Austritt von Nico Semsrott aus der „Partei“ - Bei der Identitätspolitik hört der Spaß auf

Weil sich Martin Sonneborn nicht für eine China-Satire entschuldigen wollte, ist sein EU-Abgeordneten-Kollege Nico Semsrott aus „Die Partei“ ausgetreten. Sein gut dotiertes Mandat behält er aber weiterhin. Nicht nur deshalb ist der Effekt für die Spaßpartei verheerend.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Aber wer sagt das Nico Semsrott? / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Ein Rock muss durch Deutschland gehen. Erinnert sich noch jemand an diesen Satz? „Die Partei“ hat damit Wahlkampf gemacht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass sie Kanzlerinnen-Castings organisiert hat, um eine Frau zu finden, die sich vor allem äußerlich von Angela Merkel absetzen sollte. „Frau ja, aber schöner.“ Politisch korrekt war das nicht. Aber darum ging es der Partei auch nie.

Satire war ihr Programm. 2004 von Redakteuren der Titanic gegründet, ging es ihr darum, die Absurdität des Politikbetriebs zu entlarven. Bei Nicht-Wählern kam das gut an. Die „Partei“ hat heute 50.000 Mitglieder. Seit 2014 wird sie vom ehemaligen Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn im EU-Parlament vertreten. 2019 kam noch ein Mann dazu, den man nur als depressive Kunstfigur kannte, wenn man sich gelegentlich auf Slam-Poetrys oder Comedy-Bühnen verirrte: Nico Semsrott.

Beim Humor hört der Spaß auf

Jetzt ist Semsrott – charakteristische Merkmale: schwarzer Hoodie und trauriger Dackelblick – aus der „Partei“ ausgetreten. Aus Protest gegen „rassistische“ Äußerungen von Martin Sonneborn, wie es in einer „Humorlosen Erklärung“ heißt. Und wenn Sie jetzt sagen, na und, wen bitteschön interessiert das, hat ein umgekippter Sack Reis nicht einen höheren Nachrichtenwert als der Austritt von Nico Dingens, dann müssen wir Ihnen an dieser Stelle leider widersprechen.

Denn ausgerechnet die Partei, die angetreten war, die Humorlosigkeit der anderen Parteien anzuprangern, hat sich jetzt selbst als humorlos entlarvt – und damit auch eine Frage aufgeworfen, die jede andere Partei ignorieren dürfte, die aber in ihrem Fall existenziell ist: Wozu brauchen wir diese Partei dann überhaupt noch?

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Seitenhieb auf den US-Präsidenten

Ihr Alleinstellungsmerkmal ist jetzt futsch. Und alles nur, weil sich Sonneborn nach dem Sturm aufs Kapitol in Washington in einem T-Shirt fotografieren lassen hat, auf dem stand: „Auf Widelsehern Amlerika! Haben Sie Guter Frlug runtel!Plinted in China. Fü Die PALTEI!“ Er habe die „zunehmend gegenstandslos werdende weltpolitische Überheblichkeit der USA“ karikieren wollen, schreibt Sonneborn auf Twitter.

Man kann das doof, saudoof, spätpubertär oder gar bekloppt finden. Und auf Twitter musste Sonneborn viel Kritik dafür einstecken. Ein bekannter Journalist fragte, welchen gesellschaftlichen Nutzen „eine männerbündlerisch geprägte Verbindung von Leuten hat, die sich unter dem Deckmantel der Satire daneben benehmen wollen“.

Aber genau dafür wurde Sonneborn gewählt. Ihm wegen dieses einen Satzes öffentlich die Vertrauensfrage zu stellen, das ist so, als würde man die SPD dafür abwatschen, dass sie Hartz IV für Bedürftige aufstocken will. Ein Angriff auf das Selbstverständnis der Partei.

Wer hat Semsrott den Lack ins Müsli gekippt? 

Nico Semsrott hat genau das getan. Seine Erklärung entbehrt nicht nur jeder Ironie, sie liest sich vor allem beleidigt. Es gehe ihm bei Sonneborns Tweet weniger um eine Debatte über den Sinn und Zweck von Satire, sondern vielmehr um einen ignoranten Umgang mit Feedback, doziert er.

„Wenn sich Menschen von seinen Postings rassistisch angegriffen fühlen, muss er nicht viel tun. Es reichen Mitgefühl und der Respekt vor den Betroffenen, um das eigene Verhalten zu korrigieren.“ Da sich Sonnenborn aber nicht zum ersten Mal geweigert habe, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen, sei er raus.

Bizarre Blüten grüner Identitätspolitik 

Der Streit hat einen wunden Punkt berührt: Wo hört die political correctness auf, wo fängt die Beleidigung an? Muss sich Satire demnächst im Kleingedruckten schon im vorauseilenden Gehorsam bei Leuten entschuldigen, die sich beleidigt fühlen könnten? Gibt es Tabus, und wenn ja, wer definiert sie?

Nico Semsrott, „der traurigste Komiker der Welt", hat aus seiner Nähe zu den Grünen nie einen Hehl gemacht. 2019 ist er der Fraktion im EU-Parlament beigetreten. Seine Kritik an Sonneborn zeigt, welche bizarren Blüten die bei Grünen beliebte Identitätspolitik treiben kann. Martin Sonneborn hat seinen Tweet auf massiven Druck auf Twitter gelöscht und sich dafür entschuldigt. Er ist unter dem öffentlichen Druck eingeknickt. Eine Satire, für die man sich entschuldigt, ist aber keine Satire mehr. Und eine Partei, die nichts anderes kann außer Satire, muss spätestens jetzt einräumen, dass die Steuergelder für ihre Mandate reine Geldverschwendung sind. 

Geld stinkt nicht 

Es geht um 8.020,53 Euro. So viel verdient ein EU-Abgeordneter im Monat. Nico Semsrott will sein Mandat auch nach dem Austritt aus der „Partei“ behalten. Er schreibt: „Das schreckliche Mandat im EU-Parlament werde ich als PARTEI-Loser bis zum bitteren Ende ausführen. Ich könnte das Leid nicht verantworten, dass ein*e Nachrücker*in statt meiner ertragen müsste.“

Ganz so anarchisch, wie die „Partei“ auftritt, ist sie eben doch nicht. Zumindest eines verbindet sie mit den Mitgliedern jener Parteien, die sie vorführt: Beim Geld hört der Spaß endgültig auf. 

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