Neue Weltordnung - Warum Deutschland einen Nationalen Sicherheitsrat braucht

Internationale Politik ist ein unnachgiebiger Kampf um Machtverteilung – aber die deutsche Bundesregierung denkt nicht strategisch und will es auch nicht. Deswegen ist es gut, dass Kanzlerkandidat Armin Laschet einen Nationalen Sicherheitsrat fordert. Denn es geht darum, in einer neuen Weltordnung zu bestehen.

Fallschirmspringer der Bundeswehr fliegen über der Fregatte „Sachsen-Anhalt“ bei dessen Indienststellung am 17. Mai / dpa
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Autoreninfo

Maximilian Terhalle ist Politikwissenschaftler und derzeit Visiting Professor of Strategic Studies am King's College in London. Zu seinen Veröffentlichungen gehören unter anderem „The Transition of Global Order” (Palgrave 2015) und „The Munich Consensus and the Purpose of German Power” in Survival (2016).

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16 Jahre lang hat es sich Deutschland geleistet, sich keinen Nationalen Sicherheitsrat zu leisten. Häufig hieß es aus Berlin, Ressorthoheiten und Koalitionszwänge ließen dies nicht zu. Vielleicht aber war die Antwort immer schon viel einfacher: Das Land denkt nicht strategisch und will es auch nicht.

Deshalb ist es gut, dass die Idee eines solchen Rates von Spitzenpolitikern der nächsten Legislaturperiode nunmehr ernsthafter diskutiert wird. Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU/CSU, hat dies mit einer Rede jüngst unterstrichen. Dabei macht der Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan seine Forderung, Deutschland müsse „strategiefähig werden”, umso dringlicher.

Der politische Wille allein aber wird nicht genügen, um einen machtvollen Nationalen Sicherheitsrat zu schaffen. Die Malaise der „Review 2014”, als der Enthusiasmus nach der Münchner Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Gauck in bedeutungslosen Rochaden ministerieller Abteilungsnamen (und aufgrund von Merkels Unwillen, auf Gaucks Vorschläge für die deutsche Außenpolitik einzugehen) zerrieben wurde, sollte abschreckend genug sein.

Realpolitische Grundannahmen

Institutionen wie der geplante neue Rat müssen deshalb, sofern sie nicht blutleer und damit zahnlos bleiben wollen, ein dezidiertes Verständnis der Materie Sicherheit widerspiegeln; mithin auf realpolitischen Grundannahmen beruhen, über die sich Deutschland allerdings in den letzten anderthalb Dekaden zu wenig Gedanken gemacht hat. Der jüngste Anstoß hierzu, die Erkenntnisse des auch unter der Ägide eines ehemaligen Chefs des Bundeskanzleramts verfassten Berichts der „Nato Reflection Group” zu diskutieren, wird seit Dezember 2020 mit preußischer Disziplin flächendeckend ignoriert.

Wenn nun der Nationale Sicherheitsrat tatsächlich strategiefähig werden soll, muss er vier Aspekte verinnerlichen. Erstens ist internationale Politik, strategisch betrachtet, ein unnachgiebiger Kampf um Machtverteilung. Ein Kampf, der zwischen nicht-verbündeten Staaten mit allen Mitteln geführt wird. Seit jeher geht es deshalb um die Verteidigung von Macht und das nicht immer friedliche Erstreiten von mehr Macht. Thukydides hat es in seinem Peloponnesischen Krieg klassisch so ausgedrückt: „Wir [die Athener] glauben nämlich, dass der Mensch überall dort, wo er die Macht hat, herrscht. Wir befolgen dieses ewige Gesetz in dem Bewusstsein, dass andere, die dieselbe Macht wie wir errungen haben, nach demselben Grundsatz verfahren würden.” 

Will der Rat deshalb die Sonntagsreden der vergangenen Jahre zum Umbruch der Weltordnung hinter sich lassen, muss er diesen Umbruch strategisch verstehen: als einen Kampf um den spezifischen machtpolitischen und Wertecharakter der zukünftigen Weltordnung. Und als einen Kampf, den der Westen verlieren kann. Der bis heute in Berlin gängige Begriff der „vernetzten Sicherheit“ nimmt sich demgegenüber schal aus.

Deutschlands Interessen definieren

Zweitens muss sich Deutschland endlich klar darüber werden, wofür es mit seiner Macht einstehen und wofür es deshalb seine Macht in diesem Kampf einsetzen will. Fernab der offiziellen multilateralen Weißbücher sollte Berlin den Glauben aufgeben, seine nationalen Interessen dekretieren und die Bundeswehr diese „garantieren“ lassen zu können. Dazu ist das Land gar nicht in der Lage. Heute geht es vielmehr darum, die strategische Bewertung der Weltlage durch Amerika, vor allem mit Blick auf China, zu akzeptieren. Präsident Biden wird – in letzter Konsequenz – die vitale Sicherheitsgarantie Amerikas für Deutschland davon abhängig machen.

Wenn Berlin diesen Schritt macht, wird es im nächsten Schritt den instrumentellen Charakter von Strategiebildung verstehen müssen: Technologie, Wirtschaft, Militär, Kultur – alle dienen der Herausbildung der eigenen nationalen Stärke im Kampf des Westens um den Erhalt seiner Oberhand in der internationalen Machtordnung. „Grand Strategy“ heißt deshalb auch, Weltpolitik nicht, wie bisher, durch die Brille des Marktes zu betreiben, sondern ökonomische Macht nicht zum Vorteil möglicher Kriegsgegner (Amerikas) gereichen zu lassen. Die Abhängigkeit wichtiger Teile der deutschen Wirtschaft vom chinesischen Markt ist deshalb strategisch falsch.

Einfallstor für Propaganda

Drittens sollten die Strategien des Sicherheitsrats auf einem politisch neuen Vergangenheitsverständnis aufbauen. Während der Zweite Weltkrieg in Erinnerung gehalten werden muss, darf dies nicht mehr die Erkenntnis trüben, dass es heute neue Mächte gibt (und morgen geben wird), die ein nicht zu unterschätzender Revanchismus antreibt. Keinen Zweifel daran zu hegen, „dass alle Politik einen rationalen Kern habe und einem berechenbaren Interesse folge”, ist dabei immer schon eine gefährliche, liberale Selbsttäuschung gewesen (J. Fest). Staaten wie Russland tun deshalb geschickt alles, um die historische Schuld Deutschlands für gegenwärtige Zwecke ihrer Politik zu instrumentalisieren. Dieses Einfallstor für Propaganda muss geschlossen werden.

Und schließlich muss der Nationale Sicherheitsrat seine Kommunikation – eine große Schwäche der gegenwärtigen Kanzlerin – in dreifacher Hinsicht offensiv strategisch einsetzen. Der Rat muss die Bundesregierung in die Lage versetzen, der Bevölkerung die im Umbruch befindliche Weltordnung realistisch darzustellen. Kurzum: Er muss sagen, was heute eigentlich für die wohlstandsverwöhnten Deutschen auf dem Spiel steht.

Deshalb muss er überdies kraftvolle Narrative entwickeln, die gegenüber autoritären Subversionsanstrengungen Selbstbewusstsein ausstrahlen. Und zuletzt gilt es, die von Russland, China und anderen via soziale Medien organisiert gestreuten „fake news“ systematisch öffentlich zu entlarven.

Ob die Beschäftigung mit diesen Punkten gelingt, ist aufgrund der Dürre strategischen Denkens in Deutschland keineswegs ausgemacht. Nicht zuletzt wird der Nationale Sicherheitsrat nur Einfluss gewinnen, wenn seine Empfehlungen strategischen Widerhall im Weltbild des nächsten Kanzlers finden.

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