit ändern. Niemand wagt eine Prognose.

Die deutsche Politik steckt in einem tiefen Zwiespalt. Kein Land in Europa hat sich so konsequent gegen Russlands Ukraineexpansion gestellt und hohe Verluste in dem einst blühenden Handel mit Russland in Kauf genommen. Einerseits führte die Merkel-Regierung die gesamte EU bei der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland an und sorgt dafür, dass sie regelmäßig verlängert werden. Andererseits wehrt sich Berlin gegen US-Sanktionen, die Nord Stream 2 bedrohen. 

Putins machtpolitisches Pokerspiel

Die Bundesregierung bleibt stur. Die Ukraine fühlt sich im Stich gelassen. Das Land ist mit seinem Pipelinenetz ein wichtiges Transitland für russisches Gas nach Westeuropa. Die Einnahmen für die Durchleitung des Gases in Höhe von zwei bis drei Milliarden Dollar pro Jahr machen etwa 10 Prozent des ukrainischen Haushalts aus, einen Ausfall kann sich das wirtschaftlich schwache Land nicht leisten. Die Sorge, dass das teilweise veraltete Pipelinenetz durch Nord Stream 2 an Bedeutung verliert oder völlig überflüssig wird, ist groß. Am Ende könnten die Russen die Gaslieferungen über die Ukraine nach Westeuropa ganz stoppen. Mit unabsehbaren geostrategischen Folgen. 

„Russland ist im positiven Sinne abhängig“, argumentiert der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk. Das habe eine „abschreckende Wirkung gegen weitere Spielchen Moskaus“. Mit Nord Stream 2 „wäre es für den Kreml leichter, die Ukraine ohne Rücksicht viel massiver zu destabilisieren oder gar eine neue große Offensive zu starten“. Der eingedämmte Konflikt könne wieder aufbrechen. Diese geopolitische Gefahr werde jedoch in Berlin „nicht ernst genommen“. 

Die Ukraine selbst allerdings braucht das Gas aus Sibirien nicht mehr, jedenfalls nicht direkt. Sie bezieht inzwischen rund 90 Prozent ihres Gasbedarfs zu günstigen Marktpreisen aus dem westlichen Versorgungsnetz. Die Ironie dabei: Der größte Teil davon ist russisches Gas, das Europa auf anderem Weg erreicht. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung wirklich bereit wäre, die Notbremse zu ziehen. Aber Wladimir Putin spielt sein machtpolitisches Pokerspiel weiter mit hohem Risiko. 

Zeit arbeitet für die Gaspipeline

Auch da, wo das Gas ankommen soll, sieht man keine Anzeichen für ein Stoppschild aus Berlin. „Der Bau der Pipeline wurde durch ein rechtsstaatliches Verfahren genehmigt“, sagt Mecklenburg-Vorpommerns Energieminister Christian Pegel (SPD) und warnt davor, ein Infrastrukturprojekt der europäischen Energiewirtschaft zum politischen Spielball zu machen. Und der CDU-Kreisvorsitzende in Vorpommern-Rügen gibt sich betont gelassen. „Ich glaube nicht, dass das noch gestoppt werden kann“, sagt Harry Glawe. Er ist ganz dicht dran an der Frau, die den Wahlkreis zwischen Rügen und Greifswald, wo Nord Stream 2 bei Lublin anlandet, in Berlin vertritt. Ihr Name: Angela Merkel. Glawe ist auch Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, und die Menschen in der Region stehen diesbezüglich hinter Merkel. Kein Wunder: Das Pipelineprojekt schafft dort viele neue Arbeitsplätze.

Während sich die Weltpolitik noch streitet, kann sich vor Ort niemand vorstellen, dass an der Ostsee ein Milliardengrab für nicht gebrauchte Gasröhren entsteht. Auch die Zeit arbeitet für die Fertigstellung von Nord Stream 2. Im Hafen von Mukran auf Rügen lagern die zwölf Meter langen und 24 Tonnen schweren Rohre für die 1200 Kilometer lange Pipeline, 200 000 werden insgesamt verbaut. Rund 250 Röhren werden täglich auf Spezialschiffen verladen, die sie auf den Ostseeboden versenken. Nord Stream 2 wächst um drei Kilometer – jeden Tag.

Dies ist ein Artikel aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

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