Neuer SPD-Bürgermeister in Hoyerswerda - „Ich bin ein Mann der Basis“

In der als „rechts“ verrufenen Stadt Hoyerswerda wird der SPD-Mann Torsten Ruban-Zeh zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Im Interview erzählt er, wie ihm das gelungen ist, was seine Partei von ihm lernen kann und wie er zur SPD-Spitze steht. Auch zu Russland hat er eine klare Meinung.

Torsten Ruban-Zeh, Sozialdemokrat und neuer Oberbürgermeister von Hoyerswerda / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Torsten Ruban-Zeh ist seit drei Jahren SPD-Mitglied und wurde am Sonntag zum neuen Oberbürgermeister der sächsischen Stadt Hoyerswerda gewählt. Der 57-Jährige stammt aus Dresden und hat vor seiner Tätigkeit für die Arbeiterwohlfahrt lange für den Handelskonzern Globus gearbeitet – davon vier Jahre in Russland.

Herr Ruban-Zeh, herzlichen Glückwunsch, Sie sind am Sonntag im zweiten Wahlgang zum neuen Oberbürgermeister von Hoyerswerda gewählt worden. Sind Sie gut vorbereitet auf diese Aufgabe? Immerhin ist das Ihr erstes politisches Amt, und Sie sind schon 57 Jahre alt.

Ich bin durchaus gut vorbereitet. Ich habe in meinem bisherigen Job viele Führungsqualitäten erwerben können. Gerade auch durch meine Arbeit in der Sozialwirtschaft während der vergangenen zehn Jahre. Und manchmal ist es ja auch gar nicht schlecht, wenn man erst mit Ende 50 solch ein politisches Amt anstrebt – und dabei auf ein gehöriges Maß an Lebenserfahrung außerhalb der Politik zurückblicken kann. Gerade angesichts des Strukturwandels, den wir in unserer Region Oberlausitz zu bewältigen haben. 

Sie sind Mitglied der SPD und hatten kein parteiübergreifendes Bündnis hinter sich, das Sie unterstützt hat. Haben Sie trotz oder wegen Ihrer SPD-Mitgliedschaft die Wahl gewonnen?

Wenn man sich anschaut, was insbesondere hier in Hoyerswerda in den sozialen Netzwerken über mich so geschrieben wurde, würde ich sagen: Ich habe trotz meines SPD-Parteibuchs gewonnen. Wenn ich aber an meine vielen direkten Begegnungen mit den Bürgern vor Ort denke, kann ich sagen: Ich habe die Wahl auch explizit als Kandidat der SPD gewonnen. Weil es den Menschen am Herzen lag, dass jemand mit einem sozialen Parteihintergrund die Führung in der Stadt übernimmt.

Die „soziale Karte“ hätte aber auch die Kandidatin der Linkspartei ausspielen können.

Das stimmt, allerdings ist meine Biografie schon klar sozialdemokratisch geprägt und eben nicht nur „links“. Ich kam im Jahr 2000 als Geschäftsleiter der Handelskette Globus nach Hoyerswerda und kann deswegen auch auf einen wirtschaftlichen Hintergrund verweisen. Später dann habe ich hier die ziemlich am Boden liegende Arbeiterwohlfahrt wieder aufgebaut. Das ist insgesamt eine glaubwürdige sozialdemokratische Sozialisation, finde ich. Und das sahen viele Bürger offenbar genauso – obwohl ich selbst erst vor drei Jahren in die SPD eingetreten bin.

In Nordrhein-Westfalen hat die SPD bei den Kommunalwahlen soeben ein Debakel erlebt. Was haben Sie besser gemacht? Was können die Sozialdemokraten von Ihnen lernen?

Es geht darum, täglich an der Basis zu sein, die Menschen in ihrem Lebensumfeld wahrzunehmen. Im Prinzip muss es in der Politik genauso funktionieren, wie ich meinen Job bei der AWO mache: Da führe ich keine anonymen Mitarbeiterbefragungen mehr durch, sondern ich rede jedes Jahr persönlich mit jedem einzelnen Mitarbeiter. Da gibt es dann immer viele Fragen, und ich versuche, jede dieser Fragen so gut wie möglich persönlich zu beantworten. Es geht ums Zuhören: Die Mitarbeiter sagen mir, was ihnen im Unternehmen gut oder eben auch weniger gut gefällt. Und diese Methode bringt uns alle zusammen wirklich weiter.

Im Prinzip machen Sie das also ein bisschen so wie Ihr sächsischer Ministerpräsident Michael Kretschmer, der seinen Wahlkampf damit bestritten hat, auf die Bürger zuzugehen – und zwar auch auf solche, die ihm kritisch bis feindlich gegenüberstanden.

Ganz genau. Ich kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass ich das selbst bereits vor Herrn Kretschmer so gehandhabt habe. Ich habe Herrn Kretschmer auch schon einige Male getroffen und will nicht behaupten, er hätte sich das von mir abgeguckt. Aber es zeigt eben, dass es zum Erfolg führt, wenn man auf die Leute direkt zugeht und ihnen zuhört. Deswegen habe ich auch großen Respekt vor Michael Kretschmer, und ich finde, er hat einen tollen Wahlkampf gemacht mit seinem persönlichen Engagement. So haben wir in Hoyerswerda unseren Wahlkampf auch bestritten: Die Menschen konnten sich ihr eigenes Bild von mir machen und mit dem abgleichen, was sie vorher über mich gehört hatten.

In Sachsen reicht im zweiten Wahlgang eine relative Mehrheit, um zum OB gewählt zu werden. Sie kamen auf 44,3 Prozent der Stimmen; die zweitplatzierte Kandidatin vom Bündnis aus Linken, Grünen und der Wählervereinigung Aktives Hoyerswerda erreichte 33,4 Prozent. Trotzdem haben Sie nicht die absolute Mehrheit von 50 Prozent oder mehr Wählern hinter sich. Macht es das schwieriger für Ihr Amt?

Ich persönlich finde: Nein. Der Abstand zwischen mir und der Zweitplatzierten beträgt immerhin zehn Prozentpunkte. Außerdem muss ich als Oberbürgermeister ohnehin mit allen Fraktionen im Stadtparlament zusammenarbeiten; ich muss sie dort einigen und Mehrheiten schaffen für notwendige politische Entscheidungen. Und die SPD hat ja im Stadtrat lediglich vier Vertreter von insgesamt 30 Abgeordneten. Da fällt mir ohnehin eher die Rolle des Moderators zu als desjenigen, der durchregiert. Aber es ist in jedem Fall eine große Herausforderung für die nächsten sieben Jahre.

Hoyerswerda hat insbesondere unter dem Kohleausstieg zu leiden. Was bedeutet der Kohleausstieg konkret für die Stadt?

Es ist jetzt vor allem eine Chance für unsere Stadt. Die letzten Jahre haben wir da leider viel verpasst, der erste Strukturwandel ist an Hoyerswerda ziemlich stark vorbeigegangen und war eigentlich nur dadurch geprägt, dass wir eine starke Abwanderung hatten. Jetzt geht es darum, dass wir hier einen IT-Campus als Ableger der TU Dresden ansiedeln und wofür wir auch schon erste Gespräche mit der Sächsischen Agentur für Strukturwandel geführt haben. Es geht nun wirklich darum, zu gestalten anstatt einfach nur zu verwalten. Wir müssen als Stadt endlich wieder der Verantwortung für unsere Region gerecht werden.

Hoyerswerda hat seit der Wende mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren auf heute rund 33.000; besonders junge Leute sind abgewandert. Sie wollen diesen Trend umkehren. Wie soll das geschehen?

Das passiert jetzt schon. Mit der AWO haben wir in den vergangenen neun Jahren fast 400 Arbeitsplätze geschaffen, zum einen vor allem im Bereich der Sozialpädagogik und in Erziehungseinrichtungen, zum anderen in der Pflege, davon insgesamt 22 Prozent für Rückkehrer.

Und wie sieht es mit Industriearbeitsplätzen aus?

Da haben wir Vergleichbares bisher leider noch nicht geschafft, aber immerhin existieren gute Ansätze bei den bestehenden Firmen. Das ist vor allem kleinteilige Industrie. Deswegen wäre der IT-Campus ja auch ein so wichtiges Signal für unsere Jugendlichen, dass es sich lohnt, in Hoyerswerda zu bleiben. Denn wir werden um den Campus herum auch kleinteilige Industrie ansiedeln, damit die jungen Leute nach dem Studium nicht wie bisher das Weite suchen müssen.

Ein ganzer Campus für eine kleine Stadt wie Hoyerswerda – übernehmen Sie sich da nicht?

In ganz Hoyerswerda gibt es nur noch eine Oberschule, dafür aber vier Gymnasien. Ich denke, das macht die Verhältnisse deutlich.

Das Image von Hoyerswerda ist nicht besonders gut. Wie kriegt man das aufpoliert?

Von wegen. Erst vor kurzem traf ich Leute aus dem Westen, und die haben mit Hoyerswerda sofort unsere Seenlandschaft in Verbindung gebracht. Es spricht sich langsam, aber sicher herum, dass aus dem alten Braunkohletagebau inzwischen eine der größten zusammenhängenden Seenlandschaften Europas entstanden ist. In diesem Sommer hatten wir wegen Corona noch dazu einen echten Schub von Urlaubern aus ganz Deutschland, aber auch aus Tschechien und Polen. Aber wir müssen uns künftig trotzdem als Tourismusstandort besser vermarkten als bisher. Dafür haben wir auch schon eine Marketinggesellschaft gegründet.

Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg hat soeben auf dem Parteitag gesagt, es brauche keine Ostbeauftragten mehr. Wie sehen Sie das?

Ja, einen „Regionenbeauftragten“ hielte ich für sinnvoller als einen Ostbeauftragten. Als ich noch beim Handelskonzern Globus gearbeitet habe, war ich auch dagegen, von irgendwelchen „Ostprodukten“ zu sprechen. Die Bayern haben ja auch andere Spezialitäten als zum Beispiel die Nordfriesen. Es sollte heute doch vor allem um regionale Besonderheiten gehen und nicht um diese überkommene Trennung zwischen Ost und West.

Ihre Gegenkandidatin Dorit Baumeister hat Ihnen vorgeworfen, Sie würden Hoyerswerda nicht kennen, weil Sie aus Dresden stammen und insbesondere die neunziger Jahre nicht vor Ort verbracht hätten. Was hatten Sie dem entgegenzusetzen?

Ich lebe jetzt seit 20 Jahren in Hoyerswerda, bin Präsident des größten Sportvereins im Landkreis, sitze in fünf Aufsichtsräten und bin vor allem ein Mann der Basis. Insofern fand ich den Vorwurf etwas sonderbar. Frau Baumeister ist eher introvertiert und im künstlerischen Bereich zuhause, deswegen glaube ich nicht, dass das bösartig gemeint war. Ich denke, die Gräben werden sich in nächster Zeit auch wieder zuschütten lassen. Zumal ich die großen Umbruchzeiten der neunziger Jahre in Halle erlebt habe, wo die Situation nicht minder dramatisch war als hier in Hoyerswerda. 

Sie sind bisher Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Lausitz. Nun hat die AWO in letzter Zeit anderswo für Skandale wegen überhöhter Gehälter und teurer Dienstwagen gesorgt. War das eine Belastung für Ihren Wahlkampf?

Für mich persönlich nicht, denn es war nicht die AWO als solche in die Skandale verwickelt, sondern es waren einzelne Personen bei der AWO. Diese Leute haben dafür gesorgt, dass eine ganze Institution in Misskredit gebracht wurde. Das darf keinen Bestand haben. Deswegen bin ich unbedingt dafür, dass in diesen Fällen die Staatsanwaltschaften sehr sorgfältig ermitteln.

Die SPD steht bundesweit in Umfragen bei ungefähr 15 Prozent. Was muss sich ändern, damit die Partei aus dem Tief herauskommt?

Die SPD muss sich erst einmal wieder darüber klar werden, wer überhaupt ihre Zielgruppe ist. Das klassische Arbeitermilieu gibt es ja gar nicht mehr. Da muss sich die Sozialdemokratie also die Frage stellen: Für wen bin ich da auf dieser Welt? Ich denke schon, dass wir als SPD ein bisschen nach links in die Gesellschaft rücken müssen und uns um die kümmern, die wirklich am Rand der Gesellschaft stehen. Viel mehr als bisher! Ich finde übrigens, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gibt in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel ab.

Wie stehen Sie eigentlich zu den beiden amtierenden Parteivorsitzenden?

Kompliziert (lacht). Es sind nicht die, die ich gewählt habe. Aber ich fand das basisdemokratische Verfahren durchaus spannend. Das Problem ist nur, dass die SPD im Westen exorbitant höhere Mitgliedszahlen hat als in den neuen Bundesländern. Damit war eigentlich klar, dass die Doppelspitze auch aus dem Westen kommen würde. Gerade Frau Esken halte ich in dieser Funktion für keine so gute Wahl.

Ist Olaf Scholz der richtige Kanzlerkandidat?

Ja. Er ist ein stiller, ruhiger Arbeiter. Ich hoffe, dass er noch ein bisschen aus sich rauskommt. Er soll ruhig auch Ecken und Kanten erkennen lassen. Ich habe den Eindruck, davor scheut er ein bisschen zurück. Was andererseits auch verständlich wäre, weil man heutzutage leider wegen jedes kleinen Fehlers, wegen jeder Unangepasstheit mit einem medialen Shitstorm rechnen muss.

Der AfD-Kandidat für den OB-Posten hat in Hoyerswerda gerade mal 16,2 Prozent erreicht. Dabei gilt Sachsen doch als AfD-Hochburg. Wie konnte die Partei so klein gehalten werden?

Anfang der 1990er Jahre gab es in Hoyerswerda rassistische Ausschreitungen, die damals für viel Aufmerksamkeit gesorgt haben und bis heute nicht vergessen sind. Aber es hat sich nach dem Schock über diese furchtbaren Ereignisse ab Mitte der 1990er Jahre auch eine starke Zivilgesellschaft gebildet, die solche Zustände unter keinen Umständen mehr zulassen will. Außerdem habe ich den Eindruck, dass unzufriedene Bürger inzwischen nicht mehr einfach nur reflexhaft „Protest“ wählen, sondern tatsächlich etwas verändern wollen. Und dann eben auch Parteien wählen, die konstruktiver an die Sachen rangehen als die AfD.

Sie selbst waren zwischen 2007 und 2011 für die Handelskette Globus in Russland. Was haben Sie über Russland gelernt? Wie sollte Deutschland mit Russland politisch umgehen?

Erstens sollte man dem russischen Volk sehr offen und mit breiten Armen entgegentreten. Zweitens sollte man kritisch betrachten, was die russische Führungsspitze tut – ohne dabei zu vergessen, dass Putin in den Augen vieler Russen ihrer Nation wieder Stärke und Stolz gegeben hat. Wenn viele – besonders die älteren – Russen das Wort Demokratie hören, denken sie immer noch an die Zeiten von Gorbatschow und Jelzin, als man nachts anstehen musste, um Brot zu bekommen. Sanktionen und Druck halte ich übrigens für eine falsche Strategie, denn sie sorgen nur dafür, dass das Volk enger zusammenrückt und sich hinter die Regierung stellt. Ich persönlich finde es jedenfalls unglaublich schade, dass die russische Regierung es nicht schafft, die Bevölkerung am eigentlich immensen Reichtum dieses Landes teilhaben zu lassen.
 

Anzeige