Werteunion - Wieso gerade er?

Max Otte polarisiert. Kaum ist er zum neuen Vorsitzenden der Werteunion gewählt, treten die ersten Parteikollegen aus Protest aus. Wer ist dieser Mann, und was verrät seine Wahl über die CDU in der Post-Merkel-Phase?

Max Otte ist jetzt Bundesvorsitzender der Werteunion / Foto: dpa
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Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

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Seit einer Woche ist Max Otte Chef der Werteunion – und es ist wohl nur dem triumphalen Wahlsieg von Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt zu verdanken, dass die hitzigen Diskussionen über die Frage, wie die CDU mit ihrem rechten Rand umgehen sollte, vorerst verstummt sind. Doch innerhalb der Werteunion tobt ein Streit um die Frage, ob die Vereinigung mit ihm endgültig nach rechts abschmiert. Wer ist dieser Otte?

Der Ökonom und Fondsmanager Otte räumt gegenüber Cicero selbst ein, dass seine Wahl zum Bundesvorsitzenden ein Politikum sei. Problematisch findet er dennoch nicht, dass er bis Anfang dieses Jahres Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung war. Oder dass er 2017 in einem Interview gegenüber der Wirtschaftswoche angab, in der damals anstehenden Bundestagswahl die AfD wählen zu wollen, und dass er die AfD nicht für eine rechtsradikale Partei halte. Es sei, erklärte er damals, eine Partei mit vernünftigen Leuten – Björn Höcke ausgenommen.

Zwei Jahre nach seinen Äußerungen über die AfD sorgte Otte erneut für Empörung. Die Werteunion bat die Mutterpartei in der Folge sogar um seinen Parteiausschluss – ohne Erfolg. Nachdem der Rechtsextremist Stephan Ernst den hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke ermordet hatte, twitterte Otte: „Endlich hat der Mainstream eine neue NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht alles so aus, dass der Mörder ein minderbemittelter Einzeltäter war, aber die Medien hetzen schon jetzt gegen die ‚rechte Szene‘, was auch immer das ist.“

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Heute sagt Otte, der Zeitpunkt sei falsch und pietätlos gewesen, wofür er sich entschuldigt habe. Aber weiter: „Der Anlass meiner Empörung bleibt, dass seitens der Medien sofort undifferenziert gegen die ‚rechte Szene‘ angeschrieben wurde, wohingegen die ‚linke Szene‘ und die linksextremen Auswüchse seit Jahren systematisch verharmlost, kleingeredet und vertuscht werden.“ Es dürfe keine Toleranz für Extremismus geben, egal aus welcher Richtung, so Otte, schon gar nicht in Form von Antisemitismus durch Zuwanderer.

Fünf Prozent Austritte

Für Alexander Mitsch, Ottes Amtsvorgänger, ist die Äußerung zum Mörder Lübckes einer der Gründe, warum er seine Mitgliedschaft im Verein ruhen lässt, seit Otte neuer Chef der Werteunion ist. Es seien seither aber auch schon Kollegen aus dem Verein ausgetreten. Rückmeldungen aus den Landesverbänden zufolge belaufe sich die Zahl auf ungefähr fünf Prozent, sagt Mitsch.

Alexander Mitsch/dpa

Und Ottes Personalie ist nicht die einzige, die unter Christdemokraten für Irritation sorgen dürfte. Ebenfalls in den Vorstand der Werteunion gewählt wurde Klaus Dageförde, der jüngst gegenüber der taz einräumte, sich in den Achtzigerjahren „zwei oder drei Jahre lang in dieser rechten Szene bewegt“ zu haben. Laut einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart soll er als Rädelsführer die inzwischen seit 1983 verbotene „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ geführt haben, die sich als Fortführung der NSDAP und SA verstand. In Max Ottes Augen kein Problem, sein Vorstandskollege gehe mit dem Thema offen um und sei nach 30 Jahren geläutert. Schließlich könnten auch Frankfurter Straßenkämpfer und Steinewerfer Außenminister werden, sagt Otte.

Man fühle sich immer wieder diskreditiert und diskriminiert – und das von der eigenen Partei. Otte sagt: „Es passiert, dass Leute Nachteile haben, nicht befördert werden, auch innerhalb der CDU, weil sie Mitglieder in der Werteunion sind.“

„Die haben nichts mit der CDU zu tun“

Gemeint sind wohl auch Aussagen wie diese: „Es gibt seit 1991 einen Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU gegenüber der Scientology. Genauso wünsche ich mir das gegenüber der Werteunion“, twitterte Matthias Zimmer, Frankfurter CDU-Bundestagsabgeordneter, am vergangenen Donnerstag. Und auch in der Parteispitze scheint Ottes Wahl zum Bundesvorsitzenden als lästig empfunden zu werden. In der Talkrunde bei Sandra Maischberger vergangene Woche teilte Armin Laschet hart aus. Als ihn die Moderatorin damit konfrontierte, dass der Großteil der 4.000 Mitglieder der Werteunion ein CDU-Parteibuch habe, antwortete Laschet: „Sie glauben der Werteunion, das ist der Unterschied zwischen uns beiden.“ Tags zuvor hatte Laschet im Deutschlandfunk über die Werteunion gesagt: „Die haben nichts mit der CDU zu tun.“

Formal hat Laschet damit recht. Die Werteunion ist keine Unterorganisation der CDU/CSU. Nur hat der Verein sehr strenge Aufnahmekriterien. Wer volles Stimmrecht möchte, muss seine Zugehörigkeit zur CDU-Familie in irgendeiner Art dokumentieren. Von den 4.000 Werteunions-Mitgliedern seien ungefähr 80 Prozent in der CDU/CSU und zudem zum Großteil langjährige Parteimitglieder, genauso wie er selbst, der Rest zumindest Mitglied in einer Unterorganisation der CDU, erklärt Max Otte.

Traditionelles Familienbild

Da überrascht auch nicht, dass sich der Verein als Bewahrer der konservativen Werte der Union versteht. Als das gute Gewissen der CDU, deren Kernpositionen durch den radikalen Kurswechsel der Merkel-Ära in Richtung grün ­– gemeint ist insbesondere der 2011 beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie und die Flüchtlingspolitik seit 2015 – in den Hintergrund oder sogar verlorengegangen seien.

Im sogenannten „Konservativen Manifest“, der Geschäftsgrundlage des Vereins, sind diese Werte niedergeschrieben: Unter Familie solle etwa wieder das traditionelle Bild von Mutter, Vater und Kind verstanden werden. Eine Frauenquote wird abgelehnt. Integration gehe nach den Vereinswerten nicht weit genug. Migranten müssten sich vielmehr in der Mehrheitsgesellschaft assimilieren. Und über den Islam steht dort, „er ist nicht nur Religion, sondern zugleich politische Ideologie mit Allmachtsanspruch“ – wohlgemerkt, der Islam generell, nicht der politische Islam.

„Unsere Positionen sind Mainstream-Positionen der CDU“

Dass es starke Überschneidungen mit der Programmatik der AfD gibt, interessiert Otte nicht. Es gehe schließlich um Inhalte: „Unsere Positionen sind Mainstream-Positionen der CDU von vor 20 oder 25 Jahren, konservative Werte im besten Sinne.“ Sein Auftrag sei es, die CDU wieder wählbar für Konservative zu machen. An diesen Werten solle auch nicht gerüttelt werden, er plane keine inhaltlichen Veränderungen. „Prozesse straffen und dezentralisieren“, wie man das in einem Unternehmen tue, darauf will Max Otte hinwirken.

Alexander Mitsch ist sich da nicht so sicher. Er habe Zweifel, dass Otte eine klare Abgrenzung zu rechten wie linken radikalen Positionen halte. „Er deutete beispielsweise auf einer Querdenker-Demonstration an, dass es aktuell eine Diktatur in Deutschland gebe“ – für Mitsch eine radikale Aussage. Auch dass Otte Friedrich Merz als „Cheflobbyisten“ und „Chefdealer“ bezeichnet hat, klinge schon sehr nach fundamentaler Kritik am freien Welthandel und internationaler finanzieller Zusammenarbeit. „Und schließlich sieht Herr Otte die soziale Marktwirtschaft, die wir haben, offensichtlich sehr kritisch“, sagt Mitsch.

Vom Außenseiter zum Chef

Bleibt die Frage, wie ausgerechnet Max Otte, der – wenn es nach der Werteunion gegangen wäre – 2019 aus der CDU ausgeschlossen worden wäre, zwei Jahre später zum Bundesvorsitzenden gewählt werden konnte. Alexander Mitsch macht dafür auch die CDU mitverantwortlich. Denn seit Jahren würden Vereinsmitglieder diskreditiert. Dass Kollegen aus dem Verein sich dann von der CDU/CSU entfremden würden und durch die Wahl von Max Otte zum Werteunions-Chef bei der Mutterpartei Aufmerksamkeit erzeugen wollten, überrasche ihn nicht. Er meint zum Beispiel die Aussage von Elmar Brok, der im Februar 2020 nach dem Rücktritt Annegret Kramp-Karrenbauers die Werteunion mit einem Krebsgeschwür verglichen hatte, bei dem man verhindern müsse, dass es in die Partei hineinkriechen könne.

Zudem hätten bei der Wahl zum Bundesvorstand nicht einmal drei Prozent der rund 4.000 Mitglieder für Otte gestimmt. Denn bei der Abstimmung in Fulda Ende Mai seien nur etwas über fünf Prozent der Mitglieder erschienen. Während die Gemäßigten aufgrund von Corona eher zu Hause geblieben seien, hätten sich tendenziell eher die Hardliner aus der Werteunion eingefunden. Außerdem habe sich Otte, den Mitsch als intelligenten Menschen beschreibt, gut zu präsentieren gewusst.

Die Ära Merkel, deren Wirken die Werteunion seit 2017 umzukehren versucht, geht dieses Jahr zu Ende. Doch Armin Laschet dürfte den Merkel-Kurs fortführen. Gleichzeitig möchte er sich mit den Rechtsaußen-Parteikollegen nicht auseinandersetzen. Sehr gut möglich also, dass diese sich immer mal wieder Gehör verschaffen. Mit Max Otte als Chef dürfte die Werteunion auf jeden Fall lauter und damit unbequemer werden als noch unter seinem Vorgänger.

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